Kollisionen mit der Milchstraße

Wahrscheinlich ereignete sich der letzte Zusammenstoß vor drei Milliarden Jahren

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 4 Min.
Verschiedene Abschnitte der Milchstraße variieren in Farbe und Leuchtkraft.
Verschiedene Abschnitte der Milchstraße variieren in Farbe und Leuchtkraft.

Wenn man auf ihre Entstehungsgeschichte blickt, ist unsere Milchstraße eigentlich eher eine Milchshakestraße: Die Spiralgalaxie mit einem dichten Zentralbereich, kräftigen Armen und einem kugelförmigen Umgebungsbereich, dem Halo, in dem gut 150 Kugelsternhaufen ihre Bahnen drehen, wurde im Laufe ihrer 13,6 Milliarden Jahre langen Entwicklung aus etlichen galaktischen Zutaten zusammengeschüttelt und -gerührt.

Galaxien stehen in gravitativer Wechselwirkung mit ihren Nachbargalaxien. Je nach Abstand, Größenunterschied und ihren relativen Geschwindigkeiten können Begegnungen zu einem vorsichtig streifenden Vorbeiziehen, einer deutlich dynamischeren Durchquerung bis hin zu einer vollständigen Verschmelzung der Galaxien führen. Unter Umständen kann das im Ergebnis zu einer völlig anderen Gestalt führen. Man geht etwa davon aus, dass die heutigen strukturlosen elliptischen Riesengalaxien aus der Verschmelzung von Scheiben- beziehungsweise Spiralgalaxien entstanden sind.

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Neue Sterne entstehen

Bei den galaktischen Zusammenstößen kommt es kaum zu Kollisionen von einzelnen Sternen – zu groß ist die Distanz zwischen den Himmelskörpern. Jedoch durchdringen sich die interstellaren Gas- und Staubansammlungen und in den heißen, dichten Stoßfronten können vermehrt Sterne entstehen. Die neue Galaxie unterscheidet sich damit nicht nur in Masse und Struktur, sondern kann durch die große Anzahl neu entstehender Sterne auch ihre Leuchtkraft und -farbe ändern.

Kosmologische Modelle gehen davon aus, dass im frühen Universum Galaxienkollisionen recht häufig vorkamen. Heutzutage sind lediglich ein bis zwei von 100 Galaxien in einem Verschmelzungsprozess begriffen – wie etwa NGC 4676, auch als »die Mäuse« bekannt: ein Paar wechselwirkender Galaxien, bei denen eine Kollision zwei lange, auffällige Schweife aus Gas und Staub zurückließ, die mit etwas Fantasie an Mäuseschwänze erinnern.

Auch in der Milchstraße gibt es Anzeichen für mehrere Wechselwirkungen mit etwas größeren und kleineren Galaxien. Diese wurden dabei vollständig zerrissen und ihre gesamte Materie wurde von der jungen Milchstraße verschluckt – die so jedes Mal kräftig an Masse zulegte, dabei aber ihre Spiralform behielt.

Die chemischen Eigenschaften und Bahnen der Kugelsternhaufen etwa geben erste Hinweise auf Art, Größe und Masse der Kollisionspartner und darauf, wann es zu der Wechselwirkung kam.

Bisher ging man davon aus, dass der letzte große Zusammenstoß der Milchstraße mit einer anderen Galaxie zwischen acht und elf Milliarden Jahre zurückliegt. Mit Daten der Raumsonde Gaia, die unter anderem die Positionen und Bewegungsrichtungen von mehr als einer Milliarde Sternen der Milchstraße mit bislang unerreichter Präzision vermisst, erkannten Astronomen nun jedoch Hinweise auf einen deutlich jüngeren Zusammenstoß.

Es zeigte sich, dass Ansammlungen von Sternen im Halo der Milchstraße ein auffälliges »schalenförmiges« Muster bilden. Das weist darauf hin, dass eine kleinere Galaxie das Zentrum der Milchstraße durchlaufen hat und dabei durch die dort wirkenden Gezeitenkräfte zerrissen wurde.

Letzte Kollision jünger als gedacht

Und ähnlich wie der Löffel Kakao in einer Tasse Milch am Anfang noch als Klümpchen und Schlieren zu erkennen ist und sich erst im Laufe der Zeit immer gleichmäßiger vermischt, so gleichen sich durch Wechselwirkungen verursachte Störungen in Galaxien stetig ihrer Umgebung an. Gaias Datensätze zeigen jedoch, dass die beobachteten »Sternschalen«, noch klar strukturiert sind – dass also noch nicht so viel Zeit vergangen ist, dass sich eine gleichmäßige Vermischung mit der Umgebung eingestellt hat.

In ihren Studien kommen Astronomen zu dem Ergebnis, dass das »Virgo-Radialverschmelzung« genannte Ereignis lediglich drei Milliarden Jahre zurückliegen könnte – und dass der Entwicklungsgeschichte unserer Heimatgalaxie damit ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden muss.

Milchstraße mit Kurs auf Andromeda

Und einen Ausblick gibt es auch schon. Die Milchstraße und ihre größte Nachbarin, die Andromedagalaxie, bewegen sich mit rund 120 Kilometern pro Sekunde mehr oder weniger direkt aufeinander zu. Ganz konkrete Vorhersagen zur Verschmelzung in einigen Milliarden Jahren lassen sich zwar kaum machen, doch einen Namen für das Resultat haben sich Astronomen trotzdem schon einmal überlegt: »Milkomeda« soll der künftige, gut zwei Billionen Sonnenmassen starke, elliptische Andromeda-Milchstraßen-Cocktail heißen.

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