Reichsbürger in München vor Gericht: Absurde Verzückungen

In München steht neben acht Reichsbürgern auch Johannes M. vor Gericht. Die Hörigkeit seiner Fangemeinde schockiert

  • Friedrich Burschel, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Hat es auch dem Angeklagten Johannes M. angetan: Die Verschwörungsideologie QAnon, hier in Berlin gezeigt bei einem Protest gegen Corona-Maßnahmen 2020.
Hat es auch dem Angeklagten Johannes M. angetan: Die Verschwörungsideologie QAnon, hier in Berlin gezeigt bei einem Protest gegen Corona-Maßnahmen 2020.

»Der Faschismus funktioniert nur, wenn viele Menschen mitmachen«, sagt Johannes M. eindringlich zu einem der Polizeibeamten im Saal des Landgerichts München, die er als Büttel einer faschistischen Firma betrachtet. »Sans ma ned bös, Herr M., aber des interessiert mich nicht«, erwidert der Polizist. Seine Genervtheit ist gut nachvollziehbar, denn das Verfahren ist an Absurdität kaum zu überbieten.

M. ist angeklagt, Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung zu sein, die sich des Telefonterrors bei Behörden und der Bedrohung von Arztpraxismitarbeiterinnen schuldig gemacht haben soll. Verhandelt wird seit Ende Juni vor dem Staatsschutzsenat, die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm, strenger als im parallel stattfindenden sogenannten Reuß-Prozess gegen acht Angeklagte.

Der angeklagte M. wiederholt in Endlosschleifen seine wahnwitzige Weltsicht zwischen Reichsbürgerdenken, dem Verschwörungsmythos QAnon und christlichen Versatzstücken. Er sagt, die deutschen Behörden seien in Wahrheit 47 000 private Firmen und er befinde sich hier in München gegen seinen Willen bei deren Besprechung.

M. wiederholt unbeirrt und mit lauter Stimme immer gleiche Textbausteine seiner Verschwörungsidee. Am 18. Juli, so prophezeit er, werde das US-Militär unter dem Commander in Chief Donald Trump die Macht übernehmen und dann werde mit »den Nazis«, die seit 109 Jahren Krieg gegen das deutsche Volk führten, aufgeräumt. Zwei Drittel der Bevölkerung würden dann nach göttlichem Willen wegen vermeintlicher Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen vor ein Kriegsgericht gestellt.

Wenn die Richter, die beiden Vertreterinnen des Generalstaatsanwalts oder die psychiatrischen Sachverständigen M. unterbrechen, belegt er sie mit Kraftausdrücken, Flüchen und Drohungen und warnt, er sei mit »dem Militär« in ständigem Kontakt.

Bei derartigen Tiraden dreht er dem Senat den Rücken zu, während er von einer wachsenden Zahl von Jünger*innen aus dem Publikumsbereich regelrecht angehimmelt wird. Der manipulative Prediger versteht es sogar, seine Stimme brechen zu lassen und Tränen vorzuspielen, weil er zunächst im »Nazi-KZ Haar« – M. meint das Bezirksklinikum, wo er ein halbes Jahr im Maßregelvollzug verbrachte – oder in Untersuchungshaft festgehalten werde.

Im Prozess hält er oft Heiligenbildchen in der Hand und betet zusammen mit seinen Anhängerinnen. Fast noch mehr als M. selbst schockiert die Hörigkeit dieser Gemeinde, die offenbar Geld und Zeit genug hat, um regelmäßig zum Prozess aus ganz Deutschland anzureisen – da ist von Berlin, Winterberg, Soest die Rede. Gefragt, ob sie M.’s absurde Aussagen für bare Münze nähmen, antworten sie fest und überzeugt: »Ja!« Dass seine dystopischen Vorhersagen stets nicht eintreffen, stört sie in ihrer Verzückung offenbar nicht.

Während der Senat versucht, Zeuginnen und Sachverständige zu befragen, fährt M. mit dröhnender Stimme in seiner komischen Oper fort. Seine »Fangemeinde«, wie der Vorsitzende die Besucher*innen mahnend anspricht und ihnen Sanktionen androht, wird im Laufe der psychiatrischen Begutachtung unruhiger, von ihnen hingezischte Worte »Folter« und »Unrecht« werden lauter.

Der Richter wirkt hilflos, wenn er die Verhandlung jede Viertelstunde unterbricht, um danach ein Ordnungsgeld gegen M. zu verhängen, weil er in der Begründung stets die zum Teil sexistischen Beschimpfungen wiederholen muss. Bisweilen verhandeln beziehungsweise brüllen das Gericht und M. im Chor, zu verstehen ist wenig, die Zuschauer bestärken den Angeklagten in seinem Wüten.

Ebenso wie im Reuß-Prozess, wo Angeklagte unbeirrt an der QAnon-Story festhalten, oder im Verfahren gegen weitere Reichsbürger im benachbarten Gerichtssaal, wo es um die Ausgabe illegaler Urkunden eines »Bundesstaates Bayern« geht, werden von M. Thesen vertreten, von denen man nicht fassen kann, dass sich diesen irgendjemand ernstlich verschreiben könnte. In seinem Verfahren wird auch offenbar, dass mit der Pandemie und darauf folgenden Krisen viele Menschen dem politischen System der Bundesrepublik von der Fahne gegangen sind.

Aber das Drohszenario, das Täter*innen wie M. und seine zeitweise bis zu 50 000 Follower auf seinem Telegram-Kanal entfalten, oder die Tatsache, dass es im Reuß-Verfahren um Beamt*innen selbst, politische Mandatsträger*innen oder auch (Elite-)Soldaten und Polizisten geht, die Waffen horteten, zeigen, dass es sich nicht um harmlose Verirrte handelt. Vor Gericht stehen gefährliche Zusammenrottungen rechter Fanatiker*innen, die keineswegs zu unterschätzen sind.

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