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Faire Schokolade: Wertschöpfung für Afrika
Ein deutsches Start-up produziert in Ghana die wohl fairste Schokolade der Welt
Hendrik Reimers hat große Träume: »Unsere Vision ist es, bis zum Jahr 2030 rund 10 000 Menschen in Afrika in gut bezahlte Arbeit zu bringen.« Und der ehemalige Software-Manager orientiert sich dabei an Nelson Mandela: »Es erscheint immer unmöglich, bis es getan ist.« Getan und auf den Weg gebracht wurde schon einiges. Bisher sind es 115 Arbeitsplätze, die das deutsche Start-up Fairafric seit 2016 in Ghana geschaffen hat. Mit der Herstellung von Schokolade in Amanase, das rund 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Accra inmitten von Kakaoplantagen gelegen ist. Eine der Beschäftigten ist Linda, ein anderer Philip. Für beide ist die Anstellung in der Schokoladenfabrik ein Glücksfall.
Linda stammt aus Amanase und war im April 2020 wie alle Anwohner*innen baff erstaunt, als die Bagger anrückten und das ungeplant ausgerechnet kurz nach der Verkündung des Lockdowns wegen der Corona-Pandemie. Dass an ihrem Heimatort eine Schokoladenfabrik gebaut werden sollte, konnte sie kaum glauben. Doch wie so viele Ghanaer*innen, die mit informellen Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, fehlt es ihr nicht an Geschäftstüchtigkeit: Ein Verkaufsstand vor der Baustelle, um die rund 100 Bauarbeiter mit Essen und Notwendigem zu versorgen, da die nächste Einkaufsgelegenheit doch in weiter Ferne liegen würde, schlug sie vor.
Der tägliche Strom an Nachrichten über Krieg, Armut und Klimakrise bildet selten ab, dass es bereits Lösungsansätze und -ideen, Alternativprojekte und Best-Practice-Beispiele gibt. Wir wollen das ändern. In unserer konstruktiven Rubrik »Es geht auch anders« blicken wir auf Alternativen zum Bestehenden. Denn manche davon gibt es schon, in Dörfern, Hinterhöfen oder anderen Ländern, andere stehen bislang erst auf dem Papier. Aber sie zeigen, dass es auch anders geht.
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Lindas Eigeninitiative trägt Früchte
Fairafric erteilte beeindruckt von Lindas Eigeninitiative die Erlaubnis und Linda verkaufte während der fünfmonatigen Bauzeit von morgens bis abends warme Mahlzeiten. Ohne Bau, keine Bauarbeiter, weswegen Linda direkt nachfragte: »Habt ihr vielleicht einen Job für mich?« Mit diesem Ansinnen stand und steht Linda alles andere als allein, auf jede Stelle gibt es meist unzählige Anfragen. »Bei Linda waren wir von ihrem Mut, ihrem Einfallsreichtum und ihrem starken Willen, immer das Beste aus einer Situation zu machen, begeistert. Wir fühlten uns ihr verbunden und boten ihr an, als Reinigungskraft anzufangen und bei uns Englisch zu lernen, damit sie sich weitere Chancen erarbeiten konnte«, beschreibt Reimers Lindas Einstieg bei Fairafric, wo jede Person einen Karrierepfad hat, der regelmäßig mit dem Management besprochen wird. Linda landete in der Wäscherei, weil ihr das Reinigen der Wäsche immer schon viel Freude bereitet hatte. Ihr Traum ist eine eigene Wäscherei. So weit ist sie noch nicht, aber zur Leiterin der Wäscherei bei Fairafric hat sie es inzwischen gebracht. Und das mit kaum formeller Schulbildung, weil das die wirtschaftliche Lage ihrer Familie nicht zuließ. Bis zu ihrem Start bei Fairafric hatte sich die 32-jährige zweifache Mutter mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Nun hat sie einen formellen Job mit Kranken- und Rentenversicherung, in Ghana ist das die Ausnahme von der Regel. Und obendrein ist die ganze Familie bei der Krankenversicherung mitversichert.
Philip war schon ausgebildeter Elektriker, als er bei Fairafric anfing. Er ist in der Nähe der Fabrik aufgewachsen, ohne Strom. Das weckte früh seine Begeisterung für Batterien und als er es nach vielen Experimenten schaffte, das häusliche Wohnzimmer in der Dunkelheit zu beleuchten, war seine Begeisterung für Elektrizität geboren und sein Traum befeuert, mit Strom zu arbeiten. Nach der Schule begann er eine Ausbildung zum Elektriker. Lange schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch bis er schließlich 2013 beim staatlichen Strommonopolisten ECG unterkam. Das Gehalt war kärglich, sodass er sich immer mal wieder etwas dazuverdiente und dabei erstmals mit Fairafric in Berührung kam. Dort überzeugte er bei seinen wiederkehrenden Einsätzen immer wieder. 2021 war die Hilfe von Philip erneut gefragt. Er bot an, sofort zu kommen, da er Zeit hätte, weil er und viele seiner Kolleg*innen nach der Privatisierung des Energiekonzerns auf die Straße gesetzt worden seien. Danach verdiente Philip als Tagelöhner bei einem Autohaus gerade mal knapp 100 Euro im Monat – als ausgelernter Elektriker mit fast zehn Jahren Berufserfahrung.
Sozialversicherung ist in Ghana die Ausnahme
Als wenige Monate später eine Elektrikerstelle bei Fairafric frei wurde, wurde sie Philip angeboten. Gehalt an die 300 Euro, zudem kranken- und rentenversichert. Seit drei Jahren ist Philip nun bei Fairafric und inzwischen Senior Techniker. Zuvor hatte er sich weitergebildet, in Management von Solaranlagen und Energie, in Computertechniken, aber auch bei einem Training im Bereich der Lebensmittelsicherheit. Das Ende der Karrierestange ist für Philip damit noch nicht erreicht. Sein Wunsch ist es, eines Tages eine Management Position bei Fairafric zu erklimmen.
Hoch hinaus wollte von Beginn an auch der Gründer Reimers. 2020 wurden 160 000 Tafeln für den deutschen Markt produziert, erzählt er im Herbst 2023 in Berlin, als im Rahmen einer Kinotour der Dokumentarfilm »Decolonize Chocolate 2« gezeigt wurde. Dort wird die Geschichte von Fairafric im Zeitraffer dokumentiert, wie aus dem Traum einer eigenen Schokoladenfabrik direkt neben den Kakaoplantagen in Ghana Wirklichkeit wird. Sieben Millionen Euro hat der Bau gekostet, in 25 bis 30 Jahren sollen die Baukredite abbezahlt sein, auch vom deutschen Entwicklungsministerium gab es ein Darlehen über zwei Millionen Euro. 2023 belief sich die Produktion in der Fabrik schon auf rund drei Millionen Tafeln.
Luft nach oben ist noch reichlich: Die Kapazität reicht für 50 Millionen Tafeln jährlich. Erst vor 20 Jahren habe die Europäische Union die Zölle für Schokolade abgeschafft, erzählt Reimers. Bekanntlich verfolgen die Länder des Globalen Nordens seit Jahr und Tag das Prinzip der Zolleskalation, bei dem die Zölle mit steigender Wertschöpfung der Produkte steigen, sodass Rohstoffe zollfrei exportiert werden können, verarbeitete Produkte jedoch nicht, was der Verarbeitung im Globalen Süden zum Wettbewerbsnachteil gereicht.
Zwar ist Ghana mit der Côte d’Ivoire die führende Kakao-Anbauregion in der Welt, doch weiterverarbeitet werden die Bohnen in der Regel nicht dort, auch wenn es in Ghana eine Handvoll Schokoladenfabriken gibt, teils einheimische, teils in ausländischem Eigentum. Die lokalen Kakaobauern verdienen mit ihren Bohnen nur einen Bruchteil dessen, was die Unternehmen mit ihrem Verkauf von Schokolade im Globalen Norden erlösen. Fairafric will das anders machen und macht das anders. Das Unternehmen zahlt den Produzenten die höchsten Kakaoprämien in Westafrika, die dreimal so hoch sind wie die der gängigen fairen Zertifizierungen. Rund das Zehnfache an Wert pro Tafel bleibt in Ghana im Vergleich zu einer in Deutschland produzierten Schokolade auf der Basis importierter Kakaobohnen.
»Unsere Vision ist es, bis zum Jahr 2030 rund 10 000 Menschen in Afrika in gut bezahlte Arbeit zu bringen.«
Hendrik Reimers Fairafric-Gründer
Die Nichtregierungsorganisation Inkota hat ausgerechnet, dass vom Verkaufspreis von einem Euro einer Tafel Schokolade sechs bis sieben Cent in Ghana ankommen, bei Fairafric beläuft sich nach Angaben von Reimers die Wertschöpfung summa summarum auf fast 90 Cent pro Tafel, die allerdings als Premium-Bioprodukt ihren Preis haben: 2,90 für 80 Gramm. Und das war vor der Kakaokrise. Unter anderem wegen einer Missernte hat der Weltmarktpreis 2024 ein historisches Allzeithoch erreicht und liegt derzeit bei rund 10 000 Dollar pro Tonne – vor einem Jahr waren es noch unter 3 000 Dollar. Seit Mai 2024 kostet eine Tafel Fairafric Schokolade ab 3,99 Euro.
Das Sortiment variiert immer wieder, eine vegane, helle Schokolade auf der Basis von Cashew-Creme ist einer der neuen Renner. Reimers legt großen Wert darauf, neben den Kakaobohnen so viele Vorprodukte wie möglich aus afrikanischen Quellen zu beziehen. Die Bio-Cashews kommen von einer Kooperative aus dem Nachbarland Burkina Faso, die Moringa-Blätter vom sogenannten Meerrettichbaum direkt von Kleinbauernfamilien aus Ghana.
Der Markt für Premium-Schokolade hat seit Beginn des Ukraine-Kriegs gelitten, gespart wird offenbar in den deutschen Haushalten auch an teurer Schokolade. Um 40 Prozent fiel der Absatz 2022 im Premium-Segment, sagt Reimers, bei Fairafric war es nicht so drastisch. Trotzdem wurde die Produktpalette diversifiziert, um sich robuster aufzustellen. Seit November 2022 laufen in Amanase Bio-Schokodrops von den Bändern – für Großbäckereien, Chocolaterien oder Gebäckhersteller. Die Kapazitäten sind da voll ausgelastet. Ebenso wie in der eigenen Chocolaterie, die seit 2020 auch die erste formelle Chocolaterie-Schule in Ghana umfasst, in der Menschen aus der Region eine kostenfreie Ausbildung erhalten. 17 Chocolatiers wurden bereits ausgebildet, die allesamt übernommen wurden. All das lässt sich inzwischen auch bei der sogenannten »farm to factory tour« vor Ort für Interessierte anschauen, von der Plantage über die Fabrik bis hin zur Chocolaterie.
Als Software-Manager hieß die Devise »Profit over people« (Gewinne über Menschen), beschreibt Reimers seine einstige Tätigkeit, die trotz sehr guter Entlohnung ihm wenig Zufriedenheit verschaffte. Jetzt lautet die Devise umgekehrt: »People over Profit« (Menschen über Gewinne) erzählt Reimers bei der Veranstaltung in Berlin. Noch ist Fairafric in der Verlustzone, aber ab 2025 soll es in die Gewinnzone gehen. Am Prinzip Menschen über Gewinne ändert das freilich nichts.
Mehr Infos unter: https://fairafric.com
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