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Wegen Maskendeals: Jens Spahn im Bundestag erneut unter Beschuss
2,3 Milliarden könnte die Coronamasken-Affäre Steuerzahlern nachträglich kosten. Ampel-Parteien fordern Aufarbeitung, CDU spricht von »Schauprozess«
Mit der Corona-Pandemie würde sich der Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn vermutlich am liebsten gar nicht mehr befassen – längst hat er sich als CDU-Abgeordneter anderen Themen gewidmet, der Atomkraft zum Beispiel. In dieser Woche holt ihn seine Pandemie-Vergangenheit allerdings wieder ein: Am Mittwochabend musste Spahn seinen kostspieligen Maskendeal vor dem Haushaltsausschuss verteidigen, am Donnerstag debattierte der Bundestag über die fast vergessene Affäre.
Worum ging es da nochmal? In der Frühphase der Coronakrise 2020 wurden dringend Masken für das Gesundheitswesen benötigt, die damals aber sehr knapp waren. Um dennoch möglichst schnell Masken zu beschaffen, nutzte das Gesundheitsministerium Verfahren, bei dem Lieferverträge ohne weitere Verhandlungen zu festen Kaufpreisen zustande kamen. Später verweigerte die Bundesregierung dann vielfach die Bezahlung der eigens bestellten Masken und machte dafür Qualitätsmängel geltend.
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Die betroffenen Lieferanten und Händler reichten dagegen Klagen ein. Der aktuelle Streitwert aus etwa 100 Verfahren: 2,3 Milliarden Euro. So viel könnte der Deal den Steuerzahler nachträglich kosten, wenn den Klägern in allen Fällen recht gegeben wird. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln hatte vergangenen Freitag einzelnen Lieferanten recht gegeben. Das wäre ein vielfach größerer Schaden als durch das Maut-Debakel von Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).
»Es braucht jetzt vollumfängliche Aufklärung und Transparenz«, sagte der Grünen-Fachpolitiker Janosch Dahmen am Dienstag. Dahmen betonte: »An vielen Stellen im Gesundheitswesen fehlt das Geld für wichtige Investitionen, während hier der Staat nun gezwungen sein könnte, Milliarden für Masken-Deals zu zahlen, die teilweise nie geliefert wurden, vergammelt oder minderwertig waren.«
Vor dem Haushaltsausschuss verteidigte Spahn am Mittwochabend seine Entscheidungen, räumte nur vereinzelt Fehler ein. Natürlich habe man »in großer Eile« Masken gekauft, aber: »Wir hatten eine Notlage, es war Krise.« Damals hätten unter anderem Klinikdirektoren bei ihm angerufen. Sie hätten Masken gebraucht – sofort, nicht erst nächste Woche. Also habe man unter großem Zeitdruck Masken gekauft – »auch auf Vorrat«.
Einige dieser Masken seien minderwertig gewesen, erklärte Spahn weiter. Deswegen habe man dafür auch nicht bezahlt. »Schäden wären entstanden für den deutschen Steuerzahler, wenn wir Masken von schlechter Qualität bezahlt hätten.« Dennoch räumte er ein, dass das Verfahren mit Festpreisen aus heutiger Sicht nicht perfekt sei. Er würde es für die Zukunft »nicht empfehlen«. Mit dem Wissen von heute würde er auch weniger Masken bestellen.
»Sie haben uns 33 Andi Scheuers gekostet. Geben Sie Ihr Mandat zurück, Herr Spahn.«
Heidi Reichinek Linke-Abgeordnete
Der Bundesrechnungshof bemängelte im Ausschuss, eine kritische Aufarbeitung im Gesundheitsministerium fehle bis heute. Sie wäre aber wichtig, um Lehren für künftige Pandemien und Krisen ziehen zu können.
Auch die Ampel-Parteien erhöhen mittlerweile den Druck auf Spahn und die Union. Denn Mehrausgaben sind aufgrund der selbstauferlegten Schuldenbremse der Ampel eigentlich momentan nicht drin – schon jetzt herrscht in allen Ministerien Sparzwang. Die Nachzahlungen werden in diesem und im nächsten Jahr aus dem ohnehin knappen Budget des Gesundheitshaushalts erfolgen.
»Wenn man diese zusätzlichen Kostenrisiken für den Bundeshaushalt sieht, nachdem wir schon 5,9 Milliarden Euro für Masken ausgegeben haben, dann ist nicht nur die Schmerzgrenze des Haushaltsausschusses erreicht, sie ist überschritten«, mahnte Grünen-Politikerin Paula Pichotta am nächsten Tag bei einer von den Ampel-Parteien einberufenen Aktuellen Stunde im Bundestag. Weiter spottete die Grüne: Man könne einmal überlegen, wie viele Villen in Dahlem man davon kaufen könne – in einer solchen wohnt Jens Spahn – oder eben wie man deutsche Krankenkassen mit der verschwendeten Summe hätte entlasten können.
Noch schärfere Töne kamen am Donnerstag von der Linke-Abgeordneten Heidi Reichinek: »Sie haben uns 33 Andi Scheuers gekostet. Geben Sie Ihr Mandat zurück, Sie haben die Steuerzahler schon um genug Geld gebracht.« Ihre Partei fordere zudem eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie.
In der CDU sieht man sich durch die wiederbelebte Debatte unfair behandelt. Unionspolitiker Tino Sorge kritisierte, es werde aus Dingen ein Skandal gemacht wird, die keiner seien. Aufgrund der desaströsen Lage der Regierungskoalition falle der Ampel »nichts Dümmeres ein, als einen solchen Schauprozess abzuhalten«, so Sorge. »Das ist an Niederträchtigkeit und Doppelmoral nicht zu überbieten.« Mit Agenturen
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