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Der Fahrplan nach Bidens Rückzug
Kamala Harris hat die Nominierung durch die US-Demokraten noch nicht in der Tasche
Nach dem Verzicht von Präsident Joe Biden auf die Kandidatur befindet sich das US-Präsidentschaftsrennen in einer historisch beispiellosen Ausnahmesituation. Dreieinhalb Monate vor der Wahl steht damit noch nicht fest, mit welchem Präsidentschaftskandidaten die Demokratische Partei antritt – auch wenn vieles für die von Biden unterstützte Vizepräsidentin Kamala Harris spricht. Aber auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump muss sich nun umorientieren.
Dass Harris den Rückhalt von Biden bekommen hat, macht sie zwar zur klaren Favoritin für die Präsidentschaftskandidatur. Die Nominierung hat sie damit aber keineswegs bereits in der Tasche. Ernannt wird der Kandidat von den Parteitagsdelegierten. Der Parteitag der Demokraten findet vom 19. bis 22. August in Chicago statt. Grundlage für das Votum der Delegierten sind eigentlich die Ergebnisse der Vorwahlen, die Biden haushoch gewonnen hatte. Mit seinem Rückzug sind jetzt aber die rund 3900 aufgrund der Vorwahlen ernannten Delegierten in ihrer Entscheidung völlig frei.
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Noch unklar ist, ob die Abstimmung über den Kandidaten erst beim Parteitag stattfinden wird. Denn schon vor Bidens Ausstieg gab es in der Parteizentrale Pläne, die Delegierten womöglich bereits vorher in virtueller Form votieren zu lassen.
Begründet worden war dies mit der Sorge, dass im für die Wahl wichtigen Bundesstaat Ohio eine Frist bis zum 7. August und damit vor dem Parteitag für die Benennung der Präsidentschaftskandidaten gelten könnte. Die Gesetzeslage in Ohio zu dieser Frist ist allerdings nicht ganz klar. Manche Kritiker bei den Parteien sahen in den Plänen für die virtuelle Abstimmung vielmehr den Versuch, Biden als Kandidaten durchzudrücken.
Nach dessen Verzicht könnte die Partei die Option des virtuellen Votums nutzen wollen, um eine einmonatige Debatte bis zum Parteitag über den Kandidaten zu vermeiden und die Kräfte rasch für den Wahlkampf gegen Trump zu bündeln.
Findet das Votum aber doch erst beim Parteitag statt und wird Harris von starken Konkurrenten herausgefordert, könnte die Versammlung chaotisch und konfliktreich verlaufen. Denn für die Nominierung wird die absolute Mehrheit der Delegierten gebraucht. Eine Kampfabstimmung könnte sich also über mehrere Runden hinziehen.
Auch der vergangene Woche beim Parteitag der Republikaner zum Präsidentschaftskandidaten gekürte Rechtspopulist muss seinen Wahlkampf neu kalibrieren. Der oft fahrige Biden lieferte Trump mit seinen Aussetzern viele Steilvorlagen – und die Debatte um den mentalen Zustand des 81-jährigen Präsidenten seit dessen desaströsem Auftritt im TV-Duell war für Trump ein Geschenk.
Harris könnte für Trump eine unangenehmere Konkurrentin werden. Die Umfragen vor Bidens Rückzug ergaben zwar, dass sie im Vergleich mit Trump nicht wesentlich besser abschnitt als Biden – doch diese Stimmungslage kann sich nun ändern. Der 78-jährige Trump bekäme es in ihr mit einer Konkurrentin zu tun, die eine Generation jünger ist als er selbst – möglicherweise rückt also sein eigenes hohes Alter nun stärker in den Fokus des Wahlkampfs.
Sollte Harris nominiert werden, wird Trump jedenfalls alles daran setzen, sie für all die aus seiner Sicht fürchterlichen Verfehlungen der Biden-Regierung mitverantwortlich zu machen. Trump-Berater Jason Miller wies Harris bereits vergangene Woche eine Verantwortung für »die Zerstörung unserer Wirtschaft und den Zerfall unserer Grenzen« zu.
Unterdessen erleben die Demokraten nach Joe Bidens Rückzug einen regelrechten Spendenboom. Die Plattform ActBlue US-Medien verzeichnete am Sonntag Zugänge in Höhe von mehr als 50 Millionen Dollar (rund 46 Millionen Euro). »Damit war dies der größte Tag für Online-Spenden der Demokraten seit der Wahl 2020«, schrieb die Zeitung »New York Times«. ActBlue ist die führende Online-Plattform für Spenden der Demokraten.
Nach Bidens TV-Duell-Debakel hatten wichtige Geldgeber entschieden, ihre Zuwendungen zunächst zurückzuhalten. Am Sonntag flossen Spenden für die Demokraten dann plötzlich in einem hohen Tempo: Nur fünf Stunden nach Bidens Rückzug aus dem Rennen verkündete ActBlue auf X bereits, rund 27 Millionen Dollar von Kleinspendern gesammelt zu haben. AFP/nd
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