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Schweden: Elterngeld für Oma und Opa

In Schweden können Erziehungsberechtigte seit dem 1. Juli einen Teil ihrer bezahlten Betreuungszeit weitergeben

Familienpolitik – Schweden: Elterngeld für Oma und Opa

»Ziemlich genial« soll sie sein, die neue Regelung zum Elterngeld, die in Schweden diesen Monat in Kraft getreten ist. So jedenfalls lautet die Einschätzung der Soziologin Jutta Allmendinger, die darin Erleichterungen, nicht nur für Paare sieht: »Wenn man an Alleinerziehende denkt, die es sehr schwer haben, die enorme Karriereeinbußen haben und sich auch gar nicht erlauben können, über ein Jahr aus dem Beruf auszusteigen, ist das natürlich prima, wenn die Großeltern des Kindes oder andere familiennahe Personen sie für drei Monate entlasten können«, sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung in einem Interview.

Genau das ist in Schweden nun möglich: einen Teil des Anspruchs auf Elterngeld an eine andere Person abzugeben – Oma oder Opa, aber auch Personen, mit denen man nicht verwandt ist. Der Gesetzesvorschlag wurde bereits 2020 im Parlament vorgestellt und im vergangenen Dezember verabschiedet. Diesen Monat trat er in Kraft.

Mit der Neuregelung sollen mehr Möglichkeiten bei der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben geschaffen werden. Es ist ein »wichtiger Schritt hin zu einer flexibleren und gleichberechtigten Absicherung von Eltern«, erklärt die Regierung. Es soll Familien helfen, die sich auf Grund ihrer finanziellen Lage keine vollständige Elternzeit leisten können, etwa weil sie auf zwei volle Gehälter angewiesen sind. Zudem würde so die Bindung der Kinder zu weiteren Bezugspersonen gefestigt: Die Reformen, »stärken die Eltern dabei, ihr eigenes Leben zu organisieren, und erhöhen die Bindung des Kindes an beide Elternteile oder andere enge Angehörige«, so Sozialversicherungsministerin Anna Tenje.

Es geht auch anders

Der tägliche Strom an Nachrichten über Krieg, Armut und Klimakrise bildet selten ab, dass es bereits Lösungsansätze und -ideen, Alternativprojekte und Best-Practice-Beispiele gibt. Wir wollen das ändern. In unserer konstruktiven Rubrik »Es geht auch anders« blicken wir auf Alternativen zum Bestehenden. Denn manche davon gibt es schon, in Dörfern, Hinterhöfen oder anderen Ländern, andere stehen bislang erst auf dem Papier. Aber sie zeigen, dass es auch anders geht.

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Mehr Möglichkeiten für Alleinstehende und Regenbogenfamilien

In Schweden erhalten Eltern, die sich die Betreuung ihres Kindes teilen, insgesamt 480 Tage Elterngeld. Drei Monate davon sind jeweils einem Elternteil vorbehalten, die restlichen können individuell aufgeteilt werden: mal 100 Tage am Stück, mal zehn, mal nur einen halben Tag, im Wechsel oder zeitgleich zum Partner oder der Partnerin. Innerhalb des ersten Lebensjahres des Kindes dürfen nun auch Dritte bis zu 45 Tage Elterngeld beantragen und einen Teil der durch den Staat bezahlten Betreuungszeit von den Eltern übernehmen. Bei Alleinstehenden ist die Zahl der Tage doppelt so hoch.

Elterngeld und -zeit

Elternzeit ist in Schweden seit 1974 ein Grundrecht. Beschäftigte dürfen während dieser Zeit nicht gekündigt oder benachteiligt werden. Wer Elternzeit in Anspruch nimmt, muss kein Elterngeld beantragen. Für den Erhalt von Elterngeld ist es jedoch notwendig, nicht zu arbeiten, nicht nach Arbeit zu suchen und nicht zu studieren.

»Es wird flexibler sein und mehr Möglichkeiten bieten, vor allem für Alleinstehende oder Regenbogenfamilien«, erklärt Alexandra Wallin gegenüber dem Nachrichtensender SVT die Idee hinter der neuen Regelung. Sie ist Leiterin der Abteilung Kinder und Familie bei der schwedischen Sozialversicherungsanstalt (Försäkringskassan) und damit zuständig für Leistungen wie das Elterngeld. »Sie können die Tage auf jeden übertragen, aber die Regeln sind die gleichen wie beim normalen Elterngeld – Sie müssen dafür versichert sein«, erklärt Wallin die Bedingungen. Wer in Schweden wohnt und arbeitet, ist in der Regel über die »Försäkringskassan« versichert und hat Anspruch auf Gelder aus ebendieser Versicherung.

Wie viele Familien von der neuen Regelung Gebrauch machen werden, muss sich erst noch zeigen. Aus ersten Interviews mit Eltern lässt sich jedoch Interesse heraushören: Martina West aus Avesta hätte sich gewünscht, dass das Gesetz schon in Kraft gewesen wäre, als ihr Kind noch neugeboren war. »Mir hätte es definitiv geholfen, Tage abzugeben, als ich in Elternzeit war«, sagt die 35-Jährige gegenüber SVT. Sie glaubt auch, dass die Bereitschaft zu helfen höher ist, wenn man dafür bezahlt wird. »Weil man ja seinen Arbeitstag und Lohn an diesem Tag verpasst.«

Für 390 Tage entspricht die Höhe des Elterngeldes 80 Prozent des Einkommens, wobei der Mindestbetrag pro Tag bei 250 schwedischen Kronen liegt (rund 22 Euro) und der Maximalbetrag bei 1218 (rund 105 Euro). Nicht selten stockt der Arbeitgeber auf 90 Prozent auf. Für die restlichen 90 Tage ist ein Grundbetrag von knapp 16 Euro pro Tag vorgesehen. Den erhalten auch diejenigen, die Elterngeld übernehmen, aber kein Einkommen haben – Großeltern in Rente, aber auch Menschen ohne Erwerbsarbeit. Das neue Gesetz lässt Eltern die Wahl, ob sie Tage mit Grundbetrag weitergeben möchten oder diejenigen Tage, die nach dem Einkommen der Person berechnet werden, die das Elterngeld bezieht.

Familienpolitik und Gleichberechtigung

Damit setzt Schweden seine seit Jahrzehnten progressive Familienpolitik fort. Die Orientierung an einem »Doppelversorgermodell« begann bereits in den 1970er Jahren, als man beiden Elternteilen ein Recht auf Elterngeld und damit auf bezahlte »Auszeit« mit ihren Kindern verankerte. In Deutschland gibt es dieses Recht seit 2007. Und während Väter in Deutschland durchschnittlich zwei bis drei Monate »Väterzeit« nehmen, sind es in Schweden sechs bis neun.

Die Auswirkungen dieser Familienpolitik zeigen sich in der Wirtschaft ebenso wie in der Gleichstellung der Geschlechter. So sind laut der Statistikbehörde Eurostat 84 Prozent der Schwedinnen mit Kindern erwerbstätig, zu großen Teilen in Vollzeit. In Deutschland sind 76 Prozent der Mütter erwerbstätig, 66 Prozent davon in Teilzeit – sprich mit einem geringeren Einkommen und Folgen für die Rentenhöhe.

Gleichzeitig beeinflusst die Familienpolitik klassische Rollenbilder innerhalb der Gesellschaft. Wie der schwedische Gewerkschaftsverband TCO (Tjänstemännens Centralorganisation; deutsch: Zentralorganisation der Angestellten) in einer Studie erfragt hat, ist fast jede*r in Schweden der Meinung, dass Eltern die Verantwortung für ihre Kinder gleichmäßig aufteilen sollten. 94 Prozent der Befragten stimmen dieser Aussage zu. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) hält es auch für wichtig, die Elternzeit gleichmäßig aufzuteilen.

Zur Studie

Das Analyse- und Forschungsunternehmen Novus hat im Auftrag von TCO im Zeitraum vom 23. Februar bis zum 2. März 2023 eine repräsentative Umfrage über Web-Interviews im zufällig rekrutierten Schweden-Panel von Novus durchgeführt. 2.098 Personen aus der schwedischen Bevölkerung zwischen 18 und 84 Jahren haben sich zu 64 Prozent beteiligt.

Der TCO beobachtet seit mehreren Jahren die Verteilung von Elterngeld und Betreuungstagen im ersten Jahr nach der Geburt. Herangezogen wird dafür die Statistik der »Försäkringskassan«. Dabei wird aber auch deutlich, dass Frauen nach wie vor mehr Verantwortung für Kinder und Familie tragen. »Es sind Reformen erforderlich, um die negativen Auswirkungen auf das Gehalt, die Karriere, die Gesundheit und die Renten der Frauen zu beseitigen«, forderte die TCO-Vorsitzende Therese Svanström im Mai 2023. Noch im Jahr zuvor lag laut Gleichstellungsindex des TCO die Prozentzahl der durch Frauen in Anspruch genommenen Tage Elterngeld bei 68,4. Eine Verteilung, die stagniert. »Wenn sich der Trend im gleichen Tempo wie in den vergangenen vier Jahren fortsetzt, werden wir 70 Jahre auf eine völlig gleiche Verteilung der Elternzeit warten müssen«, sagte TCO-Präsidentin Therese Svanström damals. Und: »Es muss für Eltern leichter sein, ihr Leben zu vereinbaren, während ihre Kinder aufwachsen.«

Die Reform zum Elterngeld könnte dies nun Realität werden lassen oder zumindest dazu beitragen. Und es ist eine Politik, die man sich laut der Soziologin Jutta Allmendinger für Deutschland abgucken könne. Die Erhöhung der für Väter reservierten Elternzeit von derzeit zwei auf drei Monate, ein Recht auf zwei Wochen gemeinsame Auszeit von der Arbeit direkt nach der Geburt oder auch die Abschaffung des Ehegattensplittings: Der Wille dazu ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP bereits verankert. Es geht um die Umsetzung.

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