- Berlin
- Mietenpolitik
Berliner Osten: Hotspot für Zwangsräumungen
Die Hauptstadt-Linke fordert den schwarz-roten Senat zu mehr Präventivmaßnahmen gegen Wohnungsräumungen auf
Alleinerziehende Mütter, denen alles über den Kopf wächst, Kranke, die schlichtweg nicht mehr in der Lage sind, ihren Briefkasten zu öffnen: Wo Menschen ihr Zuhause durch eine Zwangsräumung verlieren sollen, treffen Gerichtsvollzieher*innen auf prekäre Verhältnisse. Der Gesetzgeber sieht vor, Betroffene vor dem Fall in die Obdachlosigkeit zu schützen, doch gerade im Osten der Hauptstadt zeigen sich Mängel in der alltäglichen Räumungspraxis.
»Generell haben wir in den Gerichtsbezirken extrem unterschiedliche Situationen. Aber Lichtenberg ist ein besonderer Problemfall«, sagt Sebastian Schlüsselburg, Justizexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Immer wieder würden hier Gerichtsvollzieher*innen, die mit der Vollstreckung einer Zwangsräumung beauftragt wurden, vor Ort Härtefälle feststellen – und dann an der Kontaktaufnahme zum Wohnungsamt scheitern. Letzteres ist im Räumungsfall dafür zuständig, Betroffenen eine vorübergehende Unterkunft zu organisieren. »Die Gerichtsvollzieher selbst haben aber nicht die Möglichkeit, Räumungen ewig aufzuschieben«, ergänzt Schlüsselburg.
Mit 502 Wohnungsräumungen im Jahr 2023 hebt sich der Gerichtsbezirk Lichtenberg, der nicht nur für Lichtenberg, sondern auch für Marzahn-Hellersdorf zuständig ist, von den Werten anderer Gerichtsbezirke ab. Auf eine schriftliche Anfrage des Linke-Abgeordneten Schlüsselburg hin verweist die Justizverwaltung unter anderem auf den hohen Anteil von Mietwohnungen im Gerichtsbezirk.
Für das Jahr 2022 zählte der Berliner Senat noch 1931 durchgeführte Wohnungsräumungen in der Hauptstadt. Für 2023 liegt der Wert bei 2076, ein Anstieg um 7,5 Prozent. »Der Senat nimmt den Anstieg der Zahl der Zwangsräumungen mit Besorgnis zur Kenntnis«, teilt die Justizverwaltung mit. Um Räumungen vorzubeugen, müssten die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Sorge tragen und die Bezirksfachstellen für soziale Wohnhilfe gestärkt werden. Es sei »förderlich, wenn die Sozialen Wohnhilfen bereits vor Einreichung einer Räumungsklage Kenntnis von etwaigen Kündigungen« erhielten, führt der Senat aus.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Tatsächlich, so Schlüsselburg, werde nicht nur den Sozialen Wohnhilfen, sondern auch dem Wohnungsamt zu wenig Zeit gegeben, um zu reagieren. Bis zum Säumnisurteil bleibe meist nur noch eine Woche. »Die Bezirke setzen hier keine Priorität«, kritisiert er. Dabei sei es oft noch möglich, die Zwangsräumung durch Mietüberweisung abzuwenden. Das liege auch in finanzieller Hinsicht im Interesse des Landes, so Schlüsselburg: Wenn das Wohnungsamt eine Unterkunft in einem Hostel beschlagnahmen müsse, koste das unverhältnismäßig viel Geld.
Unter dem rot-grün-roten Vorgängersenat plante die Justizverwaltung noch ein Pilotprojekt, bei dem Sozialarbeiter*innen Betroffene rechtzeitig vor der drohenden Räumung warnen sollten. Die neue Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) gab Ende vergangenen Jahres bekannt, die Idee nicht weiterzuverfolgen. Schlüsselburg hält das Projekt-Aus für einen Fehler. »Es wäre darum gegangen, dass einfach ein echter Mensch hingeht, an die Tür klopft und seine Unterstützung anbietet«, so der Linke-Politiker.
Schlüsselburg fordert, die Abläufe zwischen den Amtsgerichten und Wohnungsamt unter die Lupe zu nehmen und zu harmonisieren. Um mehr Einfluss auf Räumungen durch private Vermieter brauche es zudem mehr Druck durch den Berliner Senat auf Bundesebene: »Da müssen sich Grüne und SPD endlich mal gegen die FDP durchsetzen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.