Direktor von »Il Manifesto«: »Opposition geht einfacher«

Andrea Fabozzi, Direktor von »Il Manifesto«, über Journalismus gegen die Rechte

  • Interview: Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.
»Il Manifesto« beim Tag der Befreiung Italiens vom Nazifaschismus, am 25. April Mailand. In der Mitte: Andrea Fabozzi
»Il Manifesto« beim Tag der Befreiung Italiens vom Nazifaschismus, am 25. April Mailand. In der Mitte: Andrea Fabozzi

Wie reagiert die italienische Gesellschaft auf den Sieg der Rechten bei den Europawahlen?

Zunächst: Die Rechte hat bei den Parlamentswahlen im September 2022 nicht die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten, sondern nur rund 44 Prozent, aber das aktuelle italienische Wahlsystem garantiert mit 44 Prozent der Wählerstimmen fast 60 Prozent der Sitze im Parlament. Das heißt, es war kein überwältigender Wahlerfolg Melonis, sondern rührt vor allem daher, dass die Linke und die Opposition gespalten waren. Diese Situation hat sich bei der Europawahl bestätigt: In anderthalb Jahren hat Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI) rund 700 000 Stimmen verloren gegenüber den Parlamentswahlen 2022. Zwischen Meloni und den Italienern herrschen keine Flitterwochen, statt zu wachsen, sinkt die Zustimmung. Aber es gibt eine Apathie: Nur jeder zweite ist zur Wahl gegangen.

Kann Meloni noch gestoppt werden bei ihrem Vorhaben, die italienische Gesellschaft radikal zu verändern?

Bei den Verhandlungen um die Spitzenpositionen der EU in Brüssel wird Meloni außen vor gehalten durch Liberale, Konservative und Sozialisten. Speziell Bundeskanzler Scholz hat Meloni in Apulien beim G7-Gipfel in einem Interview als extrem Rechte definiert. Und das hat Meloni enorm geärgert, weil sie dazu neigt zu erzählen, dass sie in Europa Beachtung findet. Dabei werden ihre früheren Positionen völlig vergessen: kontinuierliche Angriffe gegen die EU, ihre skeptische Haltung gegenüber den Corona-Impfungen, extremistische oder rückständige Positionen bei Fragen wie Migration und Schwangerschaftsabbruch. In diesem Sinne haben wir es mit einer ganz extremen Rechten zu tun.

Interview

Andrea Fabozzi wurde 1971 in Neapel geboren. Im Alter von 23 Jahren begann er als Journalist bei der Tageszeitung »Liberazione« zu arbeiten. Seit 2001 arbeitet er bei »il manifesto« und ist seit 2023 dessen Direktor. Zuvor war er Leiter des Politikressorts. Er lehrt Journalismus an einer Universität in Neapel und ist Autor des Podcasts »Italia anno zero« (Italien im Jahre Null). Die erste Ausgabe von »il manifesto« erschien im April 1971, die Zeitung ist als Genossenschaft unabhängig.

Wie ist es, eine linke Tageszeitung zu machen, wenn der Wind von rechts weht?

Ehrlich gesagt ist es einfacher, eine oppositionelle Zeitung zu machen als eine Zeitung, die offen ist gegenüber der Politik der Regierung oder deren Positionen punktuell teilt. »Il Manifesto«, eine kommunistische Tageszeitung, hat nie »befreundete Regierungen« gehabt. Erst vor ein paar Tagen habe ich erfahren, dass »Il Manifesto« die einzige Tageszeitung in Italien ist, die seit einigen Monaten steigende Verkaufszahlen aufweist, vor allem dank einer Steigerung im Onlinebereich. Den italienischen Printmedien geht es seit Jahren schlecht, bei uns dagegen läuft es seit fünf, sechs Monaten richtig gut. Das liegt sicher an unserer politischen Position gegenüber der Regierung Meloni, aber auch daran, wie wir über den Nahen Osten und Gaza berichten.

Das heißt, ihr geht besseren Zeiten entgegen?

Es gibt eine Kehrseite dieser Situation. Jetzt weigern sich häufig Minister, auf Fragen der Journalisten zu antworten, und greifen sie verbal an. Die Pressekonferenz von Ministerpräsidentin Meloni beim G7-Gipfel war die erste seit Jahresbeginn. In der ganzen Zeit hat sie sich geweigert, Pressekonferenzen abzuhalten. Zum Ende einer Sitzung des Ministerrats, also des Regierungskabinetts, war es immer üblich, dass die Ministerpräsidentin, oder zumindest die wichtigsten Minister, sich allen Fragen der Journalisten stellen. Es kommt dagegen nun sehr häufig vor, dass die Ministerpräsidentin oder einzelne Minister sich mit langen Briefen in Zeitungen zu Wort melden – ohne journalistische Vermittlung.

»Il Manifesto« hat in über 50 Jahren zahlreiche Krisen überwunden und ist immer unabhängig geblieben. Was ist das Geheimnis eures Erfolgs?

Wahrscheinlich gibt es dafür nicht nur eine Erklärung. Die Zeitung ist schon 53 Jahre alt und die einzige noch existierende der vielen Publikationen, die in den 1970er Jahren entstanden, zur Zeit der Neuen Linken. »Il Manifesto« ist vor allem gewachsen dank seiner Leserinnen und Leser und der Gemeinschaft, die rund um die Zeitung entstanden ist und sie viele Male gerettet hat. Wir haben Ausgaben zum Preis von 50 Euro produziert, viele Male Kampagnen zur Zeichnung von Genossenschaftsanteilen und Abonnements lanciert, deshalb konnten wir weitermachen. Den deutschen »nd«-Genossinnen und Genossen will ich aber sagen: Wenn man mich fragen würden, welches der beiden Elemente, die »Il Manifesto« auszeichnen, also zum einen seine politische Position einer antikapitalistischen Linken, mit dem Schriftzug »kommunistische Tageszeitung« im Zeitungstitel, zum anderen die Unabhängigkeit, also dass wir – so wie ihr – eine Genossenschaft von Journalisten sind, dann muss ich sagen: Die Unabhängigkeit der Zeitung ist heute unsere größte Stärke.

Glaubst du, dass Medien, die sich klar links verorten, ein Auslaufmodell sind? Gibt es eine Zukunft für euch und für uns?

Sicher gibt es eine Zukunft. Die große Schwierigkeit ist, junge Menschen zu überzeugen, dass es sich lohnt, etwas Geld auszugeben, um uns zu lesen. Ich habe viele Hinweise, dass »Il Manifesto« viel gelesen wird unter den 20- und 30-Jährigen; sie haben jedoch nur zu einem minimalen Teil ein Abonnement. In meinem Traum wäre »Il Manifesto« in einer florierenden wirtschaftlichen Lage, so, dass wir uns erlauben könnten, dass alle 20- und 30-Jährigen die Zeitung gratis lesen können.

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Was erhofft ihr euch von Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Zeitungen?

Unsere Kooperation ist sicher nützlich. Der Linken in Europa geht es ziemlich schlecht, gerade auch wegen der europäischen Politik. Es gibt starke anti-europäische Ressentiments, leider auch auf der Linken. Wenn wir es schaffen, miteinander zu reden, wäre das sehr hilfreich. Das, was in Deutschland passiert, ist für uns von absolutem Interesse. Ich wünsche mir, dass die italienischen Leser, auch dank eurer Artikel, die wir übersetzen und abdrucken wollen, viel mehr erfahren, auch über die Spaltung innerhalb der Partei Die Linke, über diese neue Partei BSW. Ich hoffe, dass wir dank euch fundierter über die Entwicklung der Linken in Deutschland berichten können.

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