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Aus dem Keller, in den Sinn
Der Sozialistische Realismus war auch expressiv und kubistisch: In Thüringen werden Reliefs von Otto Kayser restauriert
»Wenn das Kunst ist, kann es trotzdem weg!« Diese Verurteilung aus der Distanz zur Gesellschaftsordnung der DDR schlug nach 1990 zu. Abhängung oder Zerstörung folgten. Schwach erhob sich die Gegenmeinung, Denkmäler seien nötig, damit auch unbequeme Geschichte nicht vergessen wird.
Dem Gothaer Künstler Otto Kayser (1915–1998), für den aktuell eine große Ausstellung im Kunstforum Gotha ab November diesen Jahres vorbereitet wird, galt als Hauptaugenmerk die baugebundene Kunst. Diese hat großen Verlust erlitten und nur einzelnen Wiedergewinn erlebt. Die Außenwand der Polytechnischen Oberschule Pablo Neruda in Erfurt etwa trug Kaysers Industrieemail »Krieg und Frieden« von 1975. Der Schulname Neruda wurde nach der Wende abgelegt, und die Arbeit Kaysers liegt heute abgebaut im Keller herum. Es ist das Bild einer Frau, die ein Kind über ihren Kopf erhebt – ein Lieblingsmotiv von Kayser. Auf einer Säule in dem Dorf Seebach, dem Höhepunkt seiner baugebundenen Kunst, zeugte es vom Triumph des Lebens.
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Im Auftrag des Rates der Gemeinde von Seebach wurde 1973 in dem Ort bei Ruhla der »Zentrale Platz« umgestaltet und erhielt den Architekturpreis des Rates des Bezirkes Erfurt. Auf dem Platz neben dem Schulneubau und der Kinderkombination, inmitten zweier Wohngebiete mit ferngeheizten Neubauwohnungen, errichtete man eine fast sechs Meter hohe Säule mit einer Folge von vierundzwanzig in Kupfer getriebenen vollplastischen Reliefs zum Thema »Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung«.
Mit Säule, Springbrunnen und Bäumen bot der Platz einen schönen Zusammenhang. Anwohner, Gemeindeverwaltung, der Heimatverein mit Ortschronistin und der damalige Bürgermeister bedauerten den Abriss der Säule, durch den der Ort 1993 die Mitte und der Platz seine Seele verlor. Im Keller des Kulturhauses sind die Reliefs der Säule eingelagert, die mit ausdrucksintensiven Formen menschliches Leben spiegeln: Szenen des Handwerks und Gewerbes, Szenen des Widerstandes der Werktätigen, allegorische Darstellungen von Not, Verzweiflung und Resignation, schließlich Szenen der Industrialisierung der 1970er Jahre.
Mit differenziertem künstlerischem Vermögen in lebenswahrer Gestaltung überzeugen die Reliefs, deren Vorlagen Otto Kayser geschaffen und die der Kunstschlosser Klaus Kirchner aus Günther Laufers Werkstatt in Eisenach mit Kupfertreibarbeit gefertigt hat. Die expressiven, kubistischen und allegorisch gesteigerten Motive zeigen, wie der Künstler den Sozialistischen Realismus aufgefasst hat. Dem Wiedergewinn der Kunst Otto Kaysers kann in Seebach entgegengesehen werden. Denn zum Glück besteht der politische Wille und das ästhetische Interesse, dass zukünftig an den leeren Wänden im Kulturhaus die Reliefs geschützt und würdig einen neuen Platz finden.
Zuvor wird die geplante Gothaer Ausstellung schon drei Reliefs Kaysers präsentieren: »Die ungewisse Zukunft«, Mutter birgt den Säugling, ein Zeitsymbol auch heute, »Die Not«, Mutter mit hungerndem Kind, und »Glückliche Zukunft«, Mutter mit frohlockendem Kind. Gotha übernimmt die Kosten ihrer fachgemäßen Restaurierung durch Ulrich Barnickel, der als promovierter Hephaistos nicht nur in seiner Dissertation die künstlerische Fähigkeit der Metall- wie Stahlplastiker von der Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle, nachgewiesen hat, sondern selbst beherrscht. Als »Metaller der Burg« hält er an der anthropomorphen Gestaltung fest, die mittlerweile an der »Burg« verloren geht. Sein gewaltiges Hauptwerk »Weg der Hoffnung« von vierzehn monumentalen Skulpturengruppen aus Eisen, ein Kalvarienberg, beherrscht den Geisaer Berg. Aus dieser Grundhaltung will Barnickel solidarisch helfen, die Reliefs seines Kollegen Otto Kayser zu bewahren: Alles Verbogene muss ausgerichtet und geglättet, die Patina wiedergewonnen werden durch Überstreichen mit Salpetersäure, dann Leinölfirnis und ein kleiner Brenner, der alle Flächenteile zu einer Gesamtoberfläche glücklich verbindet.
Künftig sollen abstrakte und assoziative Gemälde von Veronika Wagner (Seebach) mit den figürlichen Reliefs Otto Kaysers dem Kulturhaus Seebach eine große ästhetische Spannung verleihen und verschiedene Interessen bedienen. Der Bürgermeister Gerrit Häcker freut sich: »Wir kommen der ›wirklich‹ kulturellen Nutzung dieses Hauses, das vor über 20 Jahren von meinen Vorgängern ohne jegliches Konzept für viele Millionen DM saniert wurde, näher und treten den Beweis an, dass der ländliche Raum durchaus ein attraktiver Lebensraum sein kann. Da gehören für mich die Fragen nach Kunst und Kultur gleichermaßen dazu.«
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