- Kultur
- Postkolonialismus und Literatur
Empathie statt Kunstgenuss
Tsitsi Dangarembga hat mit »Die Schwere des Seins« ein Buch herausgegeben, in dem von der Gewalt in Simbabwe erzählt wird
Kriege enden nicht. Sie haben sich derart in die Seelen und Köpfe der Menschen gefressen, dass sie noch nach Generationen das Leben jener bestimmen und beschädigen, die nurmehr in der Schule von ihnen hören. Das ist zwar eine Binse. Aber eine, die gerade in Deutschland – dieses Land, das sich in puncto Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit für weltmeisterlich hält – nicht allzu viele Anhänger hat.
Ein Blick in andere Literaturen hilft zu verstehen, wovon die Rede ist, wenn von Krieg und Frieden gesprochen wird. »Die Schwere des Seins« zum Beispiel erzählt Geschichten aus dem postkolonialen Simbabwe und erzählt auch von der Unmöglichkeit, diese Geschichten zu begreifen und zu verarbeiten. Aber der Reihe nach.
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Im November 2012 trafen sich in Harare, der Hauptstadt Simbabwes, eine Handvoll Schriftsteller*innen zu einem Workshop. Sie wollten herausfinden, wie es um die simbabwische Gesellschaft bestellt ist. Grundlage ihrer Einschätzung waren 60 Briefe, die sie aus der Bevölkerung erreicht hatten und die alle um das Thema Gewalt kreisten. In ihrem Vorwort gibt Madeleine Thien immer wieder kurze Einblicke in diese Dokumente, die dann sortiert wurden, um schließlich zu sieben Geschichten, zu der Anthologie »Die Schwere des Seins« also, zu gerinnen. Der stärkste Satz steht im Vorwort, nackt und unausweichlich: »Er schlug mit einem Ziegelstein auf meine Tochter ein, bis sie tot war.« Der Brief, der diesen Satz umgibt, ist nur zehn Zeilen lang.
Die Geschichte dazu hat Tsitsi Dangarembga geschrieben und ähnliche literarische Methoden wie die anderen Autor*innen in dieser Anthologie angewandt: Imagination, Spekulation und Einfühlung. Diese Geschichten sind keine Hintergründe, keine Reportagen, auch keine Analysen, sondern ein Versuch, Orhan Pamuks Forderung zu folgen, Schriftsteller*innen müssten »die Kunstfertigkeit besitzen, die eigenen Geschichten zu erzählen, als wären es die Geschichten anderer Leute, und die Geschichten anderer Leute, als wären es die eigenen«.
In Zeiten von »true crime« und ausufernden Verbrechensreportagen wirkt der Ansatz, auf jede Authentizität zu verzichten und sich das Grauen auszumalen, zunächst naiv. Es ist dies aber eine bewusste Naivität, die darauf abzielt, sich nicht durch Dokumente und Zeug*innen abzusichern; die Texte suchen auch nicht nach der skandalösen Abartigkeit der Tat, sondern stellen ganz im Gegenteil die Frage: Was ist eigentlich mit uns? Und skizzieren damit – im Kleinen – das Bild einer postkolonialen Gesellschaft, in der der Krieg noch immer fortlebt und noch immer seine Opfer fordert.
Manche Erzählungen (wie die vom Ziegelstein) enden auf erschütternde Weise tragisch, andere hingegen versöhnlicher: etwa jene von der Vergewaltigung einer jungen Frau, die zunächst vertuscht werden soll, wo aber durch das resolute Auftreten der Mutter doch am Ende etwas Gerechtigkeit wiederhergestellt wird.
Der schmale Band erreicht freilich nicht die Tiefe und Kunstfertigkeit, die Tsitsi Dangarembgas Tambubzai-Trilogie (und hier in besonderer Art der erste Teil »Aufbrechen«, ein Jahrhundertwerk) vorzuweisen hat; manches wirkt hilflos und mitunter auch etwas ungelenk. Zu sprechen, sagt Madeleine Thien im Vorwort, sei ein unermessliches Risiko, und einigen der Texte merkt man diese Bürde an; das allerdings eröffnet eine ganz neue Möglichkeit der Lektüre, eine empathische nämlich, die nicht nach Kunstgenuss strebt. Wer sich darauf einlassen kann und mag, wird das Buch mit Gewinn lesen.
Tsitsi Dangarembga (Hg.): Die Schwere des Seins. Postkoloniale Erzählungen aus Simbabwe. Orlanda Verlag, 128 S., br., 21 €.
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