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Indie in Südkorea: Alles echt
Seit Jahren stürmen südkoreanische K-Pop-Gruppen die Charts. Nun kommt ein anderes Genre aus dem ostasiatischen Land: K-Indie
Yunmin kann mit Fug und Recht behaupten, dass sie besser ist als der Rest. An jene Wochen, in denen dies klar wurde, erinnert sie sich so: »Das war eine großartige Möglichkeit, als Sängerin zu wachsen!« In dieser Zeit habe sie auch gelernt, mit öffentlichem Druck umzugehen. »Und jetzt wird die Figur des Masked Singers tatsächlich mit uns, mit Touched, in Verbindung gebracht!«
Yunmin ist die Leadsängerin der südkoreanischen Band Touched, einer Musiksensation in dem ostasiatischen Land. Berühmt geworden ist sie in diesem Frühjahr auf ungewöhnlichem Wege. Bei der TV-Sendung »King of Mask Singer« – die in Deutschland mittlerweile von Pro7 kopiert und unter dem Titel »The Masked Singer« ausgestrahlt wird – hat Yunmin einen neun Jahre alten Rekord eingestellt.
In dieser extrem beliebten südkoreanischen Show treten bis zur Unkenntlichkeit verkleidete Sängerinnen und Promis gegeneinander an: Wer verliert, muss sich entblößen. Wer gewinnt, darf weiter unerkannt bleiben. Über Wochen fragte sich Südkorea: Wem gehört diese Stimme, die so elegant singen kann? Fünf Monate gelang es Yunmin, jedes Singduell zu gewinnen und hinter der Maske versteckt zu bleiben.
Mittlerweile ist es vorbei mit der Anonymität. Dafür wird die Sängerin jetzt auf der Straße erkannt: »Mir rufen die Leute jetzt hinterher: ›Ooh, Yunmin, gib mir ein Autogramm! Lass uns ein Foto machen!‹« So berühmt wie die K-Popstars sei sie noch nicht. »Aber selbst wenn es nur in diese Richtung geht, bin ich schon dankbar. Manchmal frage ich mich, ob das wirklich gerade passiert.«
Bei der 27-jährigen Sängerin handelt es sich nämlich nicht um einen für Südkorea typischen Musikstar. Das vor drei Jahren gegründete Quartett Touched ist eine Indie-Band. Im ostasiatischen Land, das die Welt seit Jahren mit K-Pop-Hits überflutet, ist Indie ein Außenseitergenre.
Wie sollte es auch anders sein? Zu den berühmtesten Exporten des Kontinents zählen Gruppen wie BTS oder Blackpink. Sie überzeugen nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch durch minutiös choreografierte Tänze und anspruchsvoll produzierte Sounds und Videoclips – ein multimediales Gesamtkunstwerk.
»Ich tanze nicht gern. Ich kann es auch nicht«, gibt Yunmin zu. »Dafür spielen wir auf der Bühne unsere Instrumente selbst. Wir haben eine echte Gitarre, echtes Schlagzeug, einen echten Bass und so weiter. Unser Publikum bekommt eine richtige Live-Erfahrung.«
In Südkorea ergibt es Sinn, dass so etwas als besonders gilt. Seit mittlerweile Jahrzehnten dominiert K-Pop hier das Geschäft. Die Stars werden bereits im Teenageralter musikalisch und tänzerisch ausgebildet, gehen teilweise auf Spezialschulen, die auf eine Showkarriere vorbereiten. Aber weil Tanzen und Mode so wichtig sind, wird die Instrumentalmusik im K-Pop ausgelagert.
Als Gegenbewegung zu diesem Stil wächst seit einigen Jahren K-Indie. Touched gehört nun zu den beliebtesten Gruppen. Die Zeitung »Korea Herald« schwärmte im Juni über die Musik der Frontsängerin Yunmin: »Sie betont, dass der größte Reiz der Rockmusik ihr Gefühl von Freiheit ist, und zeigt, wie wichtig Rock ’n’ Roll in ihrem Leben ist.«
Indie-Musik boomt gerade in Südkorea. Livebands spielen heutzutage auf den Straßen oder Uni-Geländen von Seoul. Auch die Zahl der Festivals nimmt zu. Zwar gab es Indie-Musik natürlich immer schon. Richtig beliebt wird sie aber erst seit einigen Jahren. Wohl auch, weil eine Sehnsucht nach authentischen Typen entstanden ist.
Die vier Mitglieder von Touched haben zusammen an der Kunsthochschule Seoul Institute of the Arts studiert und wollten sich ihren Traum von einer Musikkarriere erfüllen. Mit kleineren Gigs tingelten sie durchs Land und finanzierten sich durch Nebenjobs in der teuren Hauptstadt Seoul. Um diese Odyssee geht es auch einigen Songtexten: »Die Lieder handeln von unserem echten Leben. Was wir singen, kommt aus unseren gelebten Erfahrungen.«
Früher haben Yunmin und ihre Bandkollegen Zeitungen ausgetragen oder Flyer verteilt, für Burgerläden oder Fitnesscenter. »Unser Debütlied ›The Dawn Star‹ handelt zum Beispiel davon, dass ich mich an frohe Gedanken klammere, wenn es mir nicht gut geht oder ich mich unsicher fühle.« Die Band Touched, die sich auf Vorbilder wie Radiohead und Coldplay bezieht, kann seit Kurzem von ihrer Musik leben. In ihrem Genre ist das noch untypisch.
Kann K-Indie nach K-Pop sogar das nächste große Ding werden, das von Südkorea aus die Welt erobert? Diese Tage reisen die vier Musiker von Touched jedenfalls zum ersten Mal auf Tournee nach Deutschland. Am 27. Juni treten sie im Gruenspan in Hamburg auf. Am 29. und 30. Juni sind sie Teil des von der südkoreanischen Regierung gesponserten Events »K-Indie on Festival« im Kesselhaus in Berlin.
Yunmin ist nicht nur wegen der Auftritte aufgeregt, sagt sie. »Ich war erst einmal als Touristin in Deutschland. Mir haben die schöne Architektur gefallen, das Bier und die Würstchen. Und die Berliner Mauer hat mich sehr beeindruckt.« Korea sei ja leider geteilt in Nord und Süd. »Ich hoffe, dass wir von Deutschland lernen und uns auch wiedervereinigen können.«
Vielleicht entsteht aus den Erfahrungen in Deutschland ja bald ein Lied über nationale Teilung und Einheit. In Korea, wo die politischen Spannungen gerade so groß sind wie seit Jahren nicht, würden sicher viele Menschen hinhören.
»Ich tanze nicht gern. Ich kann es auch nicht.«
Yunmin Sängerin der Band Touched
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