Reale Verluste und kleine Erfolge

Über den Anstieg und Fall von Tariflöhnen und politische Unterstützung für Gewerkschaften

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Gastgewerbe hat die Gewerkschaft NGG zuletzt relativ hohe Lohnzuschläge für Tarifbeschäftigte durchgesetzt.
Im Gastgewerbe hat die Gewerkschaft NGG zuletzt relativ hohe Lohnzuschläge für Tarifbeschäftigte durchgesetzt.

Die IG Metall galt lange Zeit als »Lohnlokomotive«: Wenn sie hohe Zuschläge durchsetzt, hilft das auch anderen Gewerkschaften. Doch in jüngster Zeit kann davon nicht mehr die Rede sein. Das zeigen Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre. Das »nd« hat Daten dazu zusammengestellt und Experten gebeten, uns Informationen zur gesamtwirtschaftlichen Tarifentwicklung in Ost- und Westdeutschland zur Verfügung zu stellen.

Über viele Jahre hat die IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie Lohnzuwächse durchgesetzt, die höher waren als in anderen Wirtschaftszweigen. Doch in den letzten vier Jahren waren die Metall-Abschlüsse niedriger als im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. 2023 sind beispielsweise die nominalen Metaller-Löhne um 4,5 Prozent gestiegen – im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt waren es 5,5 Prozent. Die realen Tariflöhne sanken dabei wegen der massiven Preiserhöhungen in vielen Branchen – und besonders stark in der Metallindustrie.

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Gründe für die relativ niedrigen Metall-Abschlüsse in jüngster Zeit sind tatsächliche und vermeintliche Probleme der Industrie, etwa beim Umstieg auf Elektromobilität. Auch die Furcht, dass Unternehmen Standorte verlagern oder Fabriken außerhalb Deutschlands errichten, dürfte eine Rolle spielen.

Die kleine Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) hat hingegen zuletzt beachtliche Erfolge erzielt. So sind im Gastgewerbe die Tarifentgelte 2022 und 2023 jeweils um mehr als neun Prozent gestiegen. Das sehr niedrige Lohnniveau in Kneipen und Restaurants hat sich damit etwas verbessert. Geholfen hat der Gewerkschaft die politische Entscheidung, den Mindestlohn 2022 auf zwölf Euro zu erhöhen. Mit dieser Unterstützung gelang es der NGG, dass vielerorts insbesondere die untersten Gehälter stark angehoben wurden. Auch für darüber liegende Entgeltgruppen und Ausbildungsvergütungen wurden Zuwächse vereinbart. Branchenübergreifend hat der höhere Mindestlohn dazu beigetragen, dass wenigstens die Kaufkraft von Erwerbstätigen, die ohnehin sehr schlecht bezahlt werden, nicht noch weiter geschrumpft ist.

Schaut man sich die langfristige Entwicklung der Tariflöhne in der Gesamtwirtschaft an, so sind sie nach 2010 kontinuierlich gestiegen, auch wenn man die Inflation berücksichtigt. Doch seit drei Jahren schwindet die Kaufkraft, die realen Tarifgehälter sinken. Das heißt beispielsweise für Westdeutschland: Preisbereinigt waren die Entgelte zuletzt nur noch etwa so hoch wie im Jahr 2015.

Tariflöhne: Reale Verluste und kleine Erfolge

In Ostdeutschland sind die Tariflöhne in den vergangenen Jahren etwas stärker gestiegen als im Westen. Das zeigen Daten, die das WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung dem »nd« zur Verfügung gestellt hat. Das gleiche gilt für die Entgelte insgesamt, wenn man also auch Beschäftigte betrachtet, die nicht nach Tarif bezahlt werden. So ist beispielsweise der Lohnunterschied von sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten in jüngster Zeit kleiner geworden. Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit beträgt er aber weiterhin 16 Prozent. Relativ klein ist die Differenz im Gesundheitswesen – und besonders groß in der Industrie.

Ein Grund dürfte sein, dass im Westen mehr Menschen in einem Großbetrieb arbeiten. Konzernzentralen liegen ebenfalls meist dort. Eine wichtige Rolle spielt auch die schwächere Tarifbindung im Osten. In der dortigen Metall- und Elektroindustrie arbeiten sogar nur rund 25 Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb, in dem der Flächentarifvertrag gilt. Das ist selbst für ostdeutsche Verhältnisse wenig. Gleichzeitig gilt in der westdeutschen Metallindustrie der Flächentarif für besonders viele Beschäftigte, nämlich für rund die Hälfte.

Tariflöhne: Reale Verluste und kleine Erfolge

Gewerkschafter*innen und Beschäftigte kämpfen dafür, dass mehr Betriebe nach Tarif zahlen. Die Politik kann sie dabei unterstützen. Genau das fordert eine EU-Richtlinie, die als Ziel eine Tarifbindung von 80 Prozent nennt. Staaten, die darunter liegen, müssen demnach einen Plan erstellen, wie sie die Tarifbindung erhöhen wollen. Auch der deutsche Gesetzgeber muss Vorschläge präsentieren, spätestens bis November.

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