• Sport
  • Frankreich gegen Spanien

Entscheidung auf den Flügeln

Die beste Offensive trifft auf die stabilste EM-Abwehr: Das Halbfinale Frankreich gegen Spanien verspricht viel

  • Maik Rosner, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Frankreichs Abwehr um Theo Hernandez (r.) bewies nicht nur gegen Belgien, dass sie nur äußerst schwer zu knacken ist.
Frankreichs Abwehr um Theo Hernandez (r.) bewies nicht nur gegen Belgien, dass sie nur äußerst schwer zu knacken ist.

Seinen bisher letzten Arbeitsnachweis bei der Fußball-EM erbrachte Theo Hernández in eher ungewohnter Position. Zentral vor dem Tor der Portugiesen stand Frankreichs Linksverteidiger und schoss den Ball mit seinem linken Fuß in den Winkel. Unter normalen Umständen hätte es eine solche Szene wohl kaum gegeben. Doch das Elfmeterschießen im Viertelfinale am Freitag nach dem 0:0 über 120 Minuten ermöglichte es dem 26 Jahre alten Hernández auch einmal, seine Qualitäten im Abschluss vorzuführen. Mit seinem Versuch besiegelte der Profi des AC Mailand den Einzug Frankreichs ins Halbfinale. Sein Linksschuss vom Punkt geriet dabei so präzise, dass er mit gefühlt exakt gleichem Abstand zu Pfosten und Latte im Winkel einschlug und Eingang ins Handbuch für perfekt getretene Elfmeter finden könnte.

An diesem Dienstag in München im Halbfinale gegen Spanien wird sich Théo Bernard François Hernández in einem ganz anderen Duell beweisen müssen. Es könnte ähnlich herausfordernd geraten wie das direkte Aufeinandertreffen mit einem Torwart in einem wichtigen Elfmeterschießen. Dann werden jedoch andere Qualitäten gefragt sein, denn es geht für Hernández weniger um Nervenstärke und Präzision als um die Geschwindigkeit in seinen Beinen und seinen Gedanken.

Zu tun bekommen wird er es als französischer Linksverteidiger mit Spaniens Hochbegabtem Lamine Yamal, erst 16 Jahre alt, der seine Dribblings vorzugsweise auf dem rechten Angriffsflügel zur Aufführung bringt. Das Duell der beiden dürfte eines der entscheidenden werden im Vergleich der Nachbarländer. Ähnliche Bedeutung kommt auch dem gegenüberliegenden Duell von Frankreichs Rechtsverteidiger Jules Koundé gegen den flinken spanischen Linksaußen Nico Williams zu. Nicht zu vergessen sind auch jene womöglich entscheidenden Situationen, in denen Frankreichs Offensivspieler Kylian Mbappé über seine bevorzugte linke Seite kommt und dort auf Jesús Navas, 38, als Vertreter des gesperrten Dani Carvajal treffen könnte. 

Bisher haben weder Frankreichs Nationalmannschaft insgesamt noch ihr eigentlich herausragender Solist Mbappé ihre Qualitäten in der Offensive zur Geltung bringen können. In ihren bisher fünf Auftritten bei diesem Turnier ist ihnen noch kein einziges Tor aus dem Spiel heraus gelungen, das nicht ein Gegenspieler unglücklicherweise erzielt hat. Auch deshalb schwingt die Frage mit, ob der gehemmt wirkende Mbappé nach seinem Nasenbeinbruch gegen Spanien endlich zeigen kann, was in ihm steckt.

Es klang beinahe wie ein Eingeständnis, als der 25-Jährige zur Kritik an der oft recht unattraktiven Spielweise der Franzosen anmerkte: »Die Leute denken vielleicht, es sei ein Witz. Aber wir sind im Halbfinale.« Das Wichtigste sei nun mal zu gewinnen, sagte Mbappé vor dem Spiel gegen jenes Land, in dem er nach der Europameisterschaft für Real Madrid spielen wird.

Genauso, wie die Franzosen offensiv noch kein eigenes Tor aus dem Spiel heraus zustande gebracht haben, mussten sie in der Defensive bei dieser EM aber auch noch kein Gegentor aus dem Spiel heraus hinnehmen. Eine solche Stabilität sei »auf diesem Niveau das A und O«, findet ihr pragmatischer Trainer Didier Deschamps. Wesentlichen Anteil daran, dass Torwart Mike Maignan bisher nur per Elfmeter zu überwinden war, haben die Außenverteidiger Koundé und Hernández. Exemplarisch dafür stand zuletzt Frankreichs Achtelfinale gegen Belgien. Koundé war danach als »Player of the match« ausgezeichnet worden. Auf Hernández hätte die Wahl aber ebenfalls fallen können. Ähnlich wie Koundé hatte sich auch er ja Fleißkärtchen verdient, weil er in Offensive und Defensive Akzente setzte. Besonders in Erinnerung blieb sein langer Sprint, um im letzten Moment gegen Yannick Carrasco spektakulär mit einer Grätsche das 0:0 zu retten. Kurz darauf leitete er vorn mit seinem Dribbling von links in die Mitte das Siegtor ein.

Und jetzt gegen Spanien? Hernández wird wissen, dass er Yamal besser nicht so viel Zeit und Platz gewährt wie Deutschlands Verteidiger David Raum im Viertelfinale vor Yamals Vorlage zum 0:1. Immerhin kann er nun wieder auf die Unterstützung von Adrien Rabiot zählen. Der Mittelfeldspieler wird nach seiner gegen Portugal abgesessenen Gelbsperre wieder in der Startelf zurückerwartet. Den Spaniern fehlt dagegen neben Carvajal auch der ebenfalls gesperrte Robin Le Normand. Der rechte Innenverteidiger hatte sich gegen Deutschland seine zweite gelbe Karte eingehandelt. Auch das dürfte sich Mbappé bei seinen Vorstößen auf seiner bevorzugten Seite zunutze machen wollen. 

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.