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Krieg in Gaza: »Der 7. Oktober hat die Muslime im Libanon geeint«
Der Gaza-Krieg hat in Beirut zu einer breiten Unterstützung der Hamas geführt
Die Lage spitzt sich im Libanon zu. Nachdem das israelische Militär den Hisbollah-Kommandanten Talib Sami Abdallah am vergangenen Dienstag getötet hatte, haben die Kämpfe vor allem im Süden des Landes zugenommen. Die Hisbollah vermeldete am Tag darauf, mehr als 100 Raketen auf militärische Ziele im Norden Israels abgefeuert zu haben. Es war der heftigste Raketenangriff vom Libanon aus auf das Nachbarland seit dem Beginn der Kampfhandlungen am 7. Oktober.
Auch in Beirut ist die Stimmung angespannt. Die vielen Angriffe in diesem Jahr im Grenznahen Gebiet im Süden und im Osten des Landes haben Spuren hinterlassen. Bevor wir ins palästinensische Flüchtlingslager Burdsch Al-Baradschneh, besuchen meine Begleiter das Freitagsgebet. Sie sind lokale Kooperationspartner der österreichischen Hilfsorganisation Rahma Austria.
Es ist heiß auf dem sonnigen Platz der Märtyrer in der Innenstadt Beiruts nahe dem Hafen. Gleich neben der Mohammad Al-Amin-Moschee, die der damalige libanesische Premierminister Rafik Hariri im Jahr 2003 in Auftrag gab, liegen die katholisch-maronitische Sankt-Georgs-Kathedrale und schräg gegenüber die griechisch-orthodoxe Sankt-Georgs-Kathedrale. Dazwischen Ruinen. »Wir haben über tausende Jahre hier friedlich gemeinsam zusammengelebt«, erklärt unser Fahrer Raschid und zeigt mit seiner Hand auf die christlichen Gotteshäuser im Hintergrund. »Wir haben keinen Hass gekannt. Der Hass wurde vom Westen hierhergebracht.« Danach verschwindet auch er in die Moschee zum Freitagsgebet.
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Vorm Eingang breitet eine Gruppe von sechs Männern mit palästinensischen Fahnen ihre Gebetsteppiche aus. Wie Dutzende andere beten sie vor der Moschee. Anschließend stehen sie auf, rollen ihre Teppiche zusammen und wickeln die Palästina-Fahnen aus. Alle tragen dünne, ockerfarbene Westen. Auf ihrem Rücken deutlich sichtbar das gestickte Logo der palästinensischen Hamas. Sie stellen sich mit Spendenboxen vor die drei Eingangstore, auf denen ebenfalls das Hamas-Logo prangt. Nahezu jeder, der die Moschee verlässt, wirft Geld hinein: »Der 7. Oktober hat die Muslime im Libanon geeint. Heute unterstützt jeder Muslime im Land die Hamas«, betont Raschid, als er vom Beten zurückgekommen ist und auf die Hamas-Spendenboxen blickt.
Vor wenigen Jahren war das noch anders. Im benachbarten Syrien kämpften einige den Muslimbrüdern nahe palästinensische Gruppe gegen die Assad-Regierung. Unterstützt wurden sie auch von Libanons Sunniten. Viele palästinensische Fraktionen, wie PFLP-GC und andere linke und säkulare Kräfte, die zumeist seit Jahrzehnten ihre Hauptquartiere in Damaskus hatten, kämpften an der Seite der schiitischen Hisbollah gegen die Freie syrische Armee (FSA), Al-Nusra, Al-Qaida und Daesch/IS.
Die Konflikte trugen sie auch auf den Straßen Beiruts aus. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen im Umfeld der Moschee bei den Freitagsgebeten. Obwohl der Libanon wie kein anderes Land der Welt Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat, sind die Symbole der FSA wieder aus dem Straßenbild verschwunden.
Im westlichen Teil der Innenstadt zieren heute die Bilder der Märtyrer der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei das Straßenbild, etwas weiter jene der bürgerlich-schiitischen Amal-Miliz. Beide kämpfen seit dem 7. Oktober, wie Hamas und Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ), unter der Kontrolle der Hisbollah im Süden des Landes gegen Israel.
Je weiter man in den Süden der Stadt kommt, desto deutlicher wird der iranische Einfluss. Meterhohe, schwarze Fotomontagen des bei einem Hubschrauberabsturz im Mai verunglückten iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi und die Gesichter der mit ihm Verunglückten zieren auf beiden Seiten die viel befahrenen Straße durch die südlichen Vororte Beiruts Richtung Hariri-Flughafen.
Die weitläufigen, schiitischen Stadtteile werden von der Hisbollah regiert. Hier befinden sich auch die palästinensischen Flüchtlingslager. Im Norden Mar Elias, Sabra und Schatila. Burdsch Al-Baradschneh ist eines der ältesten Flüchtlingslager im Libanon. 1948 wurde es für 3500 Menschen vom Roten Kreuz errichtet. Heute sollen hier 25 000 Menschen leben.
»Jetzt gib deine Kamera weg und filme nicht«, bittet mich Karim, als wir uns dem Lager nähern. Er ist selbst Palästinenser und zeigt mit der Hand über die unterschiedlichen Stadtteile: »Da vorne rechts ist Burdsch Al-Baradschneh und links hier, das ist alles Hisbollah-Gebiet. Der Geheimdienst der Hisbollah ist stark, und sie wollen nicht, dass in den Wohngegenden fotografiert wird – vor allem nicht von Ausländern.«
Der Eingang von Burdsch Al-Baradschneh ist klein und unscheinbar. Neben einem Getränkestand, wo auch Geld für Gaza gesammelt wird, geht ein schmaler, vielleicht einen Meter breiter Gang durch einen Hinterhof. Nach ein paar Metern biegt er neunzig Grad nach rechts und eine ältere Frau steht mit einem Kübel Wasser vor uns. Sie wischt gerade ihren Hauseingang auf und wir stapfen durch das Wasser – Platz, um auszuweichen ist keiner.
Auf beiden Seiten ragen sieben-, acht- und neunstöckige Wohnhäuser in den Himmel. Platz gibt es in Burdsch Al-Baradschneh keinen mehr. Palästinensische Flüchtlinge haben kein Recht, Eigentum zu erwerben. Kaum jemand hat die Möglichkeit, die Flüchtlingslager legal zu verlassen. Viele leben als unangemeldete Untermieter bei Libanesen. Mit dem Krieg in Syrien sind noch einmal Zehntausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland hinzugekommen. Wie viele Syrer dort leben, weiß niemand so genau. Sie haben wie Palästinenser nur eingeschränkte Rechte im Libanon: »Es gibt bereits mehr Muslime als Christen im Land«, erzählt Tarkan Tek, Projektleiter von Rahma Austria. »Die christlichen Parteien blockieren im Parlament, dass die Flüchtlinge mehr Rechte erhalten. Die Maroniten haben Angst, ihren Einfluss zu verlieren.«
Im Libanon leben rund etwa 400 000 registrierte palästinensische, syrische und irakische Geflüchtete. Wie hoch aber die tatsächliche Anzahl ist, kann nur geschätzt werden. Während des Syrien-Kriegs suchten nämlich rund 1,5 Millionen Menschen im Libanon Schutz, dabei hat das Land nur etwa 5,5 Millionen Einwohner. Der rapide Bevölkerungsanstieg stellt die Wirtschaft und die Infrastruktur vor große Belastungen. Immer wieder kommt es zu Engpässen bei der Versorgung mit elektrischem Strom und Trinkwasser.
Das politische System ist von einem religiösen Proporz geprägt, damit möglichst alle Bevölkerungsgruppen am politischen Leben teilhaben können. Basierend auf dem Nationalpakt von 1943 sind die vier höchsten Staatsämter Angehörigen bestimmter religiöser Gruppen vorbehalten: Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein; der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim, der Regierungschef ein sunnitischer Muslim, der Oberbefehlshaber der Armee ein Christ und der Vize-Präsident des Parlaments sowie der Vize-Regierungschef müssen griechisch-orthodoxe Christen sein.
Seit 2019 befindet sich das Land in einer schweren Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation, die auch zu einer politischen Instabilität geführt hat. 2022 kam eine politische Legitimationskrise hinzu: Damals endete die reguläre Amtszeit von Präsident Michel Aoun, und selbst nach einem Dutzend Sitzungen konnte sich das Parlament auf keinen Nachfolger einigen. Damit ist auch die Exekutive im Stillstand, der Regierungschef nur noch geschäftsführend tätig. Von der Krise kann die schiitische Hisbollah profitieren. Ihr Einfluss ist in weiten Teilen des Landes gestiegen. Und die Spannungen mit Israel haben rasch wieder zugenommen. nd
Weil die Flüchtlingslager keine neuen Flächen zugewiesen bekommen, wachsen die Gebäude in die Höhe. Über den Gassen, die ins Innere von Burdsch Al-Baradschneh führen, verlaufen unzählige offen liegende Stromkabel. Dadurch ist es schon am frühen Nachmittag nahezu dunkel. Die Häuserwände sind voll mit schwarzen Graffiti der Sprecher der bewaffneten palästinensischen Fraktionen.
Nach einigen Gehminuten werden die Wege etwas breiter und heller, Geschäftsgassen tun sich auf. Aus einem Häusereingang zischt es, und Funken sprühen. Ein Kabel beginnt zu brennen. Ein Junge läuft mit einem Feuerlöscher vorbei und löscht den Brand. »Rund 50 Menschen sterben hier jährlich wegen der Brände, die durch Elektrizität ausbrechen«, erzählt Tek. Die vielen offen liegenden Stromkabel, die rudimentär an Verteilerboxen angelötet sind, machen tatsächlich keinen sicheren Eindruck.
»Jetzt nimm deine Kamera weg und hör auf zu filmen!«, bittet mich Karim abermals. Vor uns steht eine Gruppe von einem halben Dutzend Bewaffneter von den Al-Aqsa-Brigaden der Fatah in Uniformen und Kalaschnikows im Anschlag. Sie patroullieren im Lager und sorgen für Sicherheit. 2015 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter in Burdsch Al-Baradschneh in die Luft. Das waren syrische Daesch-Mitglieder. 37 Menschen starben, 180 wurden verletzt. Fatah führt offiziell die Regierung. Die Behörden in Burdsch Al-Baradschneh werden aus Ramallah im Westjordanland bezahlt. Aber alle Fraktionen haben ihre Milizen in den Lagern, um sie zu verteidigen.
Viele in Burdsch Al-Baradschneh setzen Hoffnungen auf den 2000er Jahren in Israel zu fünfmal lebenslanger Haft verurteilten Fatah-Mann, Marwan Barghuthi. Auch von dem früheren Präsidenten der palästinensichen Gebieten, Jassir Arafat, der 2004 starb, sind an den Eingängen noch einige verblasste Bilder zu erkennen. »Die Fatah kann erst wieder eine revolutionäre Organisation werden, wenn Barghuthi freigelassen wird«, meint Raschid. In Burdsch Al-Baradschneh dominieren die Bilder Hamas-Sprecher Abu Obeida sowie Märtyrer aus dem Südlibanon und Gaza, und die Fahnen des Libanon, Palästinas und Irans.
In den Geschäften nähen Frauen Kleider und Halsketten. Das Geld soll für Gaza gespendet werden. Junge Männer haben dagegen andere Pläne: »Ich möchte so rasch wie möglich nach Gaza, um dort zu kämpfen«, erklärt einer. Die Stimmung ist aufgeheizt. Nahezu ausschließlich dreht sich das Leben in den palästinensischen Flüchtlingslagern seit Oktober um Gaza. Aber alle hoffen, dass der Krieg nicht auf den Libanon und Beirut überschwappt. Doch gerade diese Gefahr wurde in den letzten Tagen aber zunehmend größer. Laut Medienberichten soll Israel bereits fertige Pläne für eine Bodenoffensive ausgearbeitet haben.
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