Werbung

Schuldenkarussell dreht sich schneller

Besonders Single-Haushalte leiden unter Finanzproblemen. Doch neue Schuldenfallen gibt es für alle

Zu Schuldnerberatungsstellen kommen Menschen mit vielen Ratenzahlungen und Forderungen diverser Dienstleister. Überblick: schwierig.
Zu Schuldnerberatungsstellen kommen Menschen mit vielen Ratenzahlungen und Forderungen diverser Dienstleister. Überblick: schwierig.

Allein zu leben kann teuer zu stehen kommen. Jede zweite Person, die im Jahr 2023 die Hilfe einer Schuldnerberatungsstelle in Anspruch nahm, lebte in einem Singlehaushalt. Dies ist das Ergebnis einer am Mittwoch veröffentlichten, nicht repräsentativen Befragung von Schuldnerberatungsstellen durch das Statistische Bundesamt. Durchschnittlich waren Überschuldete danach mit 31 749 Euro im Minus. Wie das Wiesbadener Amt weiter mitteilt, waren alleinlebende Männer häufiger und höher verschuldet als alleinlebende Frauen.

Ein besonders häufiger Auslöser für Überschuldung bei Singlehaushalten ist laut Statistikamt eine Erkrankung, eine Sucht oder ein Unfall. Mit knapp einem Viertel lag der Anteil hier bei Alleinlebenden deutlich über dem Durchschnitt aller beratenen Personen von weniger als einem Fünftel. Der Verlust des Arbeitsplatzes war dagegen mit 19 Prozent bei Alleinlebenden ähnlich wie bei allen Persoen, die eine Beratungsstelle aufsuchten, die Hauptursache für die Verschuldung.

Dennoch sind die Wege, auf denen sich Menschen verschulden, heute andere geworden. »War früher der Besuch eines Kaufhauses ein geplantes Einkaufs-Event, wird nun vom Sofa aus bequem mit dem Tablet oder Handy geshoppt«, beschreibt die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) den Wandel. Besonders gefährdet sind jüngere Konsumenten.

»Menschen geraten zumeist unverschuldet in finanzielle Notsituationen«.

Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände

Das Kaufen und Spielen im Internet über die gängigen Bezahlungsdienstleister sei für Viele die neue Normalität und werde von Unternehmen aggressiv als »Lifestyle-Produkt« vermarktet. Beträge können in 30 Tagen oder per kleiner Rate gezahlt werden. »Wird diese Möglichkeit häufig genutzt, ist es leicht, den Überblick zu verlieren.« Jeder Ratenkauf werde separat eingezogen, es sei selbst Schuldnerberatern nahezu unmöglich, eine Aufstellung über alle bei einem Anbieter abgeschlossenen Zahlungsvereinbarungen zu bekommen. Die Kommunikation funktioniert oft nur über eine App.

»Menschen geraten zumeist unverschuldet in finanzielle Notsituationen«, wirbt die Arbeitsgemeinschaft um Verständnis für die Betroffenen. In den Beratungsstellen tauchten Menschen mit unzähligen Ratenzahlungen und Forderungen diverser Dienstleister auf, der Überblick ist verloren gegangen, die Bank bucht nicht mehr ab. Gibt der Gläubiger seine Forderung an ein Inkassounternehmen ab, ist dies mit zusätzlichen hohen Kosten verbunden.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Bei gemeinnützigen Stellen wie der Caritas, Verbraucherzentralen, dem Deutschen Roten Kreuz oder der Arbeiterwohlfahrt können sich Betroffene kostenlos beraten lassen. Leider betragen die Wartezeiten häufig mehrere Wochen oder gar Monate. Trotz der positiven gesellschaftlichen Wirkungen der Schuldnerberatung ist ihre Finanzierung nach Ansicht der Diakonie Deutschland »völlig unzureichend«.

Die Finanzierung der Schuldnerberatung ist bundesweit uneinheitlich und speist sich aus vielen unterschiedlichen Quellen. Auch für vorbeugende Arbeit der Beratungsstellen gebe es nicht genügend finanzielle Ressourcen. Unterm Strich führe der Mangel an Beratungskapazitäten dazu, dass nur zehn bis 15 Prozent der überschuldeten Haushalte überhaupt beraten werden könnten. Als überschuldet gilt, wer über einen längeren Zeitraum zahlungsunfähig ist.

Vor diesem Hintergrund fordert die Diakonie zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände ein Recht auf Schuldnerberatung. Nur über diesen Rechtsanspruch sowie entsprechende öffentliche Mittel könne die Schuldnerberatung bundesweit den tatsächlichen Bedarf an Beratung leisten.

Der Beratungsmangel führt auch dazu, dass an sich vergleichsweise leicht vermeidbare Schuldenberge angehäuft werden. So haben laut Statistischem Bundesamt sechs von zehn beratenen Personen offene Rechnungen bei öffentlichen Gläubigern, wie beispielsweise Renten- und Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit. Auffällig ist hierbei, dass alleinlebende Männer häufiger Schulden bei öffentlichen Gläubigern haben als alleinlebende Frauen.

Die Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes beruhen auf Angaben von 671 der insgesamt etwa 1350 Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform nennt 5,65 Millionen Bürger »überschuldet«. Statistische Sondereffekte herausgerechnet, stieg 2023 erstmals seit 2019 die Überschuldung in Deutschland wieder an. Um aus dem Schuldenkarussell auszusteigen, gibt es die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung. In einem privaten Insolvenzverfahren muss der Schuldner eine »Wohlverhaltensphase« durchlaufen. Diese kann seit 2020 auf drei Jahre verkürzt werden, wenn ein Teil der Schulden entsprechend getilgt wird.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal