USA: »Faschisierung schon unter Biden«

Autorin Natasha Lennard sieht die US-Linke im Dilemma: Trump muss verhindert werden, doch auch Biden treibt die autoritäre Wende voran

  • Interview: Raul Zelik
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach einem Urteil des Supreme Courts dürfen Städte Wohnungslose inhaftieren, die im Freien schlafen.
Nach einem Urteil des Supreme Courts dürfen Städte Wohnungslose inhaftieren, die im Freien schlafen.

Zum Faschismus gehört die Gleichschaltung der Institutionen. Eine wichtige Voraussetzung dafür hat Trump mit der Besetzung des Obersten Gerichtshofs schon während seiner ersten Amtszeit geschaffen. Stehen die USA vor einer Faschisierung, die sehr viel weiter gehen wird als 2016?

Wir erleben diese Faschisierung bereits jetzt, unter Biden. Der Präsident unterstützt eine Ausweitung der gewaltsamen Polizeiarbeit, die Unterdrückung von Protesten und eine harte Grenzpolitik. Außerdem hat Biden nichts getan, um die Rechte zum Beispiel am Supreme Court in Schach zu halten. Das schafft die Voraussetzungen dafür, dass alles jetzt noch viel schneller gehen könnte, wenn Trump wiedergewählt würde. Trump erste Amtszeit ist ja relativ chaotisch verlaufen.

Der Anschlag auf Trump begünstigt außerdem eine rechte Massenmobilisierung. Das wäre eine zweite wichtige Voraussetzung für ein faschistisches Projekt …

Ja, aber ich würde das Attentat nicht als Wendepunkt bezeichnen. Wir sollten eher die Kontinuität der Entwicklungen im Blick haben. Wie gesagt: Faschistoide Entwicklungen lassen sich schon jetzt beobachten – zum Beispiel würde ich die Grenzpolitik Bidens als extrem nationalistisch und rassistisch bezeichnen. Und auch die Außenpolitik, Bidens Haltung gegenüber dem Leben der Palästinenser würde ich als faschistoid charakterisieren. Das kann unter Trump kaum schlimmer werden. In diesem Sinne handelt es sich nicht um eine neue faschistische Gefahr, sondern um eine Verschärfung vorhandener Tendenzen.

Interview

Natasha Lennard, geb. in Groß­britannien, ist Autorin (u. a. für »The Intercept«), unterrichtet an der renommierten New School in New York und engagiert sich in der US-ameri­kanischen Linken. Bei »Verso« ver­öffent­lichte sie zuletzt »Being Numerous: Essays on Non-Fascist Life«.

War es ein Fehler, dass sich die US-Linke um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez so stark an die Biden-Regierung gebunden hat?

Das Zwei-Parteien-System stellt für Linke ein enormes Problem dar. Alexandria Ocasio-Cortez hat schon öfter betont, dass sie in jeder anderen liberalen Demokratie wahrscheinlich nicht in derselben Partei wie Nancy Pelosi wäre. In den letzten Wochen haben sich Sanders und Ocasio-Cortez klar zum Präsidenten bekannt – und das trotz der unterirdischen Auftritte Bidens, seiner mangelnden Bereitschaft, der republikanischen Bedrohung etwas entgegenzusetzen und Israels Kriegsverbrechen zu stoppen. Das ist für viele langjährige Unterstützer von Sanders und Ocasio-Cortez kaum zu ertragen. Wir haben es hier mit dem typischen Realpolitik-Problem zu tun: Die Linken unterstützen Biden, weil sie hoffen, nach einem Wahlsieg Einfluss auf seine Politik nehmen zu können. Aber die Grenzen dieser Strategie hat man schon in dieser Amtszeit beobachten können. Es gab einzelne Erfolge bei den Arbeitsgesetzen und beim »Inflation Reduction Act«, aber diese Erfolge waren sehr begrenzt. Jetzt weiter zu Biden zu stehen ist meiner Ansicht nach ein politischer Fehler und Ausdruck moralischen Versagens.

Demokrat Biden hat die repressive Grenzpolitik fortgeführt.
Demokrat Biden hat die repressive Grenzpolitik fortgeführt.

Hat sich das Programm der Republikaner verändert? Bisher war Trumps Politik radikal-neoliberal. Gibt es jetzt Bemühungen, sozialer zu erscheinen?

Nein. Wenn man sich das Strategiepapier »Project 2025« der Heritage Foundation anschaut, lässt sich das überhaupt nicht erkennen. Trump behauptet zwar, dass dieses Papier mit ihm nichts zu tun hat, aber viele seiner Autoren kommen aus Trumps engstem Umkreis. Deswegen denke ich schon, dass man es als eine Art Programm für seine zweite Amtszeit lesen muss. Natürlich versuchen sich Republikaner wie viele europäische Rechtsparteien als Kraft gegen das globale Kapital zu repräsentieren, aber das ist reine Rhetorik. Neoliberalismus und Nationalstaat können problemlos in Einklang gebracht werden, und das geschieht ja auch. »Project 2025« zeigt eindeutig, wo die Reise hingehen soll: Steuererleichterungen für die Reichen, Kürzung von Sozialausgaben. Zwar wird ein Schutz der US-Arbeiterklasse angekündigt, aber nicht konkretisiert, wie der aussehen soll. Und vor allem wird unterschlagen, dass ein Großteil der Arbeiterklasse in den USA People of Color sind. Das republikanische Programm läuft auf einen Krieg aller gegen alle hinaus. Die Vormachtstellung der Weißen soll verteidigt werden, gleichzeitig malt man apokalyptische Dystopien eines Rassenkriegs an die Wand. Die einzige Gruppe, die hier geschützt werden soll, sind die Reichen.

Was wird im Zentrum von Trumps zweitem Mandat stehen: die weiße Überlegenheit oder der wirtschaftsliberale Autoritarismus?

Beides, das sind ja keine Widersprüche. Schon der historische Faschismus stand in der Kontinuität des liberalen Kapitalismus. Und auch jetzt verbinden sich diese Elemente miteinander. Ich denke, wir werden eine Vertiefung einer christo-faschistischen Agenda sehen. Queere, trans Personen, Migrant*innen und Schwarze, vor allem arme Schwarze, werden unter Trump 2.0 noch heftiger angegriffen werden, als es schon jetzt der Fall ist. Von den Autoren von »Project 2025« ist bekannt, dass sie einen christlichen Nationalismus in den USA etablieren wollen.

Was müsste Ihrer Meinung jetzt getan werden? Die Democratic Socialists of America haben zuletzt ja offenbar einen eher sektiererischen Kurs eingeschlagen. Wo kann sich die US-Linke jetzt sammeln? In den Gewerkschaften? Sozialen Bewegungen? In Regenbogen-Bündnissen?

Was die Democratic Socialists angeht, muss man genauer hinschauen. Das ist je nach Ort sehr unterschiedlich. Aber wir wissen seit den 70er Jahren, dass wir auf Vielfalt setzen müssen. Die industrielle Arbeiterklasse hat ihre dominante Rolle eingebüßt, verschiedene gesellschaftliche Gruppen müssen gemeinsam eine führende Funktion übernehmen. In den letzten neun Monaten ist die Palästina-Solidarität als wichtiger Akteur entstanden. Meiner Ansicht nach handelt es sich hierbei um die bedeutendste internationalistische Bewegung unserer Zeit – und das sage ich als Jüdin. Wenn in unserem Namen ein genozidaler Krieg geführt wird, können wir – vor allem in den USA, wo dieser Krieg maßgeblich finanziert wird – nicht am Rande stehen und zusehen. Es gibt aber auch andere wichtige Bewegungen, zum Beispiel den abolitionistischen Widerstand gegen die Polizeigewalt und das Wegsperren von Armen. Die Proteste gegen die Cop City in Atlanta, ein gigantisches Trainingszentrum der Polizei, ist Ausdruck dieser Bewegung. Und natürlich bleiben auch Gewerkschaften von zentraler Bedeutung. Shawn Fain, der Präsident der Automobilarbeiter-Gewerkschaft, ist eine wichtige Figur. Auch die Transportgewerkschaft Teamsters hat sich interessant entwickelt. Lokale Organisierung wird eine wichtige Rolle spielen: Mieterkämpfe, aber auch Straßenproteste gegen Großveranstaltungen wie den bevorstehenden Parteikongress der Demokraten. Insgesamt ist klar, dass es wenig Anlass für Optimismus gibt. Wir müssen Trump um jeden Preis verhindern, aber zugleich begreifen, dass die Autoritarisierung auch unter einem Präsidenten Biden weiter voranschreiten würde.

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