- Politik
- SCO-Gipfel
China: »Ich sehe keine wirklich prorussische Position«
Der China- und Zentralasien-Experte Temur Umarow über das Verhältnis zwischen Peking und Moskau
In den letzten Jahren expandierte die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit SCO aktiv: 2017 traten ihr Indien und Pakistan bei, dann der Iran und jetzt Belarus. Beim Gipfel in Astana vergangene Woche waren auch UN-Generalsekretär Guterres und Präsident Erdoğan. Ist das ein Erfolg für Wladimir Putin?
Diese Organisation erweckt nur den Anschein einer großen Aktivität – in Wirklichkeit existiert keine. Ein Vorteil ist, dass sich dort Staats- und Regierungschefs regelmäßig treffen können, ohne Verantwortung für die Aussagen ihrer Kollegen zu übernehmen. Es ist nichts weiter als eine Plattform, auf der Länder, auch Nichtmitglieder, einfach ihre Bedenken äußern und ihre Interessen darlegen können.
Also kein Erfolg?
Wenn alles so vage ist, ist schwer zu beurteilen, was einen Erfolg ausmacht. Aber wenn man die Tatsache, dass sich alle getroffen haben, schon als Erfolg sieht, dann kann man einen solchen bejahen. Allerdings kann ihn nicht Putin verbuchen, sondern Kasachstans Präsident und Gastgeber Kassym-Schomart Tokajew.
Temur Umarow arbeitet am Carnegie-Zentrum für Russland und Eurasien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Zentralasien und die chinesischen Beziehungen zu Russland und der Region. Er verfügt über Abschlüsse in Internationale Beziehungen und weltweite Ökonomie der Moskauer Elitehochschule MGIMO und der Universität für Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Peking.
China beteiligt sich seit Kurzem nicht mehr an Wirtschaftsprojekten der Schanghai-Organisation und kooperiert auch nicht mit dieser in Sicherheitsfragen. Wofür braucht Peking dann die Organisation?
Bisher wollte China in der Organisation seine Präsenz in Zentralasien zeigen und seine Aktionen dort mit Moskau koordinieren. Dazu kam es jedoch nicht, da Moskau immer neidisch auf das war, was in seinen ehemaligen Randgebieten geschah. Es blockierte deswegen chinesische Initiativen innerhalb der Organisation. So wandte sich Peking desillusioniert ab und begann unabhängig zu agieren.
Warum verlässt China die Organisation nicht?
Das wäre ein offenes Signal an die restliche Welt über Widersprüche in den russisch-chinesischen Beziehungen. Peking versucht in der Organisation seinen Ruf als verantwortungsbewusste Macht, sein ideologisches Verständnis davon, wie die Welt strukturiert sein sollte, zu stärken. So sehen wir etwa, dass in den Gründungsdokumenten der Organisation rein chinesische Begriffe verwendet werden wie die Schlagworte des »Kampfes gegen die drei Übel« – Terrorismus, Extremismus und Separatismus. So nutzt China die Organisation als Plattform, um seine Sichtweisen zu fördern. Bisher über eher allgemeine und vage Formulierungen. China könnte sich auch ganz anders ausdrücken, aber es braucht nicht nur die Sympathie anderer Staaten, sondern Unterstützung bei seiner Außenpolitik.
Beim Treffen zwischen Putin und Xi war die Ukraine kein zentrales Thema. Doch der Kreml betont, die beiden Staatschefs hätten »die Sinnlosigkeit einer ukrainischen Lösung ohne Russland« betont. Das kann man als Anspielung auf die Nichtteilnahme Chinas an der jüngsten Ukraine-Konferenz in der Schweiz sehen. Bedeutet das eine prorussische Haltung Chinas gegenüber der Ukraine?
Auf den ersten Blick wirkt es so, aber ich sehe keine wirklich prorussische Position. China geht hier nur von seinen eigenen Interessen aus. Einerseits ist Peking ein Verfechter der Souveränität und territorialen Integrität, von der es immer in der Taiwan-Frage spricht. Als Russland die territoriale Integrität der Ukraine verletzte, geriet es in Konflikt mit dieser chinesischen Position. Der Krieg in der Ukraine stellte das Prinzip der Freundschaft Chinas mit Russland auf die Probe. Von Peking wird erwartet, dass es aktiver eingreift, um zur Beendigung des Krieges und zur Lösung der durch ihn verursachten Probleme beizutragen. China kann dafür keines seiner Prinzipien opfern. So kam es zu einer zwiespältigen Position und zu widersprüchlichen und sich gegenseitig ausschließenden Aussagen. Das liegt aber nicht daran, dass China versucht, einen Ausgleich zu schaffen, sondern daran, dass es zuerst an sich selbst denkt, seine außenpolitischen Interessen. Ich denke, Peking wird weiter so agieren, bis die Situation vor Ort sich ändert. Wenn etwa Russland und die Ukraine Verhandlungsbereitschaft zeigen, können wir mit einer aktiveren Rolle Chinas rechnen.
Wladimir Putin besuchte kürzlich Nordkorea, wo er auch ein strategisches Partnerschaftsabkommen mit Kim Jong-un unterschrieb. Bereitet das den chinesischen Offiziellen Sorgen?
Auf den ersten Blick wirkt es so, dass China auf Nordkorea genauso eifersüchtig blickt wie Russland auf Zentralasien. Tatsächlich war Pjöngjang in den letzten Jahrzehnten fast komplett von Peking abhängig. Russland hatte vor dem Ukraine-Krieg versucht, seine Kontakte mit Nordkorea auf ein Minimum zu reduzieren und eher seine Beziehungen zu Südkorea auszubauen.
Die Prioritäten haben sich durch diesen Krieg geändert?
Ja. Der Kreml braucht absolut jeden Partner, der seine Aggression gegen die Ukraine unterstützt. Vor allem, wenn er Waffen an Russland liefert. Heute ist tatsächlich Nordkorea einer der führenden Unterstützer der russischen Invasion. Dennoch hat die gegenseitige Zusammenarbeit kein wirklich neues Niveau erreicht. So sehen wir keine groß angelegten Lieferungen russischer Waren nach Nordkorea, da Moskau selbst ausländische Importe braucht. Es ist also eine Annäherung aus der Situation heraus.
Wird das kritisch von China beobachtet?
Peking beobachtet das. Aber es sieht, dass Russland China als Lebensader der Nordkoreaner nicht ersetzen kann. Deswegen ist die Besorgnis noch nicht sehr groß über die Annäherung zwischen Moskau und Pjöngjang.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.