»Techno Worlds«: Hedonismus und Haltung

Die Wanderausstellung »Techno Worlds« bedient viele Themenfelder – doch stehen die Stationen hier nebeneinander wie Berauschte auf der Tanzfläche

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 4 Min.
Zeugnis der 90er-Ravekultur: Vinca Petersen, »Mel DJs«, 1997
Zeugnis der 90er-Ravekultur: Vinca Petersen, »Mel DJs«, 1997

Vor etwa drei Monaten, am 13. März 2024, passierte Historisches: Die Technokultur Berlins wurde in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen. Doch den Weg aus den dunklen Kellern der Gegenkultur hinein ins schillernde Rampenlicht des allgemeinen Kulturkanons hat sie schon lange vorher beschritten. Vor zwei Jahren etwa konzipierte das Goethe-Institut die Wanderausstellung »Techno Worlds«, die bis 2026 durch die Welt touren wird. Nach Stationen unter anderem in New York, Montreal, Mexiko City und Zürich ist sie seit Anfang Mai in der Robotron-Kantine in Dresden zu sehen.

Die Ausstellung löst sich inhaltlich vom landläufigen Verständnis einer rein hedonistischen Nacht- und Feierkultur und richtet den Fokus stattdessen auf künstlerische Praktiken, die Faszination von technologischem Fortschritt sowie mit der Technokultur in Zusammenhang stehende politische und emanzipatorische Errungenschaften. Präsentiert werden dabei neben Infotafeln Kunstwerke, Dokumentarfilme, Fotografien und Soundinstallationen.

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Eines der Herzstücke der Ausstellung ist die Soundinstallation »Objects and Bodies« des Berliner Musikers und Klangkünstlers Robert Lippok aus dem Jahr 2020. Mittels eines Niederfrequenz-Oszillators erzeugt die Konstruktion einen Puls, der über elektrodynamische Steuersender auf eine Zimbel übertragen wird und diese zum Klingen bringt. Videosynthesizer generieren derweil visuelle Elemente und übertragen diese auf Monitore. Das Ergebnis ist eine mehrdimensionale, gerade durch die stoische Repetitivität des Beats berauschende Erfahrung.

Darauf, dass neben den oft genannten männlichen Künstlern auch Frauen ganz wesentlich an der Herausbildung elektronischer Musik beteiligt waren, weist der Dokumentarfilm »Sistors with Transistors« hin. Darin wird die Pionierarbeit von Künstlerinnen wie Clara Rockmore, Daphne Oram, Bebe Barron, Suzanne Ciani und vielen weiteren dargestellt. Bereits im frühen 20. Jahrhundert experimentierten diese Frauen mit elektronischer Klangerzeugung, gerieten aber aufgrund der androzentrischen Musikgeschichtsschreibung früh in Vergessenheit.

Als ein besonderes Highlight von »Techno Worlds« erweist sich die Arbeit »MR-808« des Dresdner Musikproduzenten und Künstlers Moritz Simon. Dafür hat er – in Anlehnung an die für die Herausbildung moderner elektronischer Musik bahnbrechende Drummachine TR-808 aus dem Jahr 1980 – einen Schlagzeugroboter entwickelt, der von den Besucher*innen mittels eines Tablets programmiert werden kann. Akustische Elemente werden dabei durch spezielle Mechaniken getriggert. Die rein elektronisch generierten Klänge der TR-808 werden durch den Nachbau Simons gewissermaßen in ihre Ursprungsfassung retransformiert. Nicht zuletzt werden dadurch die engen Verbindungslinien elektronischer und analoger Klangelemente gerade in der Frühphase elektronischer Musik sichtbar.

Erweitert wird die Schau in Dresden um einen Teil, der die Entwicklungen der lokalen Technoszene der Stadt beleuchtet. Gerade in den 90er Jahren war die Stadt ein weltweiter Magnet der Ravekultur – zahlreiche progressive DJs aus aller Welt gastierten wiederholt in der Elbstadt. Manche sprachen gar vom »Detroit des Ostens« – in Anlehnung an jene Stadt, in der in den frühen 80er Jahren insbesondere afroamerikanische Jugendliche mit ihren Klangexperimenten den Grundstein für die Herausbildung moderner elektronischer Musik legten.

Die Entwicklungslinien der städtischen Clublandschaft werden dabei in einer Videoprojektion sichtbar, die die Neueröffnungen und Schließungen von Dresdner Technoclubs seit der Wendezeit im Schnelldurchlauf darstellt. Pioniere waren diesbezüglich die Betreiber*innen der »Gasschleuse«, die den Club im Jahr 1992 gründeten. 23 weitere Clubs folgten bis ins Jahr 2019, als das »object klein a« gegründet wurde, das sich mittlerweile zum überlokalen Aushängeschild der Stadt entwickelt hat. Die meisten Clubs schlossen innerhalb weniger Jahre. Nur acht der insgesamt 24 Clubs haben überlebt. Viele davon sind zurzeit aufgrund der Spätfolgen der Pandemie und der Inflation akut in ihrer Existenz bedroht.

Die Dresdner Robotron-Kantine bei der Ausstellungseröffnung
Die Dresdner Robotron-Kantine bei der Ausstellungseröffnung

Dass Techno nicht nur auf eskapistischem Hedonismus, sondern ebenso auf Haltung und politischer Interventionsbereitschaft fußt, zeigt eine Ausstellungsstation unter dem Namen »(Re-)Politisierung«. Darin werden die Aktionen des Netzwerks Tolerave im Zuge der Herausbildung der Pegida-Proteste ab dem Jahr 2014 beleuchtet, in dem sich zahlreiche Kollektive der Stadt zusammenfanden. Das Bündnis organisierte im Laufe der Zeit viele Partys, Demonstrationen sowie die Fahrraddemonstration »Toleride«. Diese führte in die nahegelegene Nachbarstadt Freital, in der die extreme Rechte selbst für sächsische Verhältnisse überproportional stark ist und in der es immer wieder zu Übergriffen auf geflüchtete Menschen kam. Bis heute ist das Bündnis aktiv und mobilisiert regelmäßig zu großen Demonstrationen.

Bedauernswert ist, dass die ausgestellten Exponate kaum in Relation zueinander gesetzt werden. Es mangelt an einem übergeordneten Ausstellungskonzept. Damit wirken die verschiedenen, größtenteils sehr sehenswerten Stationen der Ausstellung relativ willkürlich konzipiert. Paradoxerweise stehen sie dadurch ähnlich beziehungslos und fragmentiert nebeneinander, wie es dem Klischeebild der Techno-Kids im Vollrausch auf der Tanzfläche entspricht.

Die unsanierte Robotron-Kantine – in den 70er Jahren im Herzen der Stadt als Standort des Informationstechnologie-Unternehmens VEB Robotron errichtet und heutzutage ein Wahrzeichen der sogenannten Ostmoderne – erweist sich mit ihrer industriellen Ästhetik, den hohen Decken und Betonfassaden indes als überaus geeignetes Ambiente. Kurz wird man wehmütig bei dem Gedanken, dass dies rein architektonisch der ideale Ort für den nächsten Technoclub der Stadt wäre. Bedarf gibt es dafür nicht erst seit der angekündigten Schließung des Leipziger Instituts für Zukunft, kurz IfZ, zum Jahresende. Zu rechnen ist damit allerdings nicht: Erst im Mai beschloss der Dresdner Stadtrat, dass das Gebäude nach einer umfangreichen Kernsanierung in den Besitz des Kunsthauses Dresden übergehen wird.

»Techno Worlds«, bis zum 28. Juli, Robotron-Kantine, Dresden

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