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Ost-West: Verzögertes Aufblühen

Die Entwicklung des Wissenschaftsstandorts Adlershof im Zuge der Vereinigung

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 7 Min.
Laserforschung an der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Adlershof um 1979
Laserforschung an der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Adlershof um 1979

Adlershof feiert sich heute gerne als als größter und erfolgreichster Wissenschafts- und Technologiepark Deutschlands und hebt seine auf die Zukunft gerichtete Innovationskraft hervor. Tatsächlich aber ist das Areal im Südosten Berlins mit eigener Autobahnausfahrt auch ein historisch vollgepackter Standort technologischer und wissenschaftlicher Pionierleistungen: Auf dem angrenzenden Flugplatz Johannisthal starteten die ersten Flugzeuge in den Berliner Himmel, die Akademie der Wissenschaften der DDR hatte hier ihre größte Institutsansammlung und das DDR-Fernsehen nahm hier seinen linientreuen Anfang. Über die spannendsten Adlershof-Jahre, die Zeit der Wende nach 1989 und die Integration ins gesamtdeutsche Wissenschaftssystem hat jetzt einer der Akteure von damals, der Physiker Ingolf Hertel, ein Buch geschrieben.

Für den Buchtitel »Blühende Landschaften« hat der aus Freiburg stammende Hertel augenzwinkernd eine Formulierung gewählt, mit der 1990 Kanzler Helmut Kohl in den neuen Bundesländern für die Vereinigung warb. Für die Wissenschaft jener intensivsten Wendemonate hat er eine interessante Stellungnahme des westdeutschen Wissenschaftsrats von Anfang 1990 ausgegraben, in der es hieß: »Insgesamt gesehen kann es nicht einfach darum gehen, das bundesdeutsche Wissenschaftssystem auf die DDR zu übertragen. Vielmehr bietet der Prozess der Vereinigung auch der Bundesrepublik Deutschland die Chance, selbstkritisch zu prüfen, inwieweit Teile ihres Bildungs- und Forschungssystems der Neuordnung bedürfen.«

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Übertragung der West-Strukturen

Aber dieses Fenster einer Synthese, bei der auch der Osten den Westen teilweise veränderte, war mit der Unterzeichnung des Einheitsvertrages Ende August 1990 wieder geschlossen worden. Von nun an lief die Übertragung der westlichen Strukturen auf den Osten, was für die Wissenschaft zentral die Säuberung der Hochschulen von SED-Kadern und in der Forschung die Auflösung der nach sowjetischem Muster zentralisierten Akademie der Wissenschaften der DDR bedeutete. Während der Wissenschaftsrat mit einer Großevaluation die neuen Forschungsinstitute vorbereitete – darunter das Max-Born-Institut für Kurrzeitspektroskopie (MBI), für das als einer von drei Gründungsdirektoren Ingolf Hertel nach Berlin kam –, war für das »Abräumen« die vom Bundesforschungsministerium eingesetzte »Koordinierungs- und Abwicklungsstelle der Institute und Einrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR«, kurz KAI-AdW zuständig. Wie in den Hochschulen verloren auch in der Forschung die meisten Wissenschaftler ihren Job. Wer Glück hatte, bekam über das »Wissenschaftler-Integrations-Programm« (WIP) die Chance auf befristete Anstellung.

»Blühende Landschaften« waren das in der ersten Hälfte der 90er Jahre in Adlershof jedenfalls noch nicht. »Ein übergreifendes Konzept für das Gesamtvorhaben fehlt und es gibt kein Konzept für gemeinsame Einrichtungen«, heißt es in einem Vermerk des Berliner Senats vom August 1992. »Das Gelände macht immer noch einen deprimierenden Eindruck!« Größte organisatorische Probleme waren die unterschiedlichen Senatszuständigkeiten und die Frage der Besitzverhältnisse. Erst als diese geklärt waren, konnten Millionenbeträge für Neubauten, davon viel aus EU-Förderung, nach Adlershof fließen. Das erleichterte auch den wissenschaftlichen Neuaufbau, wozu auch bald der Umzug der naturwissenschaftlichen Institute der Humboldt-Universität aus Mitte an den Stadtrand zählte.

Gründungen aus Notwendigkeit

Völlig anders verlief der Aufbau einer neuen, innovativen Wirtschaft in Adlershof. Unternehmen hatte es hier in der DDR-Zeit nicht gegeben. Nur wissenschaftliche Institute, in denen damals auch eine junge Physikerin mit dem Namen Angela Merkel arbeitete. Viele anwendungsorientierte Forscher, denen der Stuhl vor die Tür gestellt wurde, wurden gezwungenermaßen zu Gründern von kleinen Technologie-Start-ups. Das geschah in solcher Vielzahl, dass sich in Adlershof ein frühes Innovations-Ökosystem formte. Was heute die Wirtschaftspolitik mit Anreizen zu beleben versucht, wurde damals aus der Not geboren. Erstaunlich viele Gründerfirmen machten ihren Weg in die kapitalistische Wirtschaft. Ein Unternehmen, das sich auf Röntgentechnologien spezialisiert hatte, die Firma Röntec, wurde vor 15 Jahren, bei einem Umsatz von sechs Millionen Euro vom Analyse-Riesen Bruker übernommen. Heute macht die Röntec-Division einen Umsatz von 100 Millionen Euro.

Zu den Personen, die am längsten in Adlershof tätig sind, zählt der heute 89-jährige Ingenieur Norbert Langhoff. 1963 trat er als junger Student in das Zentrum für Wissenschaftlichen Gerätebau (ZWG) der DDR-Akademie ein, dessen Leiter er später wurde. Das Institut mit zuletzt 500 Beschäftigten produzierte vor allem Hightech-Messgeräte für die DDR-Industrie, etwa Carl Zeiss in Jena. Nach der Wende gründete Langhoff eine eigene Firma, das Institut für Gerätebau (IfG), das bis heute besteht und expandiert. »Er war einer der ganz wenigen AdW-Direktoren, die offenbar auch nach der Wende noch das volle Vertrauen ihrer Mitarbeiter genossen«, beschreibt ihn Hertel in seinem Adlershof-Buch. »Er wurde nicht ausgewechselt und erkannte im Umbruch auch für sich selbst die Chance, sein gewissermaßen zweites Leben zu beginnen: als Unternehmer – und war in den folgenden Jahren damit höchst erfolgreich.«

Vorhandenes Wissen zu wenig genutzt

Im Gespräch mit »nd.DieWoche« bestätigt Langhoff die für ihn positive Entwicklung. »Ich kann mich nicht beschweren«, sagt er im Rückblick auf die Jahrzehnte, in denen sich vieles veränderte. »Ich habe die Möglichkeiten, die sich mir boten, beherzt genutzt.« Eines hätte er sich allerdings bei der Transformation in Adlershof gewünscht: »Dass die erfahrenen Leute aus DDR-Zeiten mehr Mitsprachemöglichkeiten gehabt hätten.« Das Standortwissen wurde zu wenig genutzt, und die Entscheider aus dem Westen mussten sich zunächst in langwierige Lernschleifen begeben. »Mit unserer Hilfe hätte sich manches viel schneller realisieren lassen«, ist Langhoff überzeugt. So ist es auch nicht dazu gekommen, dass er Fraunhofer-Professor wurde. Nach einer ersten Evaluierung im letzten DDR-Jahr hätten sich 20 Prozent des ZWG dazu geeignet, ein anwendungsorientiertes Forschungsinstitut der Fraunhofer-Gesellschaft zu werden. Aber der Daumen im Berliner Wissenschaftssenat ging nach unten.

MBI-Direktor Ingolf Hertel interessierte sich aber bald für eine andere Forschungsorganisation. Viele neue Institute in den Ost-Ländern, die bei den etablierten Forschungsgesellschaften wie Fraunhofer, Helmholtz oder Max Planck nicht unterzubringen waren, wurden in die sogenannte »Arbeitsgemeinschaft Blaue Liste« eingruppiert: eine Art wissenschaftlicher Gemischtwarenladen von Bund und Ländern finanzierter Institute, wozu auch das MBI gehörte. Hertel packte es nun an, daraus eine neue, »vierte Säule« der deutschen Forschungslandschaft zu formen, die sich den Namen »Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz« (WGL) gab. Mit dem Image eines hässlichen Entleins neben den stolzen Forschungsschwänen sollte Schluss sein. 1995 wurde Hertel in Mainz zum ersten Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft gewählt, ein Amt, das er bis 1998 ausübte. Heute umfasst die Forschungsorganisation 97 Einrichtungen aller Fachrichtungen mit 20 000 Beschäftigten und einem Budget von mehr als zwei Milliarden Euro. Auch dies eine Transformation der deutschen Forschungslandschaft, die in Adlershof ihren Ausgangspunkt hatte.

Heute ein pulsierender Standort

Heute hat sich Adlershof zu einem pulsierenden Science-Tech-Standort entwickelt. Laut Standort-Management-Gesellschaft »Wista« haben sich auf dem Gelände mit einer Ausdehnung von 4,6 Quadratkilometern insgesamt 1330 Unternehmen und 18 wissenschaftliche Einrichtungen angesiedelt, in denen rund 28 000 Menschen arbeiten. Hinzu kommen die rund 6400 Studentinnen und Studenten der Humboldt-Universität in den Fächern Chemie, Geografie, Informatik, Mathematik, Physik und Psychologie. In der benachbarten Medienstadt auf dem früheren Gelände des Deutschen Fernsehfunks befinden sich 230 Unternehmen. Von hier werden auch die großen Berliner Wahlkampfdebatten und Polit-Talks ausgestrahlt.

Im Kerngebiet des Wissenschafts- und Technologieparks, auf dem früheren AdW-Areal, befinden sich rund 590 Unternehmen und außeruniversitäre Forschungsinstitute, darunter auch Langhoffs IfG und das Max-Born-Institut. Inhaltlich fokussiert der Standort auf die Technologiefelder Optik, Photovoltaik, Mikrosystemtechnik sowie Biotechnologie und Umwelt. Für jedes Technologiefeld wurden große Zentren errichtet.

»Inzwischen rüstet sich Adlershof für die weitere Zukunft«, gibt Ingolf Hertel nach seinem langen Rückblick einen kurzen Ausblick. Für ihn als Physiker ist wichtig, das derzeit »intensiv die nächste Generation einer brillanten Lichtquelle geplant« wird, die den Elektronenspeicherring BESSY II – ebenfalls eine Adlershof-Investition der 90er Jahre – ablösen soll. »Die Adlershof-Mission 2030 beginnt«, wird verkündet, mit den neuen Themenfeldern Klimaschutz und Energie, zirkuläre Materialwirtschaft und nachhaltige Mobilität. »Drei ohne Frage extrem wichtige, ja langfristig überlebenswichtige Themen für die gesamte Menschheit«, findet Hertel, der sich besonders über den Verkehrsschwerpunkt freut. Ist es doch, wie er schreibt, »eine wohltuende Bestätigung dessen, was ich 1999 als Staatssekretär versuchte: die Verkehrstechnik als Schwerpunkt zu etablieren«. Nun also Finish in der zweiten Runde.

Ingolf Volker Hertel: Blühende Landschaften – Wie die Wissenschaft vereinigt wurde. Epubli, 756 S., Hardcover, 79 €. Eine PDF-Version kann bei der BBAW kostenlos herurntergeladen werden: https://edoc.bbaw.de/frontdoor/index/index/start/1/rows/20/sortfield/score/sortorder/desc/searchtype/simple/query/Hertel/docId/3957

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