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Frieden für die Ukraine: Vorbild Getreideabkommen
Die Ukraine und Russland könnten noch in diesem Jahr über ein Kriegsende verhandeln, wenn auch indirekt
In der Ukraine wird erneut über die Perspektive von Verhandlungen mit Russland gestritten. Doch bei dieser Debatte geht es nicht mehr um das Ob, sondern das Wann und das Wie. In einem Interview mit der US-amerikanischen Tageszeitung »Philadelphia Inquirer« darauf angesprochen, erläuterte Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Vorstellungen möglicher Verhandlungen mit Russland. Vorbild, so Selenskyj, könnte das Verhandlungsmodell des Getreidedeals sein.
Im Sommer 2022 hatten Russland und Kiew unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei ein Abkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer geschlossen. Gleichwohl gab es keine russische und ukrainische Unterschrift unter einem gemeinsamen Papier. Vielmehr hatten beide Länder mit der Türkei und der Uno separate Dokumente unterzeichnet.
Indirekte Verhandlungen mit Russland
»Die Ukraine kann ein Modell mit möglichen Lösungen finden. Dieses Modell wurde erstmals für den Getreidekorridor angewendet, als die Ukraine nicht mit Russland, sondern mit der Uno und der Türkei verhandelt hat«, so der ukrainische Präsident auf die Frage, ob er sich Umstände vorstellen könnte, unter denen die Ukraine mit Wladimir Putin verhandeln würde.
Genau diese Selenskyj-Sätze, die Verhandlungen mit Russland unter Mitwirkung internationaler Akteure das Wort reden, werden seit Tagen von allen führenden ukrainischen Medien zitiert. Allerdings: Auf der Homepage des »Philadelphia Inquirer« sucht man sie vergeblich. Verhandlungen mit Putin sind offensichtlich kein Thema für die US-Öffentlichkeit. Dass Selenskyj so etwas wirklich gesagt hat, zeigt dagegen ein ungekürztes Video des Interviews der »Ukrajinska Prawda«.
Rückeroberung besetzter Gebiete nicht mehr oberste Priorität
Selenskyj ist nicht der Erste in der Ukraine, der derartige Äußerungen tätigt. Bereits einige Tage zuvor hatte der Politologe Wolodymyr Fesenko in einem Interview mit der Fernsehjournalistin Natalja Mosejtschuk die These vertreten, dass die Rückgewinnung der verlorenen Gebiete nicht erste Priorität der Ukraine sei. Fesenko ist der wohl am meisten zitierte ukrainische Politologe, und es ist ein offenes Geheimnis, dass er Präsident Selenskyj sehr nahesteht.
»Den Menschen muss klargemacht werden, dass derjenige, der die Hauptstadt, die Mehrheit der Gebiete und den Zugang zum Meer behält, den Krieg nicht verloren hat«, sagte die Journalistin Mosejtschuk. Und Fesenko stimmt diesem Satz, der das bisherige ukrainische Narrativ von einem Sieg erst nach Rückgewinnung der Grenzen von 1991 grundsätzlich infrage stellt, zu und schiebt nach, dass das ja auch US-Präsident Joe Biden sagen würde.
Asow will weiterkämpfen
»Unser Hauptinteresse ist nicht nur die Rückgabe der Gebiete, wir müssen den Staat, die Nation erhalten. Das Territorium kann man auch später zurückholen. Das ist das Wichtigste. Und dann brauchen wir die Aufnahme des Landes in die EU und die Nato. Das ist die Formel für unseren Sieg«, so Fesenko.
Kritik an solch einem Vorschlag kommt aus der nationalistischen Ecke. Ohne Fesenko beim Namen zu nennen, twitterte der Stabschef des rechtsradikalen Asow-Bataillons Bohdan Krotewytsch: »Keinen Frieden ohne Sieg. Wir haben dann gesiegt, wenn kein einziger russischer Soldat mehr auf ukrainischem Territorium ist. Wir werden unseren Nachfahren diesen Krieg nicht vererben. Und wenn ihr das trotzdem macht, wird es schlecht werden, für sie und für euch.«
Westen wird Zugeständnisse verlangen
Für den bekannten Journalisten Dmytro Gordon sind Verhandlungen mit Russland hingegen »unausweichlich«. Noch in diesem Jahr werde es Verhandlungen geben, an denen westliche Politiker, China, die Ukraine und Russland beteiligt sein werden, sagte Gordon in einem auf Instagram veröffentlichten Video. Und spricht von einer »unangenehmen Situation« für Selenskyj.
»Der kriegsmüde Westen wird von der Ukraine verlangen, dass sie einer Reihe von Optionen zustimmt. Optionen, die nicht gut für uns sind. Und unsere westlichen Freunde und Partner werden Selenskyj sagen, dass es nicht möglich sei, zu den Grenzen von ’91 zurückzukehren, dass man etwas aufgeben müsse, zum Kompromiss bereit sein solle.«
Fortschritte schon bis November möglich
Unter dem Druck von allen Seiten, auch aus der ukrainischen Gesellschaft, könnte sich Selenskyj direkt an die Nation wenden und ein Referendum über die Verhandlungen abhalten lassen, prognostiziert Gordon.
Bereits vor einem Monat hatte der ehemalige Präsidentenberater Oleksij Arestowytsch bei Youtube von einer »sensationellen«, aber unbeachteten 180-Grad-Wende berichtet, als durchdrang, dass die ukrainische Führung ernsthaft über das Einfrieren des Krieges entlang der aktuellen Frontlinie nachdenke.
Am 28. Juni hatte Selenskyj einen »klaren und detaillierten Plan« zur Beendigung des Krieges noch in diesem Jahr angekündigt. Vieles deutet derzeit darauf hin, dass bis zur US-Präsidentschaftswahl Anfang November Bewegung in mögliche Friedensverhandlungen kommt.
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