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Schwarzarbeit am Humboldt Forum?

Auf Berlins Baustellen ist Schwarzarbeit Normalität, eine nun verurteilte Firma war auch am Bau des Berliner Schlosses beteiligt

Bauarbeiten am Berliner Schloss 2013
Bauarbeiten am Berliner Schloss 2013

Es klingt wie einem Drehbuch entnommen. Ein Wagen hält vor einer Bank, eine Person wartet, während eine andere 50 000 Euro in einer Tasche abholt. Sie übergeben das Geld einer weiteren Person, oft in einem Café. Die Person im Café weist wiederum einen anderen Vertrauten an, die Tasche zu einer Baustelle zu fahren, und dort das Geld als Lohn an osteuropäische Bauarbeiter zu verteilen.

Derlei Szenen schildern mehrere Zeugen und Angeklagte vor dem Berliner Amtsgericht. In einem seltenen und aufwendigen Prozess um die Baufirma Necko Hoch- und Tiefbau GmbH sind Ende Juni Urteile gegen die ehemaligen Geschäftsführer ergangen. Die Necko soll jahrelang auf Berliner Baustellen tätig gewesen sein und dabei sowohl Steuern als auch Sozialabgaben nicht bezahlt haben. In der Anklage war die Staatsanwaltschaft von einem Schaden von knapp 40 Millionen Euro ausgegangen. Die Necko soll für namhafte Bauunternehmen wie die »Züblin AG« und »Hochtief« sowie an prominenten Baustellen wie dem Berliner Schloss tätig gewesen sein. Beobachter gehen davon aus, dass es sich hierbei jedoch nicht um spektakuläre Einzelfälle handelt, sondern um eine akzeptierte Normalität in der Branche, die nur selten ans Licht kommt.

Der Richter sprach mit Blick auf die Necko zu Beginn des Prozesses von einem »System der Schwarzarbeit«, das die nun Verurteilten mit aufgebaut hätten. Dabei sei die Schadenshöhe deutlich höher als bei Vergleichsfällen. Die beiden ehemaligen Geschäftsführer wurden des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in mehreren Fällen schuldig gesprochen. Das verhängte Strafmaß beläuft sich auf Freiheitsstrafen von drei Jahren und fünf Monaten bei einem und vier Jahren und drei Monaten beim anderen Geschäftsführer. Da in beiden Fällen Revision eingelegt wurde, sind die Urteile noch nicht rechtskräftig. Auch die eigentliche Urteilsbegründung steht noch aus.

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Laut Handelsregister existierte die Necko von 2009 bis 2019. Vor Gericht wurde der Zeitraum zwischen 2014 und 2018 verhandelt, da waren die genannten Geschäftsführer tätig. Gegen den vor 2014 tätigen Geschäftsführer, dem die Necko bis 2019 gehörte, wurde nicht verhandelt. Allerdings sei er »der Elefant im Raum, der tatsächliche wirtschaftliche Profiteur«, wie es der Vorsitzende Richter ausdrückte. Während des Verfahrens deutete sich an, dass er, nachdem die Necko ins Visier von Ermittlungen geriet, die Geschäfte an einen seiner Verwandten abtrat, jedoch weiterhin die Strippen zog. In seiner Heimat soll er ein Vermögen angehäuft haben.

Die Necko habe ihrerseits mit weiteren Subunternehmen zusammengearbeitet. Auf den Baustellen stellte die Necko meist ausschließlich Personal, während ihre Auftraggeber Material und Maschinen übernahmen. Den Steuer- und Sozialabgabenbetrug habe die Necko mittels Scheinfirmen zu verschleiern versucht. Diese hätten Rechnungen ohne Gegenleistungen ausgestellt.

Während des Verfahrens erzählen Zeugen, dass die Necko keine kleine Firma gewesen sei. 100 Arbeiter habe sie selbst beschäftigt. Für kleine Firmen und große Generalunternehmer sei die Necko laut Staatsanwaltschaft tätig gewesen. Ein Name fällt dabei immer wieder: die Züblin AG. Die Züblin ist eine Tochter der börsennotierten Strabag SE, beschäftigt selbst etwa 15 000 Mitarbeiter. Der Richter spricht einmal davon, dass laut Aktenlage die Züblin »die Hauptauftrageberin im Millionenbereich« der Necko gewesen sein soll. Auch ein konkretes Bauprojekt wird mehrfach genannt: das Berliner Schloss, in dem das Humbolt Forum beheimatet ist.

Eine Sprecherin der Züblin bestätigt »nd« die Zusammenarbeit mit der Necko. Sowohl am Berliner Schloss, als auch darüber hinaus sei die Necko für die Züblin tätig gewesen. Zum Auftragsvolumen und der eingesetzten Personalstärke machte die Züblin keine Angaben, verurteilte jedoch das Fehlverhalten der Nachunternehmen. Für deren Einsatz gelte ein strenges Auswahlverfahren, regelmäßig und unabhängig würden Kontrollen durchgeführt. »Trotz aller Sorgfalt kann es jedoch in Einzelfällen – so wie mutmaßlich im Fall der Necko Hoch- und Tiefbau GmbH – leider vorkommen, dass Nachunternehmen vorsätzlich betrügerisch handeln und unsere Kontrollen möglicherweise nicht greifen«, teilte die Züblin mit. In solchen Fällen begrüße man jegliche Hinweise.

Für das Baumanagement war das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) verantwortlich. Das BBR erklärt, dass von Mitte Februar bis Mai 2013 die Necko als Nachunternehmerin für die Züblin mit Baugruben- und Tiefgründungsarbeiten tätig gewesen sei. Darüber hinaus war die Necko von Mai 2013 bis Dezember 2015 mit Rohbauarbeiten durch die Firma Hochtief beauftragt worden. Hochtief ist der größte deutsche Baukonzern. Das BBR erklärt, dass während der Errichtung des Humboldt Forums mehrere Zollkontrollen durchgeführt wurden, »auch in der Zeit, in der die Firma Necko dort als Nachunternehmer tätig war«. Das BBR habe keine Kenntnis über den Einsatz von Schwarzarbeit beim Bau des Humboldt Forums insgesamt.

Der Zoll bestätigt »nd« eine Zollkontrolle am 16.3.2015, bei der 125 Personen zu ihren Beschäftigungsverhältnissen befragt worden seien. Zu den Ergebnissen der Prüfung und möglichen eingeleiteten Verfahren könnten »aufgrund des erheblichen Zeitablaufes keine belastbaren Angaben mehr« gemacht werden.

Mit abschließender Sicherheit kann an dieser Stelle nicht gesagt werden, dass beim Bau des Humboldt Forums Schwarzarbeit zum Einsatz kam. Es ist auch möglich, dass die Necko auf deren Einsatz beim Schlossbau komplett verzichtete, was aber bei einer auf Schwarzarbeit ausgerichteten Firmenstruktur unwahrscheinlich scheint. Denkbar ist auch, dass dem Zoll die Schwarzarbeit auf der Baustelle entgangen ist, oder die nachwirkenden Ermittlungen erst mit dem geschilderten Verfahren gegen die Necko ihren Abschluss finden.

»Wir können von akzeptierter Schwarzarbeit in der Branche sprechen.«

Hivzi Kalayci (IG BAU)
Gewerkschaftssekretär

Hivzi Kalayci ist Gewerkschaftssekretär bei der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) Berlin. Als solcher ist sein Zuständigkeitsbereich der Hochbau. Er kennt die Baustellen Berlins, vor allem jene, auf denen die großen Firmen tätig sind, denn die sind tarifgebunden. Dass eine Firma wie die Necko auf einer der prestigeträchtigsten Baustellen tätig gewesen ist, wundert ihn kaum. »So wie die Gesetzeslage, insbesondere zur Weitervergabe bei Bauaufträgen ist, finde ich es nicht überraschend«, sagt er »nd«. Es seien die rechtlich zulässigen Subunternehmerketten, die den Nährboden für Schwarzarbeit bereiten. Er weist auf ein weiteres Großbauprojekt in der Heidestraße am Hauptbahnhof hin.

Kalayci ordnet das vorliegende Beispiel ein: »Schwarzarbeit findet bundesweit und flächendeckend statt«, sagt er, »das ist aber kein neues Problem«. Besonders im Hochbau von teuren Großprojekten wie dem millionenschweren Wohnungsbau seien Subunternehmerketten weit verbreitet. Hier fände sich das wesentliche Ausmaß von Schwarzarbeit: »Die beläuft sich zu 99 Prozent auf ausländische Unternehmen mit ausländischen Arbeitern, die bereit sind, unterhalb des Mindestlohnniveaus zu arbeiten«, so Kalayci.

Die IG BAU gehe im Hochbau von im Schnitt sieben bis zehn Subunternehmen im Rahmen eines Bauauftrages aus, manchmal seien es weitaus mehr. In den Berechnungen der großen Bauunternehmen seien die Subunternehmerketten gewöhnlich schon einkalkuliert, die Angebote auf die Centbeträge möglichst niedrig berechnet, damit sie den Zuschlag bekämen. Jeder Subunternehmer in der Kette wolle Geld verdienen, sagt Kalayci, »da bleibt am Ende für die Beschäftigten als letztes Glied nur der Mindestlohn – wenn überhaupt –, auch wenn ihnen auf dem Papier möglicherweise mehr zustehen würde«. Die Beschäftigten, die Kalayci vertritt, stünden vor dem Problem, dass sie für die Durchsetzung ihrer Rechte in der Beweislast seien: Arbeitszeiten, Arbeitsvertrag und vorenthaltene Löhne müssten sie dem Gericht nachweisen. »Das ist für ausländische Arbeiter oft nicht möglich.«

Kalayci spricht von 80 Prozent oder mehr der Generalunternehmen, die an Subunternehmen ausschreiben würden. Vor Ort würden dann lediglich eigene Bauleiter und Poliere eingesetzt. »Fast alle großen Hochbauunternehmen arbeiten nur wenig mit eigenem gewerblichem Personal«, sagt der Gewerkschaftssekretär. »In der Form, wie verbreitet Subunternehmerketten und mit ihnen die Schwarzarbeit ist, können wir schon fast von akzeptierter Schwarzarbeit in der Branche sprechen.«

Das Problem beginne dort, wo sich Ketten von Subunternehmen bilden. »Es muss daher gesetzlich geregelt werden, dass ein Subunternehmer die Arbeiten selbst ausführen und nicht an einen weiteren Subunternehmer ausschreiben darf«, sagt Kalayci. Zudem bräuchte es mehr Zollkontrollen, hierfür mehr Personal und die Strafen sollten Kalayci zufolge verschärft werden: »Neben Haftstrafen braucht es empfindliche Geldstrafen, die auch das zusätzliche Personal finanzieren würden.«

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