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Dokufilm »The Gate«: Allein mit dem Trauma
Der Dokufilm »The Gate« begleitet vier Menschen, die versuchen, mit den Folgen militärischer Gewalt klarzukommen
Wenn etwas im Geheimen stattfinden soll, dann versteckt man es entweder mitten in der Normalität (Lösegeldübergabe) oder, wenn man wirklich sichergehen will, dass absolut niemand jemals davon erfährt, werkelt man irgendwo im Nirgendwo vor sich hin (hierbei eignen sich am besten Wüsten oder andere menschenfeindliche Gebiete). Das Los Alamos National Laboratory, in dem Oppenheimer mit anderen an der amerikanischen Atombombe forschte, meilenweit entfernt von der Großstadt Santa Fe in der Wüste New Mexikos gelegen, ist ein berühmtes Beispiel.
Ein weniger bekannter Ort unter den Orten, von denen niemand wissen soll, ist Dugway Proving Ground, ein abgelegenes Testgebiet der US-Armee in der Wüste Uthas, auf dem das Militär biochemische Kampfstoffe erprobt. Das Irrwitzige ist, dass das Testgebiet sogar eine eigene Homepage hat, auf der damit geworben wird, dass man hier an einer »sicheren Zukunft für Soldaten« forsche. Es gibt ein martialisch inszeniertes Video mit Kampfjets und Flugübungen und Fotos von militärinternen Familienfeiern und Sportwettkämpfen. Unter dem Punkt »What’s our mission« wird die Gewissheit ausgegeben, dass hier unter besten Bedingungen daran gearbeitet wird, eine nukleare und biochemische Bedrohung rechtzeitig und sicher abwehren zu können.
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Das ist das, was man sehen soll. Was man nicht sehen soll, dem, was bleibt, wenn man als Soldat nicht mehr zu gebrauchen ist, dem widmen sich die beiden Filmemacher*innen Jasmin Herold und Michael David Beamish. Ihr Dokumentarfilm »The Gate« begleitet einen Vater, der seinen auf dem Gelände verunglückten und seither vermissten Sohn sucht, einen traumatisierten Ex-Soldaten, der in Dugway stationiert war, einen Militärseelsorger, der trotz eigener Kriegserfahrung seinen Sohn mit extrem viel Stolz in den nächsten Krieg verabschiedet und einen Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, der seit den 60ern im Dutzende Kilometer entfernten Salt Lake City lebt. Es ist eine eigenwillige, aber im Laufe des Films schlüssige Zusammensetzung an Protagonisten (es sind nur Männer zu sehen). Über ihre Arbeit in Dugway dürfen sie nicht sprechen.
Fünf Jahre haben Herold und Beamish an der Dokumentation gearbeitet, davon im Zeitraum von anderthalb Jahren immer wieder Kontakt mit den vier Hauptpersonen des Films aufgenommen. Von Kevins Suche nach seinem Sohn Joseph haben sie in den sozialen Medien erfahren, und von dort aus erzählt sich die Geschichte Dugways weiter. Der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidende Shane war Josephs Vorgesetzter. Die Zeit, die Beamish und Herold investiert haben, zahlt sich in Vertrauen aus, das sie über die Zeit aufbauen konnten; der Goldstandard jedes Dokumentarfilms.
Immer wieder sieht man, wie die stahlharte Kampffassade, die den Männern antrainiert wurde, bröckelt. Zum Vorschein kommt der eigentliche Mensch mit all seinen Verletzungen. Während Shane den Rest seines Lebens versuchen wird, das zerschlagene Ich zu reparieren, ist es Tim, dem Afghanistan- und Irak-Veteranen ein Bedürfnis, all seine schlimmen Erlebnisse hinter der Militär-Karriere seines Sohnes zu verstecken. Eindrücklich sind die Szenen, in denen Tim immer wieder ins Stocken gerät, wenn er von seinen Einsätzen berichten will, und im nächsten Moment sieht man ihn, mit stolzen Tränen in den Augen, seinen Sohn ins nächste Kampfgebiet schicken. Ein Widerspruch, den Beamish und Herold zu keinem Zeitpunkt auflösen wollen. Natürlich fragt man sich, wie verblendet ein Vater sein muss, seinem eigenen Sohn diese Gräuel mit gutem Gewissen anzutun, aber die Komplexität der Antwort müssen die Zuschauer*innen schon selbst bewältigen.
Denn abseits der aufgesetzten Transparenzinitiative des Militärs im Internet (es gibt auch eine eigene Facebookseite von Dugway), erzählt »The Gate« eine ganz andere Geschichte dieses unwirklichen Ortes. Der Krieg ist quasi omnipräsent, obwohl nicht eine Kampfszene gezeigt wird. Was man stattdessen sieht, ist das Desaster, das er hinterlässt. Shane kann nur mit Hilfe eines Therapiehundes noch am Alltag teilnehmen. Er hat sich zurück ins Leben gekämpft, aber immer wieder sieht man, wie eine kleine Welt in ihm zusammenbricht, wenn er über seine Zeit bei der Armee erzählt.
Gerne möchte man aus »The Gate« eine pazifistische Botschaft herauslesen, für die sich Beamish und Herold aber nicht hergeben wollen, denn sie zeigen auch, dass das Militär für ganze Familienbiografien ein Ankerpunkt ist, und das in einer Gegend, in der es sonst keine Arbeit gibt. Die Familien, die wir sehen, stammen aus der Arbeiterklasse, sie lieben ihr BBQ am Wochenende und den monströsen Pick-up-Truck in der Garage ihres Fertigteilhauses. Väter bringen den Söhnen bei, wie man eine Maschinenpistole entsichert und wie man mit Kleinfeuerwaffen gezielt auf Kürbisse schießt. Alles andere würde von ihnen eine Energie abverlangen, die sie nach den zahlreichen Einsätzen in den Kriegsgebieten der Welt nicht mehr aufbringen können.
Irgendwann in der Mitte des Films sieht man Shane und Kevin über die verbrannte Wiese eines Soldatenfriedhofs laufen, auf der Suche nach einer bestimmten Grabplatte (sie laufen an mehren Toten mit dem gleichen Nachnamen vorbei, was an sich seine Wirkung schon nicht verfehlt). Neben ihnen steht eine ältere Frau ebenfalls vor einer Tafel. Sie geht sofort, nachdem sie die beiden bemerkt. Die Kamera begleitet die Frau, wie sie den Friedhof verlässt, und man versteht sofort: Es ist ihr unangenehm, mit ihrer Trauer nicht mehr für sich zu sein, so wie sie es wohl Jahrzehnte als normal erlebt hat. Das ist eigentlich die stärkste Szene des Films, denn sie zeigt, was allen Überlebenden des Krieges gemein ist: Am Ende ist man mit den Erinnerungen allein.
»The Gate«, USA 2023. Regie und Drehbuch: Jasmin Herold, Michael David Beamish. 87 Minuten. Start: 25.7.
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