Kein Hokuspokus

Hypnose ist ein bewährtes Verfahren in Medizin und Psychotherapie

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Die schwebende Frau: ein klassicher Zaubertrick, der mit Hypnose nichts zu tun hat, auch wenn es so aussieht
Die schwebende Frau: ein klassicher Zaubertrick, der mit Hypnose nichts zu tun hat, auch wenn es so aussieht

Welche drei Begriffe verbinden Sie mit Entspannung? »Sonne, Strand, Meer«, antwortet eine Patientin. »Berg, Wind, Motorrad« oder »Wald, Vögel, Tannenduft«, heißt es bei anderen. Wenn sich bei Zahnarzt Thomas Wolf Patienten unter Hypnose behandeln lassen wollen, macht er zunächst einen Untersuchungs- und Beratungstermin aus, um herauszufinden, welche Wörter bei ihnen mit positiven Gefühlen verknüpft sind. Ebendiese Begriffe verwendet der Hypnose-Experte später, um die Patienten in Trance zu versetzen. Das könnte sich so anhören: »Schließen Sie die Augen und begeben Sie sich an einen Ort, an dem Sie sich wohlfühlen, etwa an einen Strand am Meer.« Dadurch versetzt sich der Mensch im Zahnarztstuhl in einen angenehmen Zustand, der ihn für Schmerzen und Ängste weniger empfänglich macht. Wie groß der Effekt ist, hängt stark davon ab, wie sehr sich jemand in die Vorstellung vertiefen kann.

Hypnose ist ein Verfahren, das in der Medizin, Psychosomatik und Psychotherapie angewendet wird. Bewährt hat es sich auch in der Zahnmedizin. »Die meisten Leute kommen zu uns, weil sie Unbehagen oder Angst vor einer Zahnbehandlung haben«, sagt Wolf, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose ist. Bei Allergien gegen Medikamente, die zur Lokalanästhesie eingesetzt werden, Würgereiz oder Zähneknirschen kann das Verfahren ebenfalls helfen. Besonders wirkungsvoll ist Hypnose bei Kindern, auch weil ihr Vorstellungsvermögen gut ausgeprägt ist.

Das griechische Wort »hypnos« bedeutet Schlaf. Doch diese Ableitung führt in die Irre: Hypnotisierte Menschen sind bei Bewusstsein, befinden sich allerdings in Trance. Solche Trancezustände sind etwas ganz Natürliches: Das Phänomen tritt häufig auf, wenn man etwas sehr konzentriert tut – zum Beispiel ein altes Fotoalbum anschaut oder bewegende Musik hört.

Die durch Hypnose hervorgerufene Trance ist allerdings meist länger und intensiver. Der Psychologe Klaus Hönig, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie, spricht von einem »neurophysiologisch veränderten Bewusstseinszustand«, in dem man intensivere innere Vorstellungsbilder hat. Gedanken, Gefühle und körperliche Reaktionen sind dann besser zugänglich und leichter zu beeinflussen. Das macht einen Menschen aber auch besonders verletzlich. Deshalb ist es wichtig, sich nur von qualifizierten Fachleuten behandeln zu lassen. In der Regel sind das Mediziner oder Psychotherapeuten mit einer Zusatzausbildung in Hypnose. Allerdings sollte man sich vorher nach Kosten und Abrechnungsmöglichkeiten erkundigen. Oft ist die Behandlung aus eigener Tasche zu zahlen.

Mit Hokuspokus hat Hypnose, wenn sie seriös angewendet wird, nichts zu tun. Im Kern ist sie eine Entspannungstechnik, mit autogenem Training verwandt. Dennoch denken dabei immer noch viele Leute an Esoterik und billigen Bühnenzauber. »Wenn Sie mit dem Begriff Hypnose im Internet suchen, bekommen Sie zu 80 Prozent unseriöse Angebote«, beklagt Hönig. »Scharlatane und Gaukler, die Showhypnosen anbieten, machen leider oft effektiv Werbung.«

Bei solchen Events geht es um Unterhaltung, nicht um Therapie, etwa die von Schmerzen. Dass Hypnose helfen kann, ist mittlerweile wissenschaftlich anerkannt. Laut Deutscher Schmerzgesellschaft ist sie »für die Behandlung akuter Schmerzen und auch für die Therapie chronischer Schmerzen geeignet«. Bei einer Zahnbehandlung lässt sich durch Hypnose in den meisten Fällen eine mittlere Schmerzreduktion erreichen, sagt Wolf. »Sie ist bei vielen Menschen in etwa so effektiv wie Lachgas oder das Medikament Midazolam.« Allerdings wirkt das Verfahren unterschiedlich gut. Rund 25 Prozent der Patientinnen und Patienten, schätzt der Zahnarzt, sprechen so stark auf Hypnose an, dass sie keinerlei Schmerzen mehr spüren.

Tatsächlich haben Ärzte Hypnose im frühen 19. Jahrhundert genutzt, um Patienten Operationen erträglicher zu machen. Legendär ist der schottische Arzt James Esdaile (1808–1859), der in Indien circa 300 schmerzfreie Operationen, darunter Amputationen, an hypnotisierten Patienten vorgenommen haben soll. Mit der Entwicklung chemischer Narkosemittel geriet das Verfahren aber in Vergessenheit.

Die Liste der Anwendungsmöglichkeiten von Hypnose ist lang. Sie reicht von Ängsten über Schlafstörungen bis hin zum Bettnässen – grundsätzlich lässt sie sich bei allem einsetzen, was psychisch beeinflussbar ist. Wissenschaftlich anerkannt ist sie als Therapie seit einigen Jahren auch bei Abhängigkeiten, insbesondere bei der Raucherentwöhnung. Beim Abnehmen kann sie ebenfalls helfen, doch verschwinden die Pfunde dabei nicht wie von Zauberhand. Vielmehr wird die Trance genutzt, um das Unterbewusstsein so zu beeinflussen, dass man seine Gewohnheiten ändert und sich gesünder ernährt.

Neue Erkenntnisse gibt es beim Thema Depressionen: Die Psychotherapeutin Kristina Fuhr und Kollegen von der Uni Tübingen konnten in einer Studie nachweisen, dass sich mit Hypnotherapie leichte bis mittelschwere depressive Episoden genauso gut behandeln lassen wie mit kognitiver Verhaltenstherapie. Hönig sieht Hypnose vor allem als gute Ergänzung zu anderen Therapien: »Bei reiner Verhaltenstherapie werden die körperlich-emotionalen Aspekte vernachlässigt.« Das zeige sich darin, dass Patienten manchmal Sätze sagten wie: »Ich verstehe, was Sie meinen, aber ich spüre es nicht.« Hier kann eine Trance helfen, in der Emotionen leichter zugänglich sind.

Aber funktioniert die Methode bei jedem? Tatsächlich lassen sich die meisten Menschen hypnotisieren, wenn auch unterschiedlich gut. Nur bei schätzungsweise 5 bis 10 Prozent klappt es überhaupt nicht. Ob man dazugehört, lässt sich nur durch Ausprobieren herausfinden. Das kann man in der Regel gefahrlos tun, da das Verfahren kaum Risiken und Nebenwirkungen hat.

»Scharlatane und Gaukler, die Showhypnosen anbieten, machen leider oft effektiv Werbung.«

Klaus Hönig Psychologe
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