- Wirtschaft und Umwelt
- Agrarausblick 2023–2032
Zu viele und zu wenige Kalorien
Welternährungsorganisation FAO erwartet bis 2032 eine gespaltene globale Landwirtschaft
Starke Niederschläge gefährden laut Bauernverband die Ernte in Deutschland. Überschwemmungen, Hochwasser und Staunässe ließen in Verbindung mit steigenden Temperaturen den Pilzbefall stark ansteigen. Verbandspräsident Joachim Rukwied sprach sich daher für den verstärkten Einsatz sogenannter Pflanzenschutzmittel aus. Rukwieds Äußerung zeigt ein Dilemma, das auch global für die Landwirtschaft gilt: Einerseits soll sie eine immer noch wachsende Weltbevölkerung ernähren und Bauern ein auskömmliches Einkommen bescheren, anderseits soll sie die Grundlagen unserer Ernährung sichern und nicht »vergiften«.
Der am Dienstag in Rom veröffentlichte Agrarausblick 2023–2032 der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) liefert dazu neue Daten und Einschätzungen. »In den letzten zwei Jahrzehnten haben Schwellenländer die Entwicklung der globalen Agrar- und Fischereimärkte zunehmend vorangetrieben und werden dies voraussichtlich auch in den nächsten zehn Jahren tun«, heißt es etwa. Tatsächlich können die Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft durchaus beeindrucken. Sie ermöglichten, die Unterernährung von über 35 Prozent der Menschheit in den 60er Jahren auf etwa zehn Prozent heutzutage zu reduzieren. Im selben Zeitraum wuchs die Weltbevölkerung von drei auf über acht Milliarden an.
Die Experten der FAO erwarten, dass die Kalorienaufnahme in den Ländern mit mittlerem Einkommen, also in den Schwellenländern, um sieben Prozent zunehmen wird, was vor allem an einem höheren Verbrauch von Grundnahrungsmitteln, tierischen Produkten und Fetten liegt. Angesichts der gesundheitlichen Probleme, welche das in vielen Ländern auch des globalen Südens grassierende Übergewicht schafft, ist das keine gute Nachricht. Gleichzeitig werde der Kalorienverzehr in Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen nur um vier Prozent steigen. »Was zu langsam ist, um das Ziel nachhaltiger Entwicklung von null Hunger bis 2030 zu erreichen«, warnte der chinesische FAO-Generaldirektor Qu Dongyu in einer Online-Pressekonferenz.
Noch schwärzer malt eine Studie der Universität von Melbourne die Zukunft. Gäbe es global ein klimapolitisches »Weiter so«, könnte die Agrarproduktion in den wichtigsten Anbaugebieten im Trend sogar sinken. Die Rolle der Volksrepublik China als Motor des weltweiten Lebensmittel- und Landwirtschaftsverbrauchs wird abnehmen, erwarten auch die FAO-Ökonomen. Während Indien und Südostasien aufgrund der wachsenden städtischen Bevölkerung und des zunehmenden Wohlstands der Mittelschichten an Einfluss gewinnen dürften. Die Intensität der globalen Treibhausgasemissionen, die von der Landwirtschaft ausgehen, werde dennoch voraussichtlich abnehmen, heißt es in dem 356 Seiten starken FAO-Ausblick. Der Grund: Das Wachstum werde auf Produktivitätssteigerungen statt auf der Vergrößerung von Anbauflächen und Viehbeständen basieren.
Landwirtschaft verursacht wie die Industrie versteckte Kosten, die von den Produzenten geschaffen, aber von der Gesellschaft als Ganzes getragen werden. Das reicht von Krankheiten über Luftverschmutzung bis zu überdüngten Flüssen. Diese externalisierten Kosten der weltweiten Agrarwirtschaft schätzt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung auf über zehn Billionen Euro.
Neben Hitzestress und Problemen des Pestizid- und Düngereinsatzes rückt das Thema Wasser noch stärker in den Fokus. Die wichtigen Agrarregionen, etwa im Norden Indiens, in den USA oder Südeuropa werden gewissermaßen rund um die Uhr bewässert. 40 Prozent der derzeit weltweit verzehrten Kalorien stammen schätzungsweise aus diesen bewässerten Anbaugebieten. Zukünftig dürfte deren Anteil am Ertrag noch steigen. Doch bereits heute gehen zwei Drittel der weltweiten Wasserentnahme auf das Konto der Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen.
Und dann ist da noch die soziale Frage. Eine Tagung des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle hatte im Juni auf die sozialen Folgen der Agrarwirtschaft hingewiesen. Die Landnutzung sei tief in politischen und sozialen Zusammenhängen verwurzelt. »Historische Ungleichheiten und aktuelle Landkonzentrationen verschärfen Wohlstandsdisparitäten und beeinträchtigen langfristige Chancen.« Eine grüne Transformation müsse daher auch soziale und politische Aspekte berücksichtigen.
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