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Martin Schirdewan: »Das BSW hat bei uns nicht angeklopft«
Martin Schirdewan, wiedergewählter Ko-Vorsitzender von The Left im EU-Parlament, über die neue Linksfraktion
Die deutsche Linke ist mit drei Abgeordneten, zwei weniger als in der vergangenen Legislatur, ins Europaparlament eingezogen. Einige europäische Linksparteien haben weit mehr Mandate errungen. Sie sind Anfang Juli trotzdem als Ko-Fraktionsvorsitzender wiedergewählt worden. Ist das nicht ein Widerspruch?
Offensichtlich nicht. Meine Fraktionskolleginnen und -kollegen sind der Ansicht, dass ich einen guten Job gemacht habe und freuen sich darüber, dass ich den auch fortsetzen werde.
Was sind die Aufgaben eines Fraktionsvorsitzenden?
Natürlich zuerst einmal, die Fraktion zu leiten. Das heißt, sie auf die politischen Auseinandersetzungen und strategischen Ziele vorzubereiten, vor denen die EU in den kommenden fünf Jahren steht. Wir als Linksfraktion sind mit der Europawahl auf 46 Abgeordnete aus 20 unterschiedlichen Parteien angewachsen. Damit sind wir deutlich mehr Abgeordnete als nach der letzten Wahl und können einerseits eine klare Stimme gegen von der Leyens neoliberales »Weiter so!« sein. Andererseits können wir uns noch stärker der extremen Rechten entgegenstellen. Zumal The Left die einzig wirklich klare antifaschistische Stimme im EU-Parlament ist.
Die Fraktion ist auch bunter geworden, teilweise sitzen in The Left jetzt sogar Parteien nebeneinander, die in ihren Herkunftsländern konkurrieren. Wird das halten?
Es ist ein großer Erfolg, dass die Fraktion gewachsen ist, darauf kann man erst mal stolz sein. Wir sind sehr froh, dass wir zum Beispiel nach langer Zeit wieder italienische Abgeordnete in der Fraktion haben. Wir können eine wirklich gut aufgestellte spanische Linke wieder bei uns begrüßen, da sah es in der Vergangenheit auch nicht so gut aus. Wir sind froh, dass unsere französischen Genossinnen und Genossen und auch die skandinavischen so hervorragende Wahlergebnisse erzielt haben. Und ich sehe eine ganz große Bereitschaft bei allen Mitgliedern der Fraktion, wirklich die politischen Herausforderungen anzunehmen. Für gute Löhne und Renten, gegen Armut, für bezahlbare Mieten und Lebensmittel. Also die politische Auseinandersetzung darum, wie die sozialen Grundlagen geschaffen werden können, damit die Gesellschaft nicht immer weiter auseinanderdriftet, und damit auch zu verhindern, dass die extreme Rechte weiter erstarkt.
In Deutschland ging die Europawahl für Die Linke nicht so gut aus ...
Wir als deutsche Linke können eine ganze Menge lernen von den internationalen Genossinnen und Genossen: Wir sollten ganz genau schauen, mit welchen sozialen, ökologischen und außenpolitischen programmatischen Positionen und kommunikativen Zuspitzungen unsere Schwesterparteien einen erfolgreichen Wahlkampf geführt haben. In einer so polarisierten gesellschaftlichen Konfliktsituation geht es um Klarheit und Erkennbarkeit. Da haben wir einiges an programmatischer und organisatorischer Arbeit vor uns. Und das sage ich jetzt als Parteivorsitzender: Für uns führt kein Weg an der Weiterentwicklung unserer Partei vorbei. Die Linke muss sich strategisch entscheiden.
Um die Aufnahme der Abgeordneten der italienischen 5-Sterne-Bewegung hat es dem Vernehmen nach Zwist gegeben.
Nein, das stimmt so nicht. Aber der Reihe nach: Zuerst hatten wir zwei Abgeordnete der Sinistra Italiana bei uns begrüßen können. Und zwar Mimmo Lucano, der als Bürgermeister von Riace Geflüchtete aufgenommen hatte und dafür im Gefängnis saß. Und ebenso Ilaria Salis, die Antifaschistin, die in Ungarn wegen eines unterstellten Angriffs auf ungarische Neonazis im wahrsten Sinne des Wortes eingekerkert war. Ich möchte an der Stelle die Gelegenheit nutzen, den Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in Deutschland von diesem Verfahren betroffen sind, unsere solidarischen Grüße zu übermitteln und betonen, dass wir alles daransetzen werden, dass die an Budapest ausgelieferte Maja schnellstmöglich aus der Haft entlassen wird.
Aber zurück: Mimmo und Ilaria haben sehr dafür geworben, die acht Abgeordneten des Movimento 5 Stelle bei uns aufzunehmen. Also haben wir die Fünf-Sterne-Bewegung zum Gespräch eingeladen. Letztlich ist deutlich geworden, dass wir große politische Gemeinsamkeiten und Schnittmengen in der Politik haben. Deshalb haben wir entschieden, zusammenarbeiten zu wollen.
Hat das Bündnis Sahra Wagenknecht bei der Linksfraktion angeklopft?
Sie haben bei uns nicht angeklopft. Ich weiß nur, dass sie vollmundig vor der Wahl angekündigt haben, hier im Europäischen Parlament eine Fraktion zu gründen. Das war offenkundig ein bisschen verfrüht. Und ich glaube, dass sie einfach gar keine intelligente Strategie hatten, wie man hier eine Fraktion gründen kann. Im Übrigen hätten wir sie auch nicht aufgenommen, weil einige unserer Parteien ganz klar gesagt haben, sie wollen das BSW mit dessen rechtslastigen Positionen nicht in der Fraktion. Und da sich das Bündnis ja selbst überhaupt nicht als links betrachtet, wüsste ich auch nicht, was deren Abgeordnete in der Left-Fraktion verloren hätten.
Sie haben bereits mehrfach darauf abgehoben, dass die extreme Rechte im Europaparlament stärker geworden ist. Haben Sie Sorge, dass die Rechtsfraktionen den Diskurs im Parlament immer mehr prägen werden?
Es ist wirklich eine enorme Herausforderung, dass die Feinde der Demokratie innerhalb der Demokratie zersetzend wirken. Und das zeichnet sich im Europaparlament auch deutlich ab. Es gibt jetzt drei extrem rechte Fraktionen im Parlament. Und natürlich werden die dazu beitragen, dass sich das Klima hier weiter verändert. Sie werden versuchen, ihre menschenverachtende Politik umzusetzen und gleichzeitig auch die EU von innen heraus zu zerstören. Für mich ist klar, wir müssen die sozialen Grundlagen stärken, um der extremen Rechten den Boden zu entziehen.
Was heißt das konkret?
Ich bin total froh, in diesem Zusammenhang sagen zu können, dass wir als Linksfraktion den Arbeits- und Sozialausschuss im Parlament leiten werden. Das heißt, alles, was an sozialer Gesetzgebung passieren wird auf europäischer Ebene, wird über unseren Schreibtisch laufen. Das ist einfach ein Riesenerfolg. Es geht darum, Armut zu bekämpfen, wir müssen für ein europäisches Mindesteinkommen streiten. Wir wollen die Mietenfrage ganz nach vorn stellen, und wir werden die Frage der Lebensmittelpreisentwicklung thematisieren. Das alles natürlich gemeinsam mit den Gewerkschaften, weil unser Ziel ist, vor allem gute Arbeitsbedingungen, gute Löhne im Wandel, in dem sich die Gesellschaft und die Industrie in Europa befinden, zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Dazu stellen wir den Vorsitz in einem zweiten Ausschuss, in dem es um die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und einer gerechten Besteuerung von Mega- und Digitalkonzernen geht. Auch das ist ein Riesenerfolg.
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