»Fancy Dance«: Mit der Tante auf der Flucht

Der Film »Fancy Dance« erzählt vom heutigen Leben indigener Frauen in den USA und vom alltäglichen Kampf gegen Rassismus

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Jax (Lily Gladstone) türmt mit ihrer Nichte Roki (Isabel DeRoy-Olson).
Jax (Lily Gladstone) türmt mit ihrer Nichte Roki (Isabel DeRoy-Olson).

Die 13-jährige Roki (Isabel DeRoy-Olson) wünscht sich nichts sehnlicher, als zusammen mit ihrer Mutter Tawi beim anstehenden großen Powwow in Oklahoma City am Mutter-Tochter-Tanz teilzunehmen. Im Vorjahr dominierten die beiden diesen Wettbewerb, wie ihre Tante Jax (Lily Gladstone) lächelnd erzählt. Aber der »Fancy Dance« der beiden, wie auch der Titel dieses außergewöhnlichen Independent-Films heißt, droht gar nicht erst stattzufinden. Denn Tawi ist seit einigen Wochen verschwunden und Roki wohnt mit ihrer Tante Jax im gemeinsamen Wohnhaus im Seneca-Cayuga-Reservat.

Bald taucht wegen der vermissten Mutter, die von der indigenen Community intensiv gesucht wird, das Jugendamt bei Jax auf und nimmt ihre Nichte aus der Familie. Grund sind einige schon länger zurückliegende Vorstrafen von Jax wegen Drogen. Die 13-jährige wird zu ihrem weißen Großvater Frank (Shea Whigham) gebracht, den sie eigentlich gar nicht kennt und der schon vor Jahren kurz nach dem Tod seiner indigenen Ehefrau, der Mutter von Tawi und Jax, das Reservat verlassen hat. Die Behörden, die keinen Moment zögern, als es darum geht, ein indigenes Kind aus seiner Familie zu reißen, kümmern sich aber überhaupt nicht um die Suche nach der vermissten Mutter.

In keiner anderen Bevölkerungsgruppe in den USA und Kanada werden so viele Frauen vermisst und ermordet wie in den indigenen Communitys, was mittlerweile zur Gründung der MMIW-Bewegung (Missing and Murdered Indigenous Women and Girls) geführt hat. Die in New York lebende Regisseurin Erica Tremblay, die selbst Mitglied der Seneca-Cayuga-Nation ist, gibt in ihrem Spielfilmdebüt einen intimen und so für ein breites Publikum bisher kaum inszenierten Einblick in das Leben indigener Frauen im »Rez«, wie das Reservat im Film umgangssprachlich genannt wird.

Jax türmt schließlich mit ihrer Nichte, die sie nachts beim Vater aus dem gutbürgerlichen Vorstadthaus abholt, und macht sich mit ihr auf den Weg zum Powwow nach Oklahoma City, in der Hoffnung, dort vielleicht doch auf ihre Schwester zu treffen. Gleichzeitig recherchiert sie parallel zu ihrem Bruder JJ (Ryan Begay), dem Dorfpolizisten, nach dem Verbleib von Tawi, die als Table-Dancerin arbeitete und nebenher Drogen verkaufte. Ist sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen – oder ist sie einfach für einige Zeit abgehauen?

Das soziale Klima im Reservat ist rau, es gibt vor allem viel Drogenhandel und -konsum. Erica Tremblay inszeniert kein romantisierendes Bild des indigenen Lebens in den USA. Die bisher auf Dokumentarfilme spezialisierte Filmemacherin, deren Spielfilm-Projekt »Fancy Dance« mit mehreren Töpfen des Sundance-Filmfestivals gefördert wurde, zeichnet ein nüchternes und minimalistisches Bild.

Erica Tremblay inszeniert kein romantisierendes Bild des indigenen Lebens in den USA.

Aber genau diese eher langsame und nicht bemüht überspitzte Erzählweise sowie die behutsame Entwicklung der Figuren erzeugt zusammen mit den beeindruckenden schauspielerischen Leistungen die narrative Wucht dieses Films. Dabei bietet »Fancy Dance«, über weite Strecken wie ein Roadmovie angelegt, durchaus eine enorm spannende und stellenweise auch sehr unterhaltsame Geschichte. Denn die starken Frauen Jax und Roki eignen sich mit viel Dreistigkeit in einem fort an, was sie zum Überleben brauchen. Sie klauen ebenso Autos wie Benzin an der Tankstelle, brechen in eine zum Verkauf stehende Villa ein, um sich dort vor Polizei und FBI zu verstecken, die Jax wegen vermeintlicher Entführung ihrer Nichte jagt. Bei all diesen Gaunereien ist die 13-jährige Roki dabei und muss von ihrer Tante sogar beim einen oder anderen Supermarktklau gestoppt werden.

Wie prekär der Status der beiden eigentlich ist, wird klar, als sie auf einem Parkplatz von einem ICE-Beamten der Einwanderungspolizei gestoppt werden. »Was ist Ihr Migrationsstatus?«, fragt der weiße Polizist die amerikanischen Ureinwohnerinnen, die sich rechtfertigen müssen, warum sie in der Öffentlichkeit unterwegs sind.

»Fancy Dance« erzählt unspektakulär, aber eindringlich von diesem rassistischen Alltag, den indigene Menschen in der US-amerikanischen Gesellschaft aushalten müssen. Lily Gladstone brilliert dabei in ihrer Rolle als taffe, queere, indigene Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und für sich und ihre Familie ohne Wenn und Aber kämpft.

»Fancy Dance« ist ein eigenwilliger Film, der sich allzu klaren Definitionen entzieht. Der 90-Minüter ist Krimi, Coming-of-Age-Geschichte, Sozialdrama, Roadmovie und Erzählung über das Auseinanderbrechen einer Familie, die ebenso mit dem Verschwinden eines Menschen klarkommen muss wie mit Behörden, die blindwütig Kinder aus Familien reißen. Mit diesem heiklen Thema, das viele indigene Menschen in den USA und Kanada seit Jahrzehnten betrifft, setzte sich auch die gerade erst auf Arte erschienene Serie »Little Bird« auseinander. Indigene Themen scheinen im Filmbereich im Kommen zu sein, wie auch Martin Scorseses zehnfach oscarnominierter Film »Killer of the Flower Moon« zeigt.

»Fancy Dance«, USA 2023. Regie: Erica Tremblay; Buch: Miciana Alise, Erica Tremblay. Mit: Lily Gladstone, Isabel Deroy-Olson, Ryan Begay, Shea Whigham. 90 Min. Ab 28.6. auf Apple TV+

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