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Berlin: Phantom-Streik bei Kitas
Verdi ruft Kitas zu Streiks »in begrenztem Umfang« auf
Streik bei den Kitas – oder doch nicht? Bei vielen Eltern bildeten sich in den vergangenen Tagen große Fragezeichen. Eigentlich hatte Verdi angekündigt, in der laufenden Woche auf Streiks zu verzichten. Doch am Dienstag machte dann doch ein Streikaufruf für Mittwoch und Donnerstag die Runde. Die Empörung war groß: »Es ist nicht nachvollziehbar, dass Verdi ihr eigenes Versprechen, diese Woche nicht zu streiken, bricht und damit Unsicherheit bei Eltern und Kindern auslöst«, ließ sich Falko Liecke (CDU), Staatssekretär bei der Senatsfamilienverwaltung, in einer Pressemitteilung zitieren. Legen erneut wie in der Woche zuvor Tausende Kita-Mitarbeiter ihre Arbeit nieder?
Verdi-Gewerkschaftssekretärin Tina Böhmer gibt Entwarnung: »Wir werden über die Sommerpause nicht zu Warnstreiks aufrufen, bei denen es zu Schließungen von Einrichtungen kommt«, so Böhmer. Es gebe zwar tatsächlich einen Streikaufruf für Mittwoch und Donnerstag, »aber wir haben Maßnahmen getroffen, damit keine Einrichtungen geschlossen werden müssen«. Wie diese Maßnahmen aussehen, will sie aus arbeitskampftaktischen Gründen allerdings nicht sagen.
Nach nd-Informationen führt Verdi einen sogenannten Arbeitsstreik aus. Dabei werden nur bestimmte Mitarbeiter zur Arbeitsniederlegung aufgerufen, damit organisatorische Abstimmungen getroffen werden können. Verdi-Sprecher Kalle Kunkel bestätigte gegenüber Pressevertretern, dass Beschäftigte »in begrenztem Umfang« in den Streik getreten seien.
Tina Böhmer sind keine Kitas bekannt, die am Mittwoch streikbedingt schließen mussten. »Kita dichtmachen ist nicht das Motto«, sagt sie. Großflächige Streiks kündige die Gewerkschaft immer mit genügend Vorlauf an, damit sich Kita-Leitungen und Eltern auf die Situation einstellen können.
Mit bislang 13 Warnstreiktagen seit April versucht die Gewerkschaft, einen »Tarifvertrag Pädagogische Qualität und Entlastung« zu erkämpfen. Damit soll die reale Personalausstattung in den Einrichtungen verbessert, die Arbeitsbelastung für die Erzieher reduziert und die Qualität der Betreuung aufgewertet werden. »Wir stehen nicht vor dem Kollaps, wir sind schon mittendrin«, sagt Verdi-Funktionärin Böhmer über die angespannte Lage in vielen Kitas.
Betroffen sind ausschließlich die sogenannten Eigenbetriebe – also Kitas, die unter der Trägerschaft des Landes stehen. In ihnen werden rund 20 Prozent der Berliner Kitakinder betreut. Kitas in freier Trägerschaft sind von dem Arbeitskampf ausgenommen.
Gegen das Vorhaben gibt es tarifrechtliche Bedenken: Die Tarifverträge für die Erzieher werden mit der Tarifgemeinschaft der Länder ausgehandelt, der bis auf Hessen alle Bundesländer angehören. Würde Berlin einen eigenen Tarifvertrag für die Gruppengrößen einführen, würde das den Verbleib der Hauptstadt in der Tarifgemeinschaft gefährden, argumentiert der Senat. Verdi verweist dagegen auf ähnliche Vereinbarungen in Krankenhäusern, die zu keinem Ausschluss aus der Tarifgemeinschaft geführt hätten.
Alexander Freier-Winterwerb, familienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, wünscht sich einen neuen Weg: »Der richtige Ort, um Verbesserungen festzuhalten, sind die anstehenden Verhandlungen zur Rahmenvereinbarung zu Tageseinrichtungen für Kinder«, sagt er laut einer Pressemitteilung. »Bislang sitzen zwar die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, aber nicht die Gewerkschaften mit am Tisch.« Er fordert, künftig auch den Gewerkschaften die Teilnahme zu ermöglichen.
»Der Vorschlag ist erst mal begrüßenswert, aber er ersetzt keine Tarifverhandlungen«, sagt Gewerkschaftssekretärin Tina Böhmer. Es sei zwar gut, wenn Verdi an den Gesprächen teilnehmen könne, aber eigentlich wolle man Verhandlungen auf Augenhöhe. Die Rahmenvereinbarung, die unter anderem die Ausstattung der Kita-Träger regelt, sei auch kein Ersatz für einen Tarifvertrag, aus dem sich einklagbare Rechte ergeben, so Böhmer. »Ein Tarifvertrag bedeutet Sicherheit«, sagt sie.
Freier-Winterwerb sieht Alternativen, um die Gruppengrößen nicht tariflich regulieren zu müssen. »Multiprofessionelle Teams« könnten ebenfalls für Entlastung sorgen. »So können auch fachfremde Arbeitnehmer*innen bis zu einem Anteil von 25 Prozent unter Anleitung von Erzieher*innen mit den Kindern arbeiten«, so der SPD-Politiker.
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