Aufstieg und Fall eines »grünen Herzensprojekts«

In Deutschland wie in Österreich avancierte die Kindergrundsicherung zum Synonym grüner Sozialpolitik – wie kam es dazu?

Welche Maßnahmen schützen Kinder in Deutschland und Österreich vor Armut? Parteien sind sich uneins, verhandelt wird die Frage als »grünes Problem«.
Welche Maßnahmen schützen Kinder in Deutschland und Österreich vor Armut? Parteien sind sich uneins, verhandelt wird die Frage als »grünes Problem«.

Als »grünes Herzensprojekt« titulierte das Bündnis 90/Die Grünen die Kindergrundsicherung zu Beginn der Ampel-Regierung, zum »zentralen sozialpolitischen Projekt« stilisierte sie Familienministerin Lisa Paus. Zogen SPD und Grüne anfangs noch an einem Strang, entwickelte sich die Sozialreform bald zu einem grünen Prestigeprojekt. Dabei war die Reform ursprünglich ein Ansinnen der Sozialverbände, das sich schließlich Sozialdemokratie und Grüne aneigneten – in Deutschland wie in Österreich.

Bereits 2009 bildeten 20 deutsche Verbände und Gewerkschaften das Bündnis Kindergrundsicherung, mit dem Ziel, die Gießkannen-Ausschüttung des Kindergelds zu beenden. Damals waren die Grünen mit der Debatte um den Atomausstieg beschäftigt, ihre Jugendpolitik beschränkte sich in ihrem Wahlprogramm auf Bildungsfragen. Nach jahrelanger Lobbyarbeit des Bündnisses und einem Beschluss der Europäischen Garantie für Kinder 2021, die zu nationalen Aktionsplänen gegen Kinderarmut verpflichtet, wanderte die Forderung in die Parteiprogramme von Grünen und SPD und schließlich auch in den Koalitionsvertrag.

Als die Grünen das Familienministerium übernahmen, war klar: Das Thema mit seinen Herausforderungen lag nun bei ihnen, die SPD wandte sich dem Bürgergeld zu. 2022 warnte der Paritätische vor der steigenden Kinderarmut. Zugleich kämpften die Grünen inmitten von Energiepreisdebatte und Heizungsgesetz damit, die Marke grüner Sozialpolitik aufrechtzuerhalten. Was sie daraus gelernt haben: Erst muss die soziale Frage beantwortet, dann die öffentliche Debatte geführt werden, heißt es aus Grünen-Kreisen.

Deutsche und österreichische Grüne und Sozialdemokraten haben etwas gemeinsam: Sie bewerten die Beschlüsse der jetzigen Regierungen als »wichtigen ersten Schritt« – egal wie klein er sein mag. Und, sie alle hoffen auf künftige parlamentarische Verhältnisse, in denen »mehr möglich ist«.

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Einen anderen Weg wählten die Grünen in Österreich. Sie sitzen seit 2019 in der Regierung, als kleiner Koalitionspartner der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Die Grünen des Nachbarlands entwickelten bereits in den 90er Jahren eine »Grüne Grundsicherung«. Das Konzept umfasst heute eine Kindergrundsicherung, die unabhängig vom Bedarf jedem Kind zustehen soll. Daneben gibt es bedarfsorientierte armutsvermeidende Teile.

In den letzten Jahren habe die Kindergrundsicherung an Aktualität gewonnen, heißt es aus dem Büro des österreichischen Grünen-Sozialsprechers, Markus Koza. Das hänge einerseits mit innenpolitischen Entwicklungen, andererseits mit Krisen der letzten Jahre zusammen. Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern oder Eltern in Langzeitarbeitslosigkeit gelten als besonders armutsbetroffen, 2023 stieg die Zahl armer Kinder erneut an.

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Darüber hinaus lieferte die Vorgängerregierung eine sozialpolitische Steilvorlage. Die konservativ-rechte Koalition aus ÖVP und Freiheitlicher Partei Österreich (FPÖ) hatte zwischen 2017 und 2019 die »Sozialhilfe neu« eingesetzt. Dabei deckelte sie die Sozialhilfe und kürzte Förderungen bei steigender Kinderzahl. Der österreichische Verfassungsgerichtshof befand die Kinderstaffelung als verfassungswidrig und hob sie wieder auf. Zurück blieb eine löchrige Sozialhilfe.

Die aktuelle Bundesregierung beschloss auf Druck der Grünen ein Paket zur Eindämmung von Kinderarmut. Von Juli 2023 bis Ende 2024 wird monatlich ein befristeter Kinderzuschuss von 60 Euro je »armes« Kind ausgezahlt. Obwohl sich der grüne Sozialminister Johannes Rauch darüber hinaus für die Einführung einer Kindergrundsicherung einsetzte – auch aufgrund seinem früheren Beruf als Sozialarbeiter, wie es heißt – macht er von Anfang an klar: Die Einführung der Kindergrundsicherung sei mit der ÖVP nicht machbar.

Stattdessen lässt er in den letzten Monaten seiner Amtszeit ein Konzept für eine zukünftige Kindergrundsicherung erarbeiten. So stehen die österreichischen Grünen nicht als diejenigen da, die an der Reform gescheitert sind. Zugleich bleibt der fade Geschmack, dass sich die Grünen gegenüber ihrem Koalitionspartner nicht durchsetzen konnten.

Inzwischen steht die österreichische Sozialdemokratie bereits in den Startlöchern. Der Sozialverband Volkshilfe arbeitet eng mit den Kinderfreunden zusammen, wiederum eine Organisation der Sozialdemokratischen Partei Österreich (SPÖ). Die Volkshilfe setzt sich in Österreich seit Jahren für die Kindergrundsicherung ein, 2019 führten sie ein europaweit erstes Pilotprojekt dazu durch. SPÖ-Parteiobmann, Andreas Babler, verlautbart derzeit, Österreich zu einer »Kinderrechte-Republik« machen zu wollen.

Hört man sich in den Parteien um, haben deutsche und österreichische Grüne und Sozialdemokraten etwas gemeinsam: Sie alle bewerten die Beschlüsse der jetzigen Regierungen als »wichtigen ersten Schritt« – egal wie klein er sein mag. Und, sie alle hoffen auf künftige parlamentarische Verhältnisse, in denen »mehr möglich ist«. Vom Tisch ist die Debatte der Kindergrundsicherung mit den jeweiligen Legislaturperioden jedenfalls nicht.

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