Don’t shoot

Wie oft haben wir das schon gesehen: Trumps Attentäter war jung, ruhig und unauffällig, schoss aber als Hobby

Braucht jemand noch ein halbautomatisches Gewehr? In einem Guns store in Tucker, Georgia.
Braucht jemand noch ein halbautomatisches Gewehr? In einem Guns store in Tucker, Georgia.

Howdy aus Texas, liebe Lesende, wenn Sie schon genau wissen, wovon diese Kolumne handeln wird, dann werden Sie recht behalten. Es besteht auch die Chance, dass Sie sie weniger lustig finden als sonst. Dieses Risiko gehe ich ausnahmsweise mal ein, weil sie auch weniger lustig ist. Vielleicht werde ich Sie doch ein paarmal zum Lachen bringen, aber zum Schießen werden Sie hier nichts finden. Doch zurück zu den Tatsachen: Letzten Samstagnachmittag, da lümmelte ich auf dem Sofa, textete mit einer Freundin, sprang, wie jeder Social-Media-Suchti es alle drei Minuten tut, mal eben rüber zu Instagram und sah dort ein Video, das mich entsetzte. Ich glaubte gar kurzzeitig, es sei ein Fake, denn es ließ sich nicht mit der Freundin teilen.

Doch die Nachrichten bestätigten: Der ehemalige Präsident der USA, gleichzeitig der jetzige Präsidentschaftskandidat und sehr wahrscheinlich auch wieder der künftige US-Präsident, wurde wirklich angeschossen, während er eine Wahlkampfrede hielt. Schreie, Ducken, Secret Service. Nur ein paar Sekunden später skandierte das Publikum schon »USA« und der aus dem Ohr blutende Trump ballte siegessicher die Faust. Das durchaus beeindruckende Foto dieses Moments wurde in den sozialen Netzwerken mit dem Gemälde »Die Freiheit führt das Volk« von Eugène Delacroix verglichen. Ich sehe trotz kunsthistorischem Studium null Überschneidungen, aber was weiß ich schon, ich darf hierzulande nicht mal wählen.

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Die USA sind nicht nur das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern auch der Verschwörungstheorien. Von hier stammen die unendliche Geschichte der Chemtrails, die bizarre »Birds are not real«-Bewegung, die tausend Jahre zu späten Flat-Earthers, die vom islamistischen Terrorregime infizierten »9/11 war ein Fake«-Anhänger und die sowjetaffinen »Die Mondlandung war eine Lüge«-Gläubigen. Daher verblüfft es nicht, dass das versuchte Attentat auf Donald Trump gleich für mehrere Verschwörungstheorien Anlass bot: Die Demokraten behaupteten, der Angriff sei ein Stunt gewesen, um Trump als Helden dastehen zu lassen; womit sie nur bestätigten, dass der 78-Jährige rüstig, gefasst und sehr reaktionsfähig aussah – ungleich dem nur dreieinhalb Jahre älteren amtierenden Präsidenten Joe Biden. Die Republikaner beschuldigten die Demokraten, ihre Rhetorik gegen Trump habe zum Attentat geführt (als ob die republikanische Rhetorik à la »Drain the swamp« für Niveau und Taktgefühl bekannt wäre). Fakt ist: Beide Parteien haben schwere Fehler begangen, falsche Kandidaten unterstützt, nicht genügend politischen Druck auf sie ausgeübt, als die Möglichkeit dazu bestand und opportunistisch gehandelt. Aber was weiß ich schon, ich darf hierzulande nicht mal wählen.

Parteilose und Radikale erkannten die Konspiration gar beim Secret Service: Mit Absicht sei das Dach, von dem aus der Schütze angriff, nicht gesichert worden. Das erinnert stark an die Verschwörungstheorien um John F. Kennedys Tod, von denen ich zu viele mitbekommen habe – einst lebte ich drei Minuten von der Stelle in Dallas entfernt, an der er 1963 erschossen wurde. Das Attentat letzte Woche, es ist leider nichts Neues für dieses Land: Vier US-Präsidenten wurden durch Anschläge getötet, drei verletzt und daneben gab es noch zahlreiche vereitelte Versuche.

Aber alle Theorien beiseite: Es war mal wieder ein durchgeknallter amerikanischer Waffennarr ohne richtiges Motiv. Wie oft haben wir das schon gesehen! Den irren Mörder zum Beispiel, der 2017 in Las Vegas aus seinem Hotelzimmerfenster heraus 60 Menschen mit 24 verschiedenen Waffen erschoss und dessen Partnerin später aussagte, sie wisse überhaupt nicht, warum er es getan habe. Oder letztes Jahr, in meiner Lieblingsmall in der Nachbarstadt Allen, wo ein rechtsradikaler junger Mann mit lateinamerikanischen Wurzeln acht Menschen, darunter drei Kinder, hinrichtete. Ich hätte auch unter den Opfern sein können. Trumps Schütze war erst 20, galt als ruhig und unauffällig, schoss aber als Hobby und benutzte letzten Samstag das halbautomatische Gewehr seines Vaters. Das Einzige, was helfen würde, diese Gewaltspirale zu durchbrechen, wären strengere Waffengesetze. Sie sehen, ich weiß recht viel über die USA und kann es kaum erwarten, endlich hier wählen zu dürfen (und wieder Witze zu reißen).

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