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Viel weniger Migration aus Nordafrika
Zwei deutsche Organisationen retteten am Samstag 122 Menschen, nun wurde ein weiteres Schiff getauft
Im Vergleich zu 2023 kommen in diesem Jahr deutlich weniger Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute in Italien an. Das geht aus Zahlen hervor, die das Innenministerium in Rom am Freitag veröffentlicht hat. Demnach nahmen die irregulären Grenzübertritte 2024 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 63 Prozent auf 30 770 ab.
Insgesamt verzeichnete Italien im letzten Jahr 157 651 Ankünfte, während in Malta nur 380 Menschen ankamen. Die Hauptnationalitäten entlang der Route im zentralen Mittelmeer sind laut der Statistik Bangladescher, Syrer, Tunesier und Guineer, ein Viertel von ihnen waren laut einer Statistik der Vereinten Nationen Frauen und Kinder. Im Vorjahr führten Menschen aus der Elfenbeinküste diese Liste an, gefolgt von Guineern und Ägyptern.
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Italienische Behörden führen die sinkenden Zahlen auf Aktivitäten der libyschen und tunesischen Behörden zurück. Hierzu gehört das teilweise brutale Vorgehen der Polizei und Küstenwache beider Länder. Anfang 2023 hatten Äußerungen von Tunesiens Präsident Kais Saied zu Pogromen gegen Geflüchtete aus Subsahara-Staaten geführt, Hunderte Menschen wurden aus der für Überfahrten nach Europa häufig frequentierten Hafenstadt Sfax vertrieben und teilweise in die Wüste an die Grenze zu Libyen und Algerien deportiert.
Im vergangenen Jahr soll Tunesiens Küstenwache laut einer Zählung von Sea-Watch 79 905 Menschen auf See aufgegriffen und in das Land zurückgebracht haben. Diese Zahlen steigen weiter an, berichteten tunesische Medien im Frühjahr. Weitaus niedriger liegen die Abfangaktionen der libyschen Küstenwache: Nach Informationen des »nd« waren in diesem Jahr rund 9600 Personen von derartigen Pullbacks nach Libyen betroffen.
Am Mittwoch hat das libysche Innenministerium einen Anti-Migrationsgipfel in der Hauptstadt veranstaltet und dazu nordafrikanische und europäische Regierungen eingeladen. Vor dem Treffen hatte Libyens amtierender Innenminister Emad Trabelsi in einer Pressekonferenz eine härtere Gangart zur Migrationspolitik angekündigt. Das Land will demnach vier »Verteidigungslinien« etablieren, um die irreguläre Migration an den Landgrenzen, in der Wüste, in den Städten und auf dem Meer zu reduzieren. Sein Ministerium habe 5000 Polizisten mobilisiert, die innerhalb von 30 Tagen an die Grenzen geschickt werden sollen, sagte Trabelsi. Die »illegale Einwanderung« sei eine Frage der nationalen Sicherheit geworden, so der Minister.
Zusammen mit der EU will die libysche Regierung die »freiwillige Rückkehr« von Migranten fördern. Für eine entsprechende Vereinbarung waren die Kommission und der Auswärtige Dienst aus Brüssel Ende Juni zu einem inoffiziellen Treffen nach Tripolis gereist. Libyen hat daraufhin zugesagt, die Verfahren zur Ausreise der »Rückkehrer« in ihre afrikanischen Heimatländer zu erleichtern.
Thema des informellen EU-Treffens mit Libyen war außerdem der weitere Ausbau der maritimen Seenotleitstelle in Tripolis. Die Einrichtung ist zuständig, um Abfangaktionen mit Behörden aus Italien sowie der EU-Grenzagentur Frontex zu koordinieren.
»Nur durch Finanzspritzen der EU sind libysche Milizen erst in der Lage, Zehntausende Menschen zurück in Gewalt und Sklaverei zu entführen.«
Giulia Messmer Sea-Watch
»Der Ausbau der sogenannten Koordinationsleitstelle in Tripolis hat genau ein Ziel: Migrationsabwehr«, sagt Giulia Messmer, Sprecherin von Sea-Watch zu dem neuen EU-Deal. »Nur durch Finanzspritzen der EU sind libysche Milizen erst in der Lage, Zehntausende Menschen zurück in Gewalt und Sklaverei zu entführen«, so Messmer zum »nd«.
Weil Libyen über keine eigenen Flugzeuge verfügt, übernimmt Frontex de facto die Luftüberwachung im zentralen Mittelmeer und meldet entsprechende Sichtungen an die Leitstelle in Tripolis. Ein solcher Pushback durch die Küstenwache aus Libyen soll sich nach Angaben der Organisation Alarm Phone am Montag in der maltesischen Seenotrettungszone (SAR-Zone) ereignet haben.
Weiterhin sind im zentralen Mittelmeer auch rund 20 zivile Rettungsschiffe unterwegs. Nun kommt die »Sea Eye 5« der gleichnamigen deutschen Organisation dazu. Die Hälfte der Kosten für den am Montag getauften Rettungskreuzer übernahm mit 465 000 Euro die Organisation United4Rescue, das Geld dafür stammt von der Bundesregierung.
Zwei ebenfalls unter deutscher Flagge fahrende kleine Schiffe haben am Samstag in der libyschen SAR-Zone insgesamt 122 Menschen aus einem nicht seetüchtigen Doppeldeck-Holzboot gerettet. Das Segelboot »Trotamar III« des Compass Collective aus dem Wendland und der Rettungskreuzer »Aurora« von Sea-Watch hatten von dem Vorfall in der libyschen SAR-Zone durch das Flugzeug »Seabird« erfahren, das ebenfalls von Sea-Watch betrieben wird.
Beide Schiffe sind nicht dafür ausgelegt, viele Personen an Bord zu nehmen. Nach der Rettung befanden sich jedoch 72 Menschen auf der »Aurora« und 50 auf der »Trotamar III«. Als sicheren Hafen hatte Italien zunächst Pozallo in Sizilien angewiesen. Weil die »Aurora« für eine Fahrt mit normaler Geschwindigkeit jedoch zu wenig Treibstoff hatte, erfolgte die Ausschiffung am Sonntag in Abstimmung mit den italienischen Behörden auf Lampedusa.
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