Kontra: Erfolgreich die Linke halbiert

Das BSW bekräftigt den gesellschaftlichen Rechtsruck von »links«

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 5 Min.
Schlägt in Deutschland Brücken – der Ordoliberalismus
Schlägt in Deutschland Brücken – der Ordoliberalismus

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht hat nicht der AfD geschadet, die bei den EU-Wahlen in Sachsen auf fast 38 Prozent, in Thüringen auf 31 Prozent kommt, wohl aber die Linke halbiert. Von zwei Millionen Stimmen für die Linkspartei 2019 ist genau die Hälfte übrig geblieben. Auch die Statistiken zur Wählerwanderung sind unmissverständlich: Das BSW gewann seine Stimmen nicht bei der AfD oder unter Nicht-Wähler*innen, sondern bei SPD und Linken. 580 000 BSW-Wähler*innen haben 2019 ihre Stimme noch der SPD, 470 000 der Linken gegeben. Von der AfD kommen gerade einmal 160 000, aus dem Kreis der Nicht-Wähler*innen 140 000 Stimmen. Von daher kann es keine Frage geben: Das BSW hat den Rechtsruck zementiert. Es trägt maßgeblich dazu bei, dass nun überhaupt keine solidarische Alternative zum herrschenden neoliberal-rassistischen Konsens mehr sichtbar ist.

Dieser Kommentar ist Teil einer Pro/Kontra-Debatte. Die Meinung von Sebastian Friedrich lesen Sie hier: Ausdruck schlechter Zeiten

»Aber«, so lautet der Einwand einiger Analyst*innen, »das BSW hat die AfD zwar nicht gestoppt, aber möglicherweise deren Zuwachs gebremst«. Diese These ist schwer zu überprüfen, denn sie bezieht sich allein auf die vorübergehend noch höheren AfD-Umfragewerte. Man muss sich auch fragen, was »bremsen« bedeutet, wenn das BSW zu antifaschistischen Mobilisierungen ausdrücklich nicht aufruft und stattdessen appelliert, AfD-Wähler*innen »nicht pauschal in die rechte Ecke zu stellen«. Der Kampf des BSW gegen die extreme Rechte erinnert denn doch eher daran, was Kurt Tucholsky 1932 spöttisch über die Haltung der bürgerlichen Parteien zur NSDAP schrieb: Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft.

Man sollte die Diskussion über das BSW aber auch nicht auf Wahlarithmetik reduzieren. So wenig sich der Sozialismus durch eine linke Regierungsbildung einführen lässt, wird der Faschismus in erster Linie bei Wahlen gewinnen. Grundlegende gesellschaftliche Transformationen ergeben sich aus ökonomischen Prozessen, der Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und politischer Mobilisierung – nicht aus Regierungsbildungen. Oder anders gedrückt: Wahlen spiegeln die gesellschaftlichen Verschiebungen. Gewonnen oder verloren werden Auseinandersetzungen hingegen in sozialen Kämpfen.

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Gewiss: Für den Faschismus, der die strukturellen Machtverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft nicht antastet, ist der Umbau der Gesellschaft durch eine Regierungsübernahme viel einfacher als für die Linke. Die extreme Rechte tastet das Privateigentum nicht an, sondern schwächt die Gewerkschaften; sie bricht nicht mit dem Staat, sondern stärkt die Sicherheitsapparate auf Kosten demokratischer Grundrechte. Trotzdem braucht auch der Faschismus den gesellschaftliche Aufbruch, wenn er erfolgreich sein will: Diskurshoheit, Alltagspraxis, die Verbreitung rassistischer und antifeministische Ressentiments – das sind die Grundlagen seiner Mobilisierung. Und deswegen wird der Kampf gegen den Faschismus genau hier gewonnen: im Widerstand gegen die Alltagspräsenz, -praxis und -erzählungen der Rechten.

Genau das aber muss man dem BSW vorwerfen. Sahra Wagenknecht steht für eine moderne und besonders üble Variante des Opportunismus. Sie befeuert die Entsolidarisierung, indem sie rassistische und antifeministische Ressentiments unwidersprochen lässt oder sogar befeuert. Das BSW stimmt fast immer mit ein, wenn die bürgerliche Gesellschaft an der Entmenschlichungsschraube dreht: Grenzschließung, Solidarität nur für Einheimische, Sanktionen gegen vermeintlich Arbeitsscheue, Stärkung der Polizei (zur Elendskontrolle) – das sind die genuin rechten Botschaften, die die Entsolidarisierung innerhalb der unteren Klassen vorantreiben sollen. Dass das BSW nicht die einzige Partei ist, die in diesen Chor einstimmt, macht die Sache nicht besser. Als angeblich linke Stimme legitimiert sie das rechte Projekt auf besondere Weise.

»Aber die Außenpolitik!«, werden manche an dieser Stelle einwenden. Ja, das BSW widersetzt sich der Nato, dem weiterhin wichtigsten Treiber der militärischen Aufrüstung weltweit. Doch das ist nur auf den ersten Blick eine positive Nachricht. Denn die BSW-Kritik an der imperialistischen Nato geht einher mit einer systematischen Verharmlosung des Putinschen Sub-Imperialismus. Es mag schon sein, dass die Gefahr einer militärischen Eskalation in Europa kurzfristig sinken würde, wenn beispielsweise der Rassemblement National in Frankreich die Wahlen gewänne und der Westen keine gemeinsame Ukraine-Strategie mehr verfolgte. Aber wenn es darum geht, geopolitische Interessen zu verteidigen, ist das russische Projekt selbstverständlich nicht weniger aggressiv als das US-amerikanische, deutsche oder französische. Wer es nicht glaubt, kann sich bei der syrischen Bevölkerung informieren, die ab 2014 unter russischer Führung genauso gnadenlos ausgebombt wurde, wie es den Palästinenser*innen dank der westlichen Nahost-Politik gerade widerfährt.

Nein, das BSW ist keine linke Kraft. Es ist eine Karriereplattform für eine nicht-transatlantisch orientierte Fraktion der deutschen Sozialdemokratie. Wer den Faschismus stoppen will, muss eine eigenständige, dritte Kraft organisieren – gegen den neuen Militarismus der Mitte und gegen die rassistische Mobilisierung von rechts. Jedes Zugeständnis an rechte Ressentiments verbietet sich dabei.

Rassismus ist kein Kavaliersdelikt. Es ist ein Angriff auf den Kern linker Politik. Die Arbeiterklasse entstand im frühen 19. Jahrhundert in und durch die Praxis der Solidarität, und genau hier wird der Kampf gegen rechts auch entschieden. Eine Partei, die zur Entsolidarisierung innerhalb der »unteren Klassen« beiträgt, indem sie zwischen deutsch und nichtdeutsch unterscheidet und das Kulturkampftheater der Rechten verstärkt, ist alles, nur ganz gewiss kein Instrument gegen rechts.

Pro: Ausdruck schlechter Zeiten

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