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Der Führer zittert nicht!
Mit seinem Kinofilm »Führer und Verführer« will Joachim A. Lang das Phänomen Goebbels beleuchten – und scheitert
Muss man sich für Adolf Hitler und seine Helfer interessieren, sollte man nicht eher an ihre vielen – oft namenlosen – Opfer erinnern? Manche fordern das, aber das ist falsch. Denn dies verkennt, dass sich in Deutschland 1933 ein gesellschaftliches Modell etablierte, das ganz und gar rücksichtslos die eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen durchsetzte. Darum ist es richtig, Joseph Goebbels, den Propagandaminister Hitlers, ins Visier zu nehmen, denn er prägte das Bild des sogenannten Dritten Reiches.
Das Führer-und-Volk-Modell gilt es immer wieder zu analysieren, um zu verhindern, dass Nachahmer damit Erfolg haben. Darum auch hatte der vormalige Buchenwald-Häftling Eugen Kogon sein Buch »Der SS-Staat« geschrieben und der Schweizer Psychoanalytiker Max Picard bereits 1945 mit seiner Studie »Hitler in uns selbst« gezeigt, dass totalitäre Regime nicht an einzelne Figuren geknüpft sind. Er hatte sich gefragt, wie sich autoritäre Strukturen etablieren konnten, die auf bloßer Gefolgschaft basieren. Verhältnisse, wo das bloße Dagegen-Sein – Rosa Luxemburgs »Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden« – den Kopf kostet. Für Picard beginnt die Barbarei in dem Augenblick, da das freie Wort zur Parole degradiert wird, man Widerspruch erst niederbrüllt, dann niederknüppelt.
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»Führer und Verführer« von Joachim A. Lang setzt hier an, sowohl historisch als auch strukturell. Die aufklärerische Absicht muss man ihm zugutehalten. Ohne mediale Inszenierung, ohne Propagandalügen und Manipulation wäre Hitler nicht zum umjubelten »Führer« geworden, der aus seinen Verbrechen kein Geheimnis machte. Doch dazu brauchte er einen Helfer, der sein Handwerk verstand. Hitler fand Goebbels, den skrupellosen Intellektuellen schlechthin, Karrierist, Opportunist und Fanatiker in einer Person. Als Schriftsteller und Journalist gescheitert (was er mit einer jüdischen Verschwörung in den Verlagen begründete), wollte er bei dem renommierten jüdischen Gelehrten Friedrich Gundolf promovieren, was aber ebenfalls scheiterte. Es war der verhinderte Kunstmaler Hitler, der dem verhinderten Autor Goebbels die politische Bühne bot für ein barbarisches Schmierenstück.
Doch wie genau funktioniert Verführung, die auf die Faszinationskraft von technisch erzeugten Bildern und Tönen setzt? Goebbels agiert als Dramaturg von Hitlers Auftritten, sekundiert von Leni Riefenstahls Überwältigungsästhetik, die die von Einzelnen dirigierte Masse so in Szene zu setzen vermochte, dass noch das Niedrigste wie erhaben wirkte. Hier hat »Führer und Verführer« einige starke Momente. Wann übergibt das kleine Mädchen dem im offenen Wagen vorbeifahrenden Hitler einen Blumenstrauß? Goebbels überlässt nichts dem Zufall. Was Realität sei, bestimme er, so der Propagandaminister.
Als Hitler im Frühjahr 1945, da kämpft die Rote Armee bereits in Berlin, noch einmal aus seinem Führerbunker kommt, um das letzte Aufgebot des »tausendjährigen Reiches«, Kinder mit Panzerfäusten, auszuzeichnen, gerät auch dessen stark zitternde Hand ins Bild. Goebbels tobt: »Der Führer zittert nicht!« Das ist die Demagogie, die blindwütig jede Realität leugnend selbst in den Tod geht und alle anderen mit ins Verderben reißt.
»Führer und Verführer« setzt 1938 ein – als Hitler seine Eroberungspolitik zu realisieren beginnt. Wie kann man so plötzlich von bis dahin geübter Friedensrhetorik auf Kriegspropaganda umschalten? Das Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath durch den 17-jährigen jüdischen Polen Herschel Grünspan in Paris bietet den Anlass dazu. Jetzt folge die Vergeltung, so Goebbels’ Propagandaapparat, der die Pogromnacht vom 9. November als spontanen antijüdischen Volkszorn inszeniert.
Der 135 Minuten lange Film braucht vor allem, so paradox das klingt, einen überzeugenden Goebbels-Darsteller. Denn wenn hier eine bloße Schmierenkomödie gespielt würde, verlöre auch der mit dieser realen Figur verbundene Schrecken an Glaubwürdigkeit. Aber es sind doch keine tragischen Gestalten, sondern Hitlers Hofschranzen, politische Hasardeure, die tatsächlich eine Schmierenkomödie der blutigsten Art aufführen! Gewiss, aber die Kunst folgt eigenen ästhetischen Gesetzen. Etwas muss uns an diesen üblen Figuren interessieren, wir müssen etwas Neues entdecken wollen, sonst bräuchten wir keinen Film mehr über Goebbels und Hitler. Mit Archiv-Berghofbildern hat uns Guido Knopp in seinen Hitler-Filmen aus den 90er Jahren bereits ausgiebig versorgt.
Jeder Schauspieler weiß, wie heikel es ist, Hitler oder Goebbels zu spielen. Bruno Ganz wurde seinen emphatisch gespielten Hitler im Bunker aus »Der Untergang« (2004) nicht mehr los, Ulrich Matthes als Goebbels blieb dagegen eher klug auf Distanz. Auch Ulrich Mühe war – in der Lubitsch-Nachfolge von »Sein oder Nichtsein« – 2001 in »Goebbels und Geduldig« der Propagandaminister und zugleich sein Doppelgänger. Er machte das so überzeugend, dass der Film erst Jahre später – und nach quälend langen Diskussionen, ob man das überhaupt dürfe – gezeigt wurde.
Robert Stadlober war also gewarnt, als er die Goebbels-Rolle übernahm. Richtig eingelassen auf diesen faunhaften Fanatiker hat er sich dann doch nicht. Dass dieser die Techniken von Marketing und Manipulation im Sinne absoluter Machtausübung mittels Radio und Fernsehen perfektionierte, wird eher behauptet als gezeigt. Stadlober bleibt in seiner Darstellung recht schwammig, trägt das Unsympathische dieses Karrieristen, der zum zweiten Manne im Staate werden will, wie ein Schutzschild vor sich her.
Vielleicht ist aus diesem Typus Vasall nicht mehr herauszuholen? Doch, man denke an Rolf Hoppe als Hermann Göring – eiskalt und jovial zugleich – in István Szabós Verfilmung von Klaus Manns »Mephisto« (1981) über Gustaf Gründgens als ehrgeizigen Schauspieler und Staatstheaterintendanten. Der Künstler, der einen Teufelspakt mit der verbrecherischen Macht eingeht! Das war großes Kino mit Klaus Maria Brandauer als Gründgens, das in Sachen Verführung – und ihrem Preis! – tief lotete.
Aber Lang, der 2018 mit einem überzuckerten »Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm« aufwartete, ist nicht Szabó. Und der zu behäbige Stadlober wird kein Brandauer, denn ihm fehlt jene ruhelose Getriebenheit des Spielers, die ruchlos wird. Dabei findet die Ekstase des von sich selbst berauschten Egomanen Goebbels erst im Weltenbrand ihre selbstvernichtende Erfüllung, die er, notorisch verlogen, als höchstes Opfer zelebriert.
»Führer und Verführer« mangelt es trotz einiger guter Szenen an der gefährlichen Zuspitzung in der Sache selbst. Da gibt es historisches Dokumentarmaterial, dessen Einfügung ganz im Stil von Heinrich Breloers Doku-Dramen sinnvoll erscheint. Auch Holocaust-Überlebende wie Margot Friedländer und Charlotte Knobloch kommen zu Wort. Aber das nimmt etwas die Dynamik aus den Spielszenen und verstellt zudem die Tatsache, dass dies ein Film explizit über einen der Haupttäter des NS-Regimes ist. Ein Psychogramm von Joseph Goebbels, der als Erster die Medien virtuos nutzte, um Verbrechen zu heroisieren – zuletzt auch den Mord an den eigenen Kindern. Es genügt, das Böse aufzuzeigen, man muss es nicht noch zusätzlich als solches etikettieren.
Aber statt die abstoßende Wirkung seines negativen Helden ästhetisch zu forcieren, setzt Lang auf den moralischen Appell. Im Sinne Brechts, den er doch gern für sich reklamiert, scheint das nicht.
»Führer und Verführer«: Deutschland 2023. Regie/Buch: Joachim A. Lang. Mit: Robert Stadlober, Fritz Karl, Franziska Weisz. 135 Min. Start: 10. Juli.
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