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Das Geld ist erst wirklich, wenn es verschwunden ist
Eine faszinierende Neuinterpretation der historischen Rolle eines Zahlungsmittels
Das Geld wird abgeschafft, ich kenn’ schon einen, der gar keins mehr hat«, bemerkte einst Karl Marx, der chronisch klamme Vater der Wertkritik. Hierbei soll es sich keinesfalls um den bitteren Scherz eines Denkers handeln, der zwar zeitlebens viel über Geld nachdachte, aber nur über wenig verfügte. Vielmehr soll es sich – folgt man den Autoren Frank Engster, Aldo Haesler und Oliver Schlaudt – um die noch bitterere Realität unserer durchkapitalisierten Spätmoderne handeln. »Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens« lautet der Titel ihres Gemeinschaftswerkes, das nicht weniger als die »objektive Bedeutung des Geldes« zu erklären verspricht. »Eine Objektivität, über die wir weder in Theorie noch in Praxis verfügen, aber die durchaus über uns verfügt, nämlich unser Denken und Handeln bestimmt.«
Was ist also eine Philosophie des Geldes? Und was unterscheidet sie von einer Geschichte, einer Mikrosoziologie oder gar einer ökonomischen Theorie des Geldes? Um das zu verstehen, müssen wir zunächst mit einer Behauptung aufräumen, die Apologeten des Kapitalismus von Friedrich von Hayek bis Javier Milei hartnäckig verbreiten: Das Geld sei (nur) ein neutrales Mittel, um den innergesellschaftlichen Güteraustausch zu vereinfachen.
Geld, das wissen wir bereits seit dem erwähnten Karl Marx, ist nur der materielle Ausdruck eines gesellschaftlichen Wertverhältnisses, das darauf hinausläuft, konkrete (und somit unterschiedliche) Arbeiten in abstrakte (also austauschbare) Arbeit zu verwandeln. Geld ist damit aber metaphysisch nicht neutral.
Hier steigt das Buch ein: Dem Geld ist bereits eine bestimmte Art des Weltbezuges eingeschrieben. Es setzt eine bestimmte Art der Gesellschaft, der Zeitlichkeit, der Objektivität voraus und damit eine bestimmte Vorstellung von Gerechtigkeit, Reichtum und Rationalität. Doch – und das ist die metaphysische Schwierigkeit, mit der wir es hier zu tun haben – es sind nicht diese bestimmten Vorstellungen und Verhältnisse, die das Geld hervorbringen, sondern umgekehrt: Das Geldverhältnis bringt eine bestimmte Form der Objektivität hervor, die rückblickend die Entstehung des Geldes als logischen Prozess erscheinen lässt. Wie bei einem Möbiusband sind die beiden Seiten der historischen und der logischen Rekonstruktion des Geldes identisch.
Doch Moment! Wenn das Geld (und wer wollte das bestreiten?) eine so zentrale Rolle einnimmt, was hat es dann mit seinem Verschwinden auf sich? Darüber geben die Autoren selbst Auskunft: »Dieses Buch wurde in dem historischen Moment geschrieben, da das Geld im Verschwinden begriffen ist. Mit dem Verschwinden des Geldes ist keineswegs nur das Bargeld gemeint, das zunehmend im elektronischen Zahlungsverkehr aufgeht; im Bargeld beobachten wir nur das gleichsam sichtbarste und offensichtlichste Verschwinden des Geldes. Dieses Verschwinden ist vielmehr Symptom einer viel grundlegenderen Entwicklung, die geradezu als ein Zu-sich-Kommen des Geldes durch sein Verschwinden begriffen werden kann.«
Damit ist die zentrale These des Buches ausgesprochen, die es zugleich von anderen Veröffentlichungen unterscheidet, die Geschichten oder Soziologien des Geldes ankündigen: Das Geld ist erst wirklich, das heißt im vollen Sinne Geld, wenn es als Geld verschwunden ist, weil es die ganze Gesellschaft durchdrungen hat. Wie der Fisch in David Foster Wallaces Essay »This is Water«, der nicht weiß, was Wasser ist, weil es ihn ganz umgibt, wissen wir – als Bewohner des Kapitalismus – nicht, was Geld ist. Die Autoren nennen dies Hyperfetischismus.
Der Fetischcharakter der Ware ist bei Marx die merkwürdige »gesellschaftliche Natureigenschaft«, die die Dinge als Waren in kapitalistischen Gesellschaften annehmen, nämlich einen Wert zu haben. Diese Eigenschaft ist objektiv wie andere Natureigenschaften – Schwere, Ausdehnung, etc. Aber sie ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses, nämlich der in der Produktion verausgabten Arbeit. Der Fetischcharakter basiert damit auf der berühmten Teilung in Ware und Geld, die im Kapitalismus zirkulieren.
Die zentrale These des Buches ist nun, dass im heutigen Hyperkapitalismus Erstere zunehmend aus der Zirkulation verdrängt wird. Indem das Modell der Kapitalakkumulation vom Eigentum an Produktionsmitteln zur Herrschaft über Kapitalflüsse verlagert wird, verschwindet die Ware (W) zunehmend aus dem Modell der Kapitalzirkulation von Geld und Ware (G-W-G). Damit verliert das Geld aber zusehends sein Definiens, nämlich Ausdruck eines bestimmten Quantums an (Waren-)Wert zu sein. Was bleibt, ist die reine, gegenstandslose Quantität. »Als Hyperfetischismus bezeichnen wir in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass ein Faktum weder wahrgenommen wird noch wahrgenommen werden kann. Man kann es nur noch äußerlich beschreiben …«
Mit der »Kleinen Philosophie des Geldes« haben Engster, Haesler und Schlaudt also keineswegs auch eine kleine Denkleistung vorgelegt. Vielmehr handelt es sich um eine äußerst dichte Rekonstruktion der Rolle, die das Geld in unserer Gesellschaft einnimmt. Obgleich sich das Buch über weite Strecken am Altmeister Marx orientiert, liest es sich keinesfalls als orthodox-marxistische Kritik des Finanzkapitalismus. Im Gegenteil: Durch den kenntnisreichen Rückgriff auf die marxistische Tradition ist den Autoren ein spannender – wenn auch in vielen Punkten nicht ganz einfacher – Blick auf den gegenwärtigen Kapitalismus gelungen. Eine äußerliche Beschreibung, »… dicht genug, daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen«.
Frank Engster/Aldo Haesler/Oliver Schlaudt: Kleine Philosophie des Geldes im Augenblick seines Verschwindens. Matthes & Seitz, 318 S., geb., 28 €.
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