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Thüringen: Mit Kaffee und Kuchen gegen rechts

Wie eine junge Frau in Thüringen auf dem Land mit Kaffee und Kuchen gegen rechts aktiv ist

Rechtsruck: Thüringen: Mit Kaffee und Kuchen gegen rechts

Sie haben sich vor fünf Jahren bewusst dafür entschieden, in den Saale-Holzland-Kreis zu ziehen – und damit in eine Region, in der die AfD besonders viel Zuspruch bekommt. Wenn Sie auf der Straße unterwegs sind, können Sie davon ausgehen, dass ungefähr jeder Dritte eine rechtsextreme Partei gewählt hat. Wie gehen Sie damit um?

Das ist sehr von der Situation abhängig. Natürlich ist Antifaschismus für mich eine feste innere Haltung. Und na klar passiert es, dass ich zum Beispiel an der Kasse im Supermarkt auf eine rechte Person treffe. In so einem Moment halte ich mich eher zurück, denn da geht es ja auch um meine persönliche Sicherheit. Aber es gibt natürlich andere Gelegenheiten, in denen man Menschen auf ihre politische Einstellung anspricht, mit ihnen darüber redet, warum sie die AfD wählen.

Was für Gelegenheiten?

Wir machen das immer wieder bei Personen, von denen wir glauben, dass sie noch nicht gefestigt rechtsextrem sind, dass man sie noch erreichen kann – etwa bei einer Kirmes oder beim Maibaumsetzen. Wir als Initiative sind bei solchen Gelegenheiten häufig einfach da, da kommt man dann schon ins Gespräch. Aber ganz klar: Das funktioniert nicht bei allen Menschen. Man muss sich immer bewusst machen, dass der Rechtsextremismus nicht erst da ist, seit es die AfD gibt. Gerade in ländlichen Räumen gibt es diese Denkmuster schon sehr, sehr lange. Personen, die zum Beispiel durch Tätowierungen oder Nazisymbole auf Kleidungsstücken eindeutig als Rechtsextremisten zu identifizieren sind, mit denen suchen wir kein Gespräch. Das macht keinen Sinn.

Interview

Die junge Frau, die sich »Elli« nennt, ist im Coburger Land, direkt hinter der südlichen Landesgrenze Thürin­gens aufgewachsen. Die 31-Jährige war zum Studium nach Jena gekommen und ist vor fünf Jahren in ein Dorf im Saale-Holzland-Kreis gezogen – jener Landkreis, der die Studentenstadt in Ostthüringen fast vollständig umgibt. Sie arbeitet derzeit für die Thüringer Landtags­abgeordnete Lena Saniye Güngör und engagiert sich in der Initiative »Antifaschistisch* Initiativ* Solidarisch«, die 2023 mit dem Thüringer Demokratiepreis ausgezeichnet wurde.

Es ist im ländlichen Raum viel schwieriger, anonym zu bleiben, als in einer Stadt. Haben Sie manchmal Angst, hier als Antifaschistin aktiv zu sein?

Sicherheit ist ein ganz großes Thema. Wir reden da in der Gruppe auch immer wieder darüber, zum Beispiel dann, wenn wir besprechen, wie weit wir bei bestimmten Aktionen gehen. Eigentlich sprechen wir darüber sogar bei allem, was wir tun. Jede Person hat einen eigenen Umgang mit dieser Frage. Ich persönlich versuche, mich nicht lähmen zu lassen. Ich stehe dazu, dass ich Antifaschistin bin.

Sind Sie schon mal körperlich angegriffen worden?

Körperlich nicht. Aber es gab schon Bedrohungen, Beleidigungen oder Situationen, in denen ich von Nazis verfolgt wurde.

Was machen Sie und Ihr Bündnis konkret im ländlichen Raum, unabhängig von Kirmes-Veranstaltungen oder Ähnlichem?

Wir organisieren Proteste gegen die AfD oder gegen andere Nazis, die hier in der Region präsent sind. Zum Beispiel haben wir protestiert, als ein Nazi in Eisenberg einen Tattooladen eröffnet hat. Und wir versuchen, unsere eigenen, linken Werte in die Bevölkerung zu tragen, indem wir zum Beispiel gemeinsam kochen oder Diskussionsrunden organisieren, indem wir auch einfach mal Spieleabende anbieten. Dabei ist es uns ganz wichtig, dass wir immer auch ein Gefühl von Solidarität vermitteln – Solidarität mit anderen Menschen in ländlichen Räumen, die so wie wir eine stabile Haltung haben; aber auch Solidarität mit Menschen, die als »nicht-deutsch« gelesen werden.

Sie werben also mit Kaffee und Kuchen, um linke Botschaften unter die Leute zu bringen?

Na ja, wir merken schon, dass es oft eine gewisse Zurückhaltung gibt, wenn wir bei unseren Aktionen unser Linkssein zu sehr in den Vordergrund rücken. Es gibt immerhin einzelne Orte, in denen es eine rechte Hegemonie gibt. In diesen Orten haben Menschen häufig Angst, sich offen dazu zu bekennen, dass sie eine linke Haltung haben oder dass sie gerne progressive Positionen beziehen würden. Da hilft es, wenn man diesen Menschen ganz niedrigschwellige Angebote macht.

Im Saale-Holzland-Kreis kamen Linke, SPD und Grüne bei der Europawahl zusammen auf ungefähr 15 Prozent; bei einer Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent. Die AfD hat klar gewonnen. Es sieht nicht danach aus, als würden besonders viele Menschen dort Ihre Werte teilen …

Diese Zahlen kann man nicht leugnen. Aber auch wenn eine Mehrheit bei uns im Landkreis Blau, Braun oder Schwarz wählt, so gibt es doch überall auch hier Menschen, die links denken, die links sind. Das ist doch spannend. Und abseits des Politischen ist das Dorf für mich einfach ein Wohlfühlort. Das Dorf ist mein Zuhause geworden. Das will ich mir nicht von Nazis nehmen lassen.

Spannend?

Ja, spannend. Denn anders als in der Stadt habe ich hier beim Kampf gegen rechts doch einen viel größeren Gestaltungsspielraum. Das ist auch eine Chance.

Eine Chance?

Na klar. Wenn ich mich zum Beispiel in Jena für Feminismus engagiere, dann gibt es da bereits ein großes Angebot, viele Themen sind abgedeckt. Im Saale-Holzland-Kreis gibt es keine feministischen Gruppen, das eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Ich kann Dinge ausprobieren.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Sie sind im Coburger Land, im bayerischen Teil Frankens, aufgewachsen, auch diese Region ist ländlich geprägt. Unterscheidet sich das Dorfleben in Ost und West?

Die Infrastruktur ist sehr unterschiedlich, auf jeden Fall. Daran merkt man ziemlich schnell, ob man in einem Dorf im Osten oder im Westen unterwegs ist.

Was meinen Sie mit Infrastruktur? Dass es in Dörfern in Westdeutschland noch Kneipen, Fleischer und Bäcker gibt?

Genau.

Ist es dort deshalb einfacher, über Feminismus oder Solidarität mit den Menschen ins Gespräch zu kommen?

Das ist eine spannende Frage. Und einerseits stimmt es schon, in vielen Dörfern im Raum Coburg gibt es noch Orte der Begegnung wie etwa Gasthöfe. Trotzdem tue ich mich schwer damit, diese Frage zu bejahen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Offenheit gegenüber linken Positionen zum Beispiel in Bayern größer wäre als in Thüringen. Die CSU und die Freien Wähler fangen dort einfach nach wie vor sehr viele Wähler*innen auf, die wahrscheinlich AfD wählen würden, wenn es die CSU dort nicht gäbe.

Für die Landtagswahl in Thüringen am 1. September zeichnet sich ab, dass das Ergebnis ähnlich ausfallen dürfte wie bei der Europawahl. Die AfD könnte etwa ein Drittel der Stimmen erhalten, auf dem Land vielleicht sogar noch ein paar mehr. Wenn das so kommt: Verlassen Sie dann den ländlichen Raum?

Ich bleibe hier. Schon aus Solidarität mit all den Menschen, die den Saale-Holzland-Kreis auch nicht einfach so verlassen können. Zum Beispiel, weil sie finanziell eingeschränkt sind, oder weil ihr Aufenthaltsstatus es ihnen nicht gestattet, den Landkreis zu verlassen. An diese Menschen muss man doch auch denken. Wahrscheinlich wird sich unsere Arbeit verändern, wenn die AfD im Landtag noch stärker werden sollte. Aber wir als Initiative werden trotzdem weitermachen.

Viele Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert haben, sind inzwischen mütend – also wütend und müde gleichermaßen. Sie wirken nicht so. Oder täuscht das?

Es gibt Momente, in denen ich auch müde bin. Man kommt immer wieder an die eigenen Grenzen. Immer mal wieder kommt sogar das Gefühl hoch, dass das alles doch nichts bringt. Es gibt aber noch sehr viel mehr Momente, in denen ich wütend bin. Aus dieser Wut ziehe ich einen großen Teil meiner Motivation. Die Zustände, die wir hier haben im Saale-Holzland-Kreis, in Thüringen, aber auch in anderen Bundesländern, die können einfach nicht so bleiben, wie sie sind. Mir geht es darum, aus dieser beschissenen Situation irgendwie herauszukommen. Ich will ein gutes Leben für alle haben.

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