Aber. Immer. Mit Worten

Zwischen »Kasteiung und Exzess«: Das Leben von Jörg Fauser als »Rebell im Cola-Hinterland«

Eine Schule der Literatur für Außenseiter: Man sollte Trinkhallen nach Jörg Fauser benennen.
Eine Schule der Literatur für Außenseiter: Man sollte Trinkhallen nach Jörg Fauser benennen.

Der Schriftsteller Jörg Fauser »war keiner von denen, die schreiben, wenn ihnen was einfällt, sondern er hat einfach geschrieben, von morgens bis abends, jeden Tag«, sagt seine ehemalige Freundin Y Sa Lo in der Biografie »Rebell im Cola-Hinterland«. Deren Verfassern Matthias Penzel und Ambros Waibel ist zu Fauser viel eingefallen. Denn ihr Buch, das Ende Frühjahr bei Diogenes herauskam, ist die überarbeitete und erweiterte Fassung ihrer Biografie, die sie 2004 bei Edition Tiamat veröffentlichten: von 287 Seiten auf 640 Seiten in der Neuausgabe. Damals war der 1987 verstorbene Fauser hauptsächlich Nerds und anderen Insidern ein Begriff, auch er wenn zum Schluss seiner nur 43 Lebensjahre ziemlich gut im Geschäft war. Doch für den offiziellen Literaturbetrieb hatte Marcel Reich-Ranicki 1984 in Klagenfurt über die Literatur des dort vortragenden Fauser geurteilt: »Sie ist gar nicht mal schlecht, sie gehört nur nicht hierher.«

Fauser galt zeitlebens als Außenseiter. Das war durchaus selbstgewählt, wie Penzel und Waibel betonen, denn durch seine Eltern in Frankfurt am Main – der Vater ein nicht besonders erfolgreicher Kunstmaler, die Mutter eine Schauspielerin, die als Vorleserin für den Rundfunk arbeitete – hatte er Kontakt zu bürgerlichen Kreisen, auf die er aber nicht so viel gab. 1986 beschrieb er seine Position so: »Keine Stipendien, keine Preise, keine Gelder der öffentlichen Hand, keine Jurys, keine Gremien, kein Mitglied eines Berufsverbands, keine Clique, verheiratet, aber sonst unabhängig.«

Fauser galt als Journalist unter Schriftstellern beziehungsweise als Schriftsteller unter Journalisten, wie Penzel und Waibel ein Statement von Claudius Seidl paraphrasieren – und tatsächlich sind sie alle drei in erster Linie Journalisten, die sich für diesen Mann interessieren, den manche für den »deutschen Raymond Chandler« halten, weil er nach seinen Anfängen als versonnener Cut-Up-Experimentator schließlich als romantisch-realistischer Kriminalschriftsteller Erfolg hatte. Penzel und Waibel zitieren in ihrer Einleitung aber auch die Indie-Popsängerin Christiane Rösinger, die 2004 darauf hinwies, dass Fauser insbesondere von Männern gelesen werde, von Künstlern, Malern oder Musikern, die sich als Außenseiter verstehen: »Sie litten an sich, am Leben, an der Stadt und an den Verhältnissen.«

Und da ist man natürlich schnell bei den Krimi-Klassikern von Chandler, Dashiell Hammett oder Ross MacDonald und ihren Helden, den Ermittlern, die als traurig-männliche Moralisten versuchen, mit viel Alkohol durchzukommen, oder beim depressiv-ironischen Machotum eines Charles Bukowski, aber eben auch bei den brillant nüchtern heruntergekochten Situations- und Figurenbeschreibungen dieser Autoren, die meist schmerzhaft sitzen wie ein Faustschlag. Das muss man erstmal trainieren, bis man es so gut kann wie Fauser.

Er war nicht gegen den Staat, sondern gegen den Kulturbetrieb, war erst Anarchist und dann SPD-Mitglied mit Sympathien für Helmut Schmidt, hatte dabei aber stets Empathie für die, »die unten sind«, mit denen er länger im Prekariat arbeitete und am Stehausschank soff. Bei ihm werde das Widersprüchliche »zum Einmaligen, zum USP«, schreiben Penzel/Waibel.

Für sie ist klar, dass Fauser ein sehr vielschichtiger Schreiber und auch Leser ist: »Abenteuer erlebt er am liebsten im Sitzen, am Schreibtisch oder im Sessel mit einem Buch in der Hand.« Deshalb ist ihre umfangreiche, ausdifferenzierte und sehr gut lesbare Biografie die Entwicklungsgeschichte eines sehr guten Schreibers, vom »Feierabenddichter« zum »Vollprofi« mit Vorschüssen von 100 000 DM, » zwischen «Kasteiung und Exzess», der jeden Tag ritualhaft diszipliniert schrieb und sogar Boxunterricht nahm, um sich fit zu halten, und dazwischen: tagelanges Abtauchen an den Orten des Alkoholismus. Nie wollte er etwas anderes werden als Schriftsteller. Er habe sehr Vieles und Unterschiedliches gearbeitet, schreiben seine Biografen: «Aber. Immer. Mit Worten. An der Tastatur.»

Fauser, das wird in diesem Buch deutlich, hat die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie er es machen könnte, und hat sich darüber nonstop mit seinen Freundinnen und Freunden, vor allem mit den deutschen Beats Jürgen Ploog und Carl Weissner, ausgetauscht. Penzel und Waibel haben mit vielen von ihnen gesprochen, darunter auch solch schillernde Figuren wie der frühere Geheimdienstmann und spätere Verleger Heinz van Nouhuys und der Kamera- und Fahrensmann Reinhard Oefele, deren haarsträubende Geschichten hier angedeutet werden, als wären sie aus einer Fauser-Story entsprungen.

Zu einer Zeit, als das kaum jemand machte, verweigerte Fauser den Kriegsdienst, wurde dann als Zivildienstleistender im Krankenhaus opiatabhängig, ging nach London und Istanbul und dann wieder zurück nach Frankfurt, wo er unter anderem als Wachschützer arbeitete und schreiberisch viele Dinge ausprobierte. Unermüdlich, ehrgeizig, oft kurz vor dem Durchdrehen. So trieb er durch die 70er, samt Polit-, Kultur- und Trinkhallenszene, und wandelte sich vom Avantgardisten zum originellen Realisten. Formvollendet in «Rohstoff», seinem Meisterwerk und autobiografischen Roman von 1984, der natürlich davon handelt, wie einer gegen alle Widrigkeiten Schriftsteller wird.

Er war aber auch Dichter, Hörspielautor, Übersetzer, Redakteur und Essayist, denn er wollte vom Schreiben leben, es war für ihn schlicht auch eine Sache des Geschäfts. Aber er wollte dabei keinen Scheiß machen. Schreiben können oder wollen oder sollen wie Jörg Fauser, das ist immer noch der Anspruch für viele Autor*innen, die nicht auf den Kopf gefallen sind.

Matthias Penzel und Ambros Waibel: Rebell im Cola-Hinterland. Diogenes, 640 S., geb., 32 €.

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