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Filmfest München: »Wir möchten keine A-Festivals kopieren«
Das 41. Filmfest München beginnt am Freitag. Ein Gespräch mit den Leiter*innen des Festivals Christoph Gröner und Julia Weigl
Frau Weigl, Sie sind seit zehn Jahren beim Filmfest München, Herr Gröner, Sie sind bereits seit 20 Jahren fest im Team des Filmfests. Welche Prinzipien prägen Ihre gemeinsame künstlerische Leitung?
Weigl: Wir glauben daran, dass wir als Team Dialog bestens verkörpern können. Und darum geht es ja auf dem Festival – ausgehend von den einzelnen Filmen ein Gespräch zu beginnen, Kino als soziale Erfahrung wirklich zu leben, als Miteinander. Wir bieten jede Menge Panels, Diskussionen und Filmgespräche an – das Gespräch und der Austausch sind ganz im Zentrum von uns als Premierenfestival, um vielen unterschiedlichen Stimmen einen Raum zu geben.
Gröner: Zu zweit sind wir einfach auch schneller. Durch den Austausch auf Augenhöhe sind wir so etwas wie unserer eigener Thinktank. So haben wir für diese Ausgabe mit einem fantastischen Team jede Menge Neuerungen eingeführt: große neue Spielorte oder eine andere Struktur der Wettbewerbe und unserer Programmreihen zum Beispiel.
Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war eine Reise nach New York. Wie wird das Filmfest München im Ausland wahrgenommen?
Gröner: Auf der anderen Seite des Atlantiks herrscht eine bestimmte Form von Nostalgie, die mit wahnsinnig tollen Erfahrungen beim Filmfest München aus den 80er und 90er Jahren verbunden ist. Als wir nach New York kamen, haben sich deshalb sehr viele Türen von Leuten geöffnet, die damals begannen und nun in Leitungspositionen sitzen, im Verleih oder bei Talentagenturen. Und wir haben neue Freunde gefunden: Rajendra Roy ist der Chefkurator vom Museum of Modern Art für die Sektion Film und dieses Jahr Teil unserer Wettbewerbsjury.
Weigl: Uns ist US-amerikanisches Independent-Kino sehr wichtig. Vor drei Jahren haben wir die experimentelle Cine-Rebels-Reihe ins Leben gerufen, um Filme zu zeigen, die es traurigerweise im regulären Kinobetrieb zu selten gibt. Die unaufgeregte, aber doch provokative Doku »Realm of Satan« über den banalen Alltag von Leuten der Church of Satan, »Los Hiperbóreos« über esoterischen Hitlerismus oder den Gaga-Film »Doppelgängers³« zum Beispiel. Das ist eine absolute Indie-Perle und die Premiere mit der Regisseurin Nelly Ben Hayoun-Stépanian wird abgefahren. Sie will mit einer ihrer Doppelgängerinnen zur Premiere kommen und dann die besten Doppelgänger im Publikum küren.
Wie stehen Sie dazu, dass das Filmfest München auch als das bayerische Cannes gehandhabt wird?
Gröner: Ich möchte die Frage inhaltlich beantworten. Wir haben 14 Filme aus Cannes im Gepäck. Das erwarten die Leute von uns, aber mittlerweile haben wir auch tolle Titel aus Tribeca und wir teilen Weltpremieren. »Xoftex« teilen wir uns mit Karlovy Vary und »Another German Tank Story« mit dem Shanghai International Film Festival. Das Konzept der geteilten Premieren finden wir seit Jahren spannend, weil diese Filme es schwer haben, überhaupt gesehen zu werden, obwohl sie fantastisch sind. Wir schenken so einem Film die größtmögliche Aufmerksamkeit. Außerdem ist es auch nachhaltiger, wenn man einen Gast aus Nordamerika oder Asien nicht zwei Mal anreisen lässt, sondern gemeinsam mit einem anderen Festival eine Premiere plant. Als Festival sind wir dann am erfolgreichsten, wenn wir es mit vielen Welt-, internationalen und Europapremieren bestücken, diese aber lässig präsentieren. Das ist ein eigenes Konzept, und zieht auch Weltstars von heute absolut an.
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Warum haben Sie den Koproduktionspreis CineCoPro von 2019 zurückgeholt?
Weigl: Beim Filmfest München rücken wir kreative Stimmen aus Deutschland seit vielen Jahren mit den Reihen Neues Deutsches Kino und Neues Deutsches Fernsehen ins Zentrum. Und nun auch wieder deutsche Koproduktionen – mit dem höchstdotierten Preis für deutsche Koproduktionen. Man kann sagen: Unser Programm ist jetzt wieder komplett – und das passt zu unserem Selbstverständnis als Plattform Nummer eins für das deutsche Filmschaffen. Ich persönlich freue mich besonders auf die deutsch-kanadische Koproduktion »Rumours« von Guy Maddin mit Cate Blanchett und Alicia Vikander, die als G7-Weltpolitikerinnen durch den Wald stolpern, während die Zuschauer bei uns im Open Air im Wald und am See sitzen.
Das klingt sehr idyllisch.
Weigl: Das ist der Film zwar nicht (lacht). Aber als Filmfest München sind wir ein Sommerfestival, bei dem man im Biergarten und an der Isar networken kann. Das spiegelt sich auch im neuen Design wider. Unser Teppich ist nicht mehr rot, sondern wie die Isar türkis. Wir wollen unsere Gäste mit ihren Herzensprojekten nach München locken und neue Talente entdecken. Ein prominentes Beispiel ist Lily Gladstone, die vor zwei Jahren mit »Quantum Cowboys« fast eine ganze Woche in München komplett inkognito zu Gast war und in diesem Jahr für ihre Rolle in »Killers of the Flower Moon« einen Golden Globe gewonnen hat.
Gröner: Wir möchten keine A-Festivals kopieren, sondern sehen uns als Entdeckerfestival, auch wenn es darum geht, Stars wie zum Beispiel Kate Winslet von einer anderen Seite zu entdecken. Dieses Jahr stellt sie uns als Produzentin ihren Film »Die Fotografin« vor. Außerdem zeigen wir zum ersten Mal in Deutschland eine Auswahl an Fotografien der Schauspielerin Jessica Lange, die in Deutschland als Fotokünstlerin noch ganz unbekannt ist, und feiern mit ihr die Leinwandpremiere ihres neuen Films »The Great Lillian Hall«. Darauf freue ich mich wirklich sehr.
Weigl: Aber jenseits aller Begeisterung und allen Optimismus haben wir natürlich auch sehr politische Filme wie »Führer und Verführer«, »Münter & Kandinsky«, »Die Ermittlung« und »Tatami« im Programm, die unsere Lebenswelten abbilden, verarbeiten und kommentieren. Auch der Ukraine widmen wir in diesem Jahr einen thematischen Schwerpunkt.
Eröffnet wird das Filmfest mit »Zwei zu Eins« aus der Reihe Neues Deutsches Kino. Warum stellen Sie das deutsche und nicht das internationale Kino in den Fokus?
Weigl: Für uns war es dieses Jahr ein Geschenk, dass Jessica Lange so früh zugesagt hat. Als dann noch Kate Winslet dazu kam und mit Shin’ya Tsukamoto eine sehr eigenwillige Hommage, war für uns das internationale Kino gut abgedeckt. Wir wollten unbedingt dem deutschen Film eine große Plattform geben. »Zwei zu Eins« mit Sandra Hüller und Ronald Zehrfeld ist die perfekte Mischung aus nationalem Kino und internationalem Anspruch.
Gröner: Der Film ist eine wunderbare Komödie, nimmt aber die Charaktere ernst. Es ist ein Film darüber, dass man den neoliberalen Mechanismen nicht völlig ausgeliefert ist, sondern in einem solidarischen Miteinander handeln kann. Insofern empfinden wir ihn als perfekten Eröffnungsfilm.
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