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Sahras Kandidaten für Brandenburg

Wagenknecht-Partei stellt in Potsdam Liste für die Landtagswahl im September auf

Es geht nach oben für das BSW: Landesgeschäftsführer Stefan Roth neben Parteichefin Sahra Wagenknecht im Hotel Mercure
Es geht nach oben für das BSW: Landesgeschäftsführer Stefan Roth neben Parteichefin Sahra Wagenknecht im Hotel Mercure

»Ich komme nicht aus der Politik. Ich hatte das auch nie vor«, versichert die Ärztin Jouleen Gruhn. Sie war zwar zuletzt drei Jahre lang Referatsleiterin im brandenburgischen Gesundheitsministerium. Aber dass sie mal auf Listenplatz 2 für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für den Landtag kandidieren würde, hätte sie nicht gedacht. Dass sie es nun doch tue, dafür sei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verantwortlich, berichtet Gruhn am Samstag. Seine Krankenhausreform gefährde die Kliniken im Bundesland. Gruhn möchte »den schlimmsten Murks aus Berlin verhindern«.

31 der 36 BSW-Mitglieder in Brandenburg kommen am Samstag im Potsdamer Hotel Mercure zusammen. Sie nominieren ihre Kandidaten für die Landtagswahl am 22. September. Zwei dürfen nicht abstimmen: der eine, weil er zu kurz Parteimitglied ist, der andere, weil er Belarusse ist und noch nicht eingebürgert, obwohl er schon als Kind nach Deutschland zog.

Mit 85,8 Prozent der Stimmen küren die Parteimitglieder ihren Landesvorsitzenden Robert Crumbach zum Spitzenkandidaten. Er sagt: »Die vergangenen Wochen waren intensiv und ich kann euch versprechen: Das bleibt so!« Denn der erst am 25. Mai gegründete Landesverband muss jetzt 2000 Unterschriften für seine Liste sammeln und dann in den Wahlkampf ziehen. Das Ziel ist klar: Es steht wenige Meter entfernt auf der anderen Straßenseite. »Wir müssen da drüben rein in den Landtag«, sagt der 61-jährige Arbeitsrichter Crumbach, der früher Mitarbeiter der SPD-Landtagsfraktion war.

24 Kandidaten und 6 Kandidatinnen stellt das BSW für die Landtagswahl auf. »Wir haben keine feste Frauenquote, aber Frauen sollten sich ausreichend vertreten fühlen«, erläutert Landesgeschäftsführer Stefan Roth, der auf Listenplatz 3 gesetzt wird. Roth war einst in der Linken aktiv, so wie zum Beispiel auch Niels-Olaf Lüders auf Listenplatz 4 sowie Falk Peschel, Sven Hornauf, Jenny Meyer und Andreas Kutsche auf den Plätzen 7 bis 10.

Meinungsumfragen versprechen der Wagenknecht-Partei zwischen 13 und 17 Prozent. Die Partei könnte also aus dem Stand eine Fraktion von 13 bis 20 Abgeordneten erhalten oder mehr. Es sei grandios, wie BSW in den Umfragen dastehe, schwärmt die Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht. Dabei habe der Wahlkampf noch nicht angefangen und das lasse sich ausbauen.

Der Parteitag beginnt um 10 Uhr. Wagenknecht erscheint um 11.18 Uhr und erhält um 11.32 Uhr das Wort. »Es war richtig, das BSW zu starten«, freut sie sich mit Blick auf die 6,2 Prozent, die diese neue Partei bundesweit bei der Europawahl am 9. Juni eingefahren hat. Es gebe eine riesige Lücke im politischen System der Bundesrepublik. »Ich weiß nicht mehr, was ich wählen soll«, hätten ihr viele gesagt und geschrieben, berichtet Wagenknecht. Solche Leute wählten dann Protest, das kleine Übel oder gar nicht mehr. Jetzt gebe es für diese Menschen das BSW.

Dass ihre neue Partei es schaffen werde, Listen für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September 2024 aufzustellen, hätte Wagenknecht insgeheim nicht geglaubt, als sie im Oktober 2023 ihre Abspaltung von der Linken verkündete. Auf Nachfragen habe man da noch rumgedruckst und bei sich gedacht, wenn es bei zwei dieser drei Landtagswahlen gelingen würde, »sind wir schon Helden«.

»Natürlich werden wir in Brandenburg den Ukraine-Krieg nicht beenden«, gesteht Wagenknecht. Aber jede Stimme für das BSW in Brandenburg sei eine Stimme für Frieden und Diplomatie. Es könnte sein, »dass die anderen mit uns reden, weil sie gar nicht anders können«. Man müsse in Brandenburg stark werden, weil das die Bundesrepublik verändern werde, sagt Wagenknecht. Sie spricht sich gegen »immer mehr uferlose Sanktionen« gegen Russland oder auch gegen China aus und bezieht das auf russisches Erdöl und Erdgas sowie chinesische Elektroautos.

Jede Stimme für das BSW in Brandenburg sei eine Stimme für Frieden und Diplomatie.

Sahra Wagenknecht BSW-Bundesvorsitzende

Die 54-Jährige entschwindet nicht etwa sofort wieder nach ihrer begeistert aufgenommenen Rede. Sie nimmt Platz und hört zu und gibt in der Mittagspause ein Interview nach dem anderen, während ihre Parteifreunde Mittag essen. Wagenknecht bleibt, bis Robert Crumbach zum Spitzenkandidaten nominiert ist und sie ihn mit einem Blumenstrauß dazu beglückwünschen kann. Erst danach geht es ohne die Parteichefin weiter.

In den 14 Minuten, die sich die Politikerin nach ihrer Ankunft gedulden muss, bevor sie ans Rednerpult treten kann, werden noch fünf Anträge auf kleine Änderungen am Wahlprogramm abgestimmt. So wird auf Anregung von Reinhard Simon, dem Ex-Intendanten der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, das Wort »Kulturlandschaft« durch »kulturelle Vielfalt« ersetzt. Von den drei Änderungsanträgen des Potsdamer Stadtverordneten Ralf Jäkel kommt nur einer durch. Abgelehnt werden seine Forderungen zur Verkehrspolitik, zum Beispiel dass künftig nicht mehr jeder zweite Zug ohne Halt an Bahnhöfen wie Potsdam-Charlottenhof und -Sanssouci durchfahren soll. Die Idee sei nicht falsch, aber zu speziell, heißt es.

Der Ex-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg meint, man könnte dies und jenes vertiefen, aber nicht in der Kürze der Zeit. »Hinter dem, was hier aufgeschrieben ist, können wir uns versammeln«, wirbt er dafür, das Wahlprogramm in der vorliegenden Fassung anzunehmen. Es wird mit nur zwei Änderungen einstimmig beschlossen. Abgelehnt wird ein Vorstoß einer Lehrerin, für längeres gemeinsames Lernen bis Klasse 10 einzutreten. Aber das BSW will sich seine Position zu dieser klassischen linken Forderung erst noch in Ruhe überlegen. In Brandenburg endet die Grundschule für alle mit der 6. Klasse.

Einig ist man sich beim BSW, dass Kinder besser lesen, schreiben und rechnen lernen sollten. Dabei hapert es in Brandenburg. Das liege nicht an den Lehrern, die nicht schlechter seien als anderswo, sagt Spitzenkandidat Crumbach. Auch nicht an den Kindern, die nicht dümmer seien, sondern ausschließlich daran, dass die SPD seit drei Jahrzehnten die Bildungsminister stelle. »Die Schulpolitik wird – ich sage es so klar und deutlich – von Dilettanten gemacht.«

Ob er einen anderen Satz wirklich aussprechen soll, hat Crumbach vorher lange überlegt, wie er erzählt, bevor er ihn doch sagt: »Natürlich bin ich ein Kohle-Mann.« Seine Großväter seien als Bergleute in Kohleschächte eingefahren. In Brandenburg soll das letzte Braunkohlekraftwerk spätestens 2038 abgeschaltet werden. Doch Crumbach betont: »Einen Kohleausstieg wird es vor 2038 mit uns nicht geben. Punkt.« Damit nicht genug: Wenn bis dahin der Strukturwandel im Revier nicht gelungen sei und neue Arbeitsplätze fehlen, »werden wir aus der Kohle auch nicht aussteigen«.

Als Wahlkampfthemen nennt Crumbach den Pflegenotstand, bezahlbaren Wohnraum, die Armut, »natürlich auch Migration, die uns vor große Herausforderungen stellt«. Er geht auch kurz auf den Linke-Landesvorsitzenden Sebastian Walter ein, ohne dessen Namen in den Mund zu nehmen. Er nennt ihn den »Vorsitzenden einer kleinen Partei, die nicht wieder in den Landtag einziehen wird«. Walter hatte vor einer Woche Sahra Wagenknecht zu einem Rededuell herausgefordert, bei dem sie ihm doch die Behauptung beweisen solle, dass die Linke nicht für Frieden und soziale Gerechtigkeit sei. Crumbach winkt ab: »Da hat es offenbar einer nötig, die Popularität von uns und unserer Ko-Vorsitzenden zu nutzen, um überhaupt gehört zu werden.«

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