Nach Europawahl: Abgetauchte Linke

Analyse und (Selbst)kritik nach Europawahl-Desaster an der Parteispitze bislang kaum wahrnehmbar

Nach dem Europawahldebakel reichte die Kraft mancherorts wohl auch nicht mehr zum Einsammeln der Plakate.
Nach dem Europawahldebakel reichte die Kraft mancherorts wohl auch nicht mehr zum Einsammeln der Plakate.

Ines Schwerdtner lässt bislang nichts gucken von Enttäuschung. Die Publizistin und Podcasterin mit ostdeutscher Biografie hat sich als Kandidatin auf Platz 5 der Liste der Linken zur Europawahl auf Veranstaltungen im ganzen Land engagiert, auf Straßen und Plätzen geredet, Infostände betreut. Dabei war Wochen vor der Wahl klar, dass sie nicht ins Straßburger Parlament kommen würde. Schließlich hatte Die Linke schon 2019 mit 5,5 Prozent der Wählerstimmen nur fünf Abgeordnete dorthin entsenden können.

Umso mehr hat der Sozialmediziner Gerhard Trabert in einem »nd« zugespielten internen Papier vom 13. Juni sein Entsetzen über den Umgang der Linke-Wahlkampfzentrale mit ihm selbst, aber auch anderen Engagierten kundgetan. Der einst von der Linken als Kandidat zur Wahl des Bundespräsidenten nominierte »Arzt der Armen« war Teil des »Spitzenquartetts« der Linken zur Europawahl. In der Folge fühlte er sich von der Wahlkampfleitung aber offenbar mehr oder weniger ins Abseits gestellt, lud ihn teils indirekt von Veranstaltungen aus.

Schwerdtner hat indes zumindest aus dem Linke-Landesverband Sachsen-Anhalt Anerkennung erfahren. Der zeigte sich für ihren Einsatz mit einem Geschenk erkenntlich: Auf einer Wahlauswertungsveranstaltung am Wochenende erhielt Schwerdtner ein neues Paar Turnschuhe »für die vielen gelaufenen Kilometer«, wie sie am Samstag im Onlinedienst X mitteilte.

Die Linke-Ko-Vorsitzende Jeanine Wissler äußerte sich am Montag auf nd-Anfrage indes eher allgemein und ausweichend zu möglichen Konsequenzen aus dem Wahldebakel und zu Kritik aus den eigenen Reihen. »Es gab Versäumnisse, und die müssen aufgearbeitet werden«, sagte sie mit Blick auf den Wahlkampf. Diesen werde man »kritisch auswerten, die organisatorischen und inhaltlichen Schwächen analysieren und Lehren für den Bundestagswahlen ziehen«. »Das werden wir im Parteivorstand und zusammen mit den Landesvorsitzenden und Landeswahlkampfleitungen tun«, kündigte Wissler an.

Zur Kritik von Trabert erklärte Wissler: »Dass es uns nicht gelungen ist, Gerhard Traberts Fachwissen und seine Person öffentlichkeitswirksamer im Wahlkampf einzusetzen, nehmen wir als eine ernst gemeinte Kritik an. Darüber sind wir mit ihm im Austausch.« Man danke Trabert »für sein großes Engagement und seine großartige Arbeit«. Zur vergangene Woche von der scheidenden Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch erneut geäußerten scharfen Kritik an der Arbeit des Vorstands und der Nominierung der Ökologin und Klimaaktivistin Carola Rackete auf Platz zwei der Europaliste der Linken äußerte sich Wissler nicht. Lötzschs Ankündigung, nicht erneut fürs Berliner Parlament zu kandidieren, »verbinde ich mit einem großen Dank für ihre jahrzehntelange Arbeit«, sagte sie.

Auch zu der Frage, ob für sie und ihren Ko-Vorsitzenden Martin Schirdewan angesichts der Wahlergebnisse ein Rücktritt in Frage komme, äußerte sich Wissler nicht. Schirdewan ist als Erstplatzierter auf der Linke-Liste zusammen mit Carola Rackete und Özlem Alev Demirel erneut ins Europaparlament eingezogen.

Wissler erklärte lediglich, man werde »Debatten über die inhaltliche, strategische und auch personelle Aufstellung« der Partei zunächst intern führen. Jetzt gelte es, den Wahlkampf in den drei anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zu führen, den Bundesparteitag im Oktober vorzubereiten und »die inhaltlichen, organisatorischen und personellen Weichen für einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf und den Wiedereinzug in den Bundestag zu stellen«.

Nach Ansicht vieler Genoss*innen müsste auch in den Landtagswahlkämpfen das Thema Frieden als Kernthema der Linken wieder eine größere Rolle spielen. Im Europawahlkampf kam es kaum vor, offenbar planmäßig. Die inzwischen nur noch unzureichend erkennbare Identität der Linken als einzige Friedenspartei haben neben Gesine Lötzsch auch die frühere Europaparlamentarierin Gabriele Zimmer, Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und andere sowie die Kommunistische Plattform in Stellungnahmen kritisiert.

Derweil findet Parteivorstandsmitglied Daphne Weber, selbst aus Niedersachsen kommend, die Erarbeitung einer »Weststrategie« für die Bundestagswahl 2025 entscheidend. Denn in Westdeutschland, schreibt sie in einem Positionspapier, lebten mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten. Zudem sei in den Ballungsräumen des Westens im stark migrantisch geprägten Dienstleistungsproletariat, aber auch unter Rentner*innen und Mieter*innen das größte unerschlossene Wählerpotenzial zu finden.

Als wichtigste Themen sieht Weber die Mietenpolitik, den Einsatz für armutsfeste Renten und für Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen sowie stärkere Belastung der Reichsten und den sozial gerechten Klimaschutz. Der Kampf für ein Ende von Konfliktlösungen mit Waffengewalt kommt in ihrem Papier dagegen nicht vor, obwohl sich Weber in der Vergangenheit durchaus deutlich für eine stärkere Sichtbarkeit friedenspolitischer Positionen der Linken ausgesprochen hatte.

Parteichefin Wissler erklärte gegenüber »nd« zu Webers Vorschlägen: »Strategien für die Gewinnung und Wiedergewinnung von Wähler*innen sind existenziell.« Es gehe aber nicht darum, »den Osten gegen den Westen aufzurechnen, sondern eine aufeinander abgestimmte Strategie für Ost und West zu entwickeln«.

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