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Willie Stewart: »Wir wollten einfach anders leben«
Soul auf Irisch, abseits der Städte: Ein Gespräch mit Willie Stewart, der das Label Nyahh Records betreibt
Sie leiten das kleine Musiklabel Nyahh Records in einem entlegenen Winkel Nordwestirlands. Was ist die Bedeutung von »Nyahh«?
Das Wort »nyahh« ist Irisch und beschreibt die »Seele« einer Gesangsdarbietung. Es ist etwas, das man entweder hat oder nicht: ein intensiver, emotionaler Zugang zu der Musik. Es steht in der Tradition des Sean-Nós-Gesangs: a cappella, mit langen, reich ausgeschmückten musikalischen Phrasen.
Ungewöhnlich ist auch der Standort des Labels. Die Grafschaft Leitrim wird normalerweise nicht mit Underground-Musik in Verbindung gebracht.
Meine Partnerin Natalia Beylis und ich sind 2006 hierhergezogen. Im Grunde wollten wir einfach raus aus der Stadt. Dublin war zwar noch nicht absurd teuer, aber man merkte schon eine gewisse Veränderung. Wir wollten einfach anders leben, mit mehr Raum, mehr Zeit und weniger Kosten. Seitdem haben wir in verschiedenen Bands gespielt und waren sehr kreativ. Durch die Umgebung haben wir viele Anregungen bekommen, die wir in der Stadt nicht gehabt hätten. Um dieses Material herauszubringen, habe ich dann vor zwei, drei Jahren das Label gegründet.
Der Musiker Willie Stewart, Jahrgang 1979, wuchs in einem Restaurant auf und ist seit Jahrzehnten in verschiedenen musikalischen und kulturellen Projekten aktiv. Er leitet das winzige Musiklabel Nyahh Records aus der winzigen Ortschaft Drumnadubber in einem entlegenen Winkel Nordwestirlands.
Wie ist Ihre Beziehung zu Dublin, der einzigen Großstadt Irlands?
Ich bin dort aufgewachsen und habe früh angefangen, Konzerte zu organisieren und in Bands zu spielen. Mitte der 90er Jahre habe ich auch ein Fanzine gegründet. Dublin war damals richtig aufregend. Und alles war billiger. Man konnte sich von der Stütze eine eigene Wohnung leisten und seine Zeit der Musik widmen. Aber jetzt leben 40 Prozent junger berufstätiger Menschen bei ihren Eltern. Das klingt nicht gerade lustig und macht es nicht einfach, Musik zu machen. Die Stadt, aber auch Irland allgemein hat sich total verändert. Anfangs dachten Leute, alles würde super, wenn sich all die Tech-Unternehmen hier ansiedeln. Aber jetzt treiben die Angestellten von Google und so weiter die Mieten in die Höhe und verdrängen Menschen aus ihren Nachbarschaften. Ich habe also eine Art Hassliebe zu Dublin. Die Stadt ist immer noch ziemlich schmuddelig, aber aufregend finde ich sie nicht mehr.
Gibt es also mehr Menschen wie Sie, die die Stadt verlassen? Und merkt man das im Kulturleben?
Viele Leute meines Alters, also Mitte vierzig, leben nicht mehr da, sondern auf dem Land oder etwas außerhalb. Aber es gibt eine aktive Underground-Szene in Dublin und ein paar nichtkommerzielle Räume und Bands, DJs, Produzent*innen, die sich bemühen, eine Alternative zu dem lahmen, langweiligen Mist zu schaffen, der vorherrscht. Hut ab vor ihnen, denn heute ist das viel schwieriger als zu meiner Zeit. Aber die Nische ist so klein, dass man wirklich Leute braucht, die wissen, was läuft, um diese Orte zu finden. Andernfalls sieht man von der Stadt nur die Guinness-Brauerei.
Auf Ihrem Label bringen Sie radikal verschiedene Musiken raus. Sie kümmern sich um kein bestimmtes Genre, veröffentlichen sowohl traditionelle Musik als auch avantgardistische Klangexperimente. Was ist das verbindende Element, das alles zusammenhält?
Wahrscheinlich ich. (lacht) Es ist einfach Musik, die ich interessant finde. Aber darüber hinaus finde ich, dass alle Veröffentlichungen eine gewisse Rohheit und Direktheit verbindet. Und die Drones (lange eher tiefer Töne, Anm. d. Red.) verbinden irische Musik mit Musik aus Nordafrika und dem nahen Osten, sehr alte Musik und die Avantgarde.
Was verbindet Sie mit traditioneller Musik?
Als junger Mensch habe ich geskatet und hauptsächlich die Beastie Boys und Punk gehört. Alles sehr amerikanisch. Traditionelle Musik habe ich erst relativ spät für mich entdeckt, als ich nach Leitrim zog. Meine Vorlieben sind da auch eher selektiv. Ich mag hauptsächlich Sean-Nós-Gesang (traditioneller Gesang ohne musikalsiche Begleitung, Red.) und Stücke für ein Soloinstrument, also keine Ensemblemusik aus diesem Bereich.
Traditionelle Elemente finden sich ja auch bei One Leg One Eye, dem Soloprojekt von Ian Lynch, einem Mitglied der international sehr erfolgreichen Band Lankum.
Ich kenne Ian schon sehr lange, und One Leg One Eye verbindet meiner Ansicht nach alle Musik, die Ian jemals gehört hat: Punk, Metal, Noise und irische Straßenballaden. Ist es Folk? Ist es Black Metal? Ist es Drone? Es ist alles davon!
Apropos Drone: Darüber wird ja momentan recht viel geschrieben. Was ist Ihrer Meinung nach der Reiz dieser Musik?
Ich glaube, diese Klänge erinnern an das, was wir im Mutterleib hören. Es ist der Klang der Erde. Drones sind auch universell und sind ein Teil sehr alter Musik weltweit: von Asien über den Nahen Osten und Europa bis nach Nordamerika. Drones sind einfach ein natürlicher Klang, der viele Leute intuitiv anspricht.
Ein Album, das im Labelkatalog heraussticht, ist der Verkaufsschlager »I am Kurdish« von Mohammad Syfkhan. Wie entstand die Zusammenarbeit mit dem gelernten OP-Pfleger, der als Flüchtling aus Syrien nach Irland kam?
Ich war schon immer ein Fan der Musik aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika. Mohammad traf ich, als ich bei einer internationalen Kulturveranstaltung hier in der Gegend für die Soundanlage zuständig war. Er kam mit seiner Bouzouki auf mich zu und fragte einfach, wo er sein Verstärkerkabel anschließen könne. Ich war etwas überrascht, weil eigentlich keine Livemusik geplant war. Wir konnten sein Instrument anschließen, und er begann einfach zu spielen. Es war ein wunderschöner Moment, weil alle sofort begeistert waren und zu tanzen anfingen. Wir tauschten unsere Nummern aus, und ich organisierte ihm Auftritte bei Partys. Dann ergab sich die Möglichkeit einer Aufnahme – und nach ein Paar Tagen Proben mit zwei Musiker*innen von hier nahmen wir das Album auf. Mit dem großen Erfolg, den die Platte hatte, hätte ich nicht gerechnet, aber er freut mich ungemein. Es liegt wohl auch an Mohammads persönlicher Geschichte.
Was ich mich immer gefragt habe: Warum gibt es in Irland so viel Solidarität mit Palästina, aber so wenig mit der kurdischen Sache? Was die Unterdrückung ihrer Sprache und Kultur angeht, haben Kurd*innen doch ähnliche historische Erfahrungen wie Menschen in Irland.
Da gibt es einfach eine Wissenslücke. Die Geschichte Kurdistans ist auch so komplex, und es gibt keinen eindeutig als Kurdistan bezeichneten Ort. Deshalb ist es wohl weniger wahrnehmbar. Und Palästina war einfach schon immer ein großes Thema in den Medien, was es aufgrund der aktuellen Lage ja auch jetzt ist.
Veröffentlichungen von Nyahh Records können über Bandcamp gestreamt und gekauft werden. Besonders zu empfehlen sind:
»Whose Woods these are« von Natalia Beylis und Eimear Reidy. Ruhige Minimal Music für Cello und Klavier bzw. Orgel, die den Wald als Utopie der Allmende fühlbar macht.
»Under the island: Experimental Music in Ireland 1960–1994«. Unter großem Rechercheaufwand zusammengestellte Sammlung experimenteller Musik mit oft spielerischem Charakter.
»Hell Bank Note« von Burning Love Jumpsuit. Hyperaktiver Funk, gespielt wie früher Punk, also auf einfachstem technischen Niveau. Dazwischen Lärm und Samples aus Trash-Filmen.
»A Collection of Songs in the Traditional & Sean-Nós Style«. Musik aus dem Westen Irlands, die nicht dem Banjo-und-Akkordeon-Klischee entspricht. Intime Soloaufnahmen von faszinierenden Liedern und Balladen, die teils fast orientalisch klingen.
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