Berlin: Zahl der Wohnungen mit Sozialbindung sinkt immer weiter

In Friedrichshain-Kreuzberg fällt ein Drittel der Sozialwohnungen in den nächsten Jahren aus der Bindung

Kreuzberg ist bunt, hat aber immer weniger Sozialwohnungen.
Kreuzberg ist bunt, hat aber immer weniger Sozialwohnungen.

Um den Bestand an Sozialwohnungen in Berlin ist es bekanntermaßen schlecht bestellt. Wie dramatisch die Situation im Detail ist, zeigen mehrere parlamentarische Anfragen. Aus der Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Elif Eralp und Niklas Schenker geht hervor, dass allein im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von aktuell 10 379 Sozialwohnungen 3247 bis Ende 2027 aus der Sozialbindung fallen werden. Damit setzt sich ein besorgniserregender Trend fort: In den Jahren 2021 bis 2023 geschah das schon mit 4035 Sozialwohnungen.

Der Großteil der Wohnungen, die im Bezirk aktuell noch eine Sozialbindung haben, befindet sich in Händen der landeseigenen Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften. Allerdings gehören 4315 privaten Eigentümern oder Gesellschaften. Und von diesen werden bis Ende 2027 2561 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Insbesondere hier ist mit Mietsteigerungen zu rechnen. Diese sind bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete möglich. »Die neuen Zahlen sind dramatisch. Das ist eine neue Welle der Verdrängung, die auf Friedrichshain-Kreuzberg und andere Bezirke zukommt«, sagt dazu der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Niklas Schenker.

Neben Mietsteigerungen nach Auslaufen der Bindung ist ein weiteres Problem die mögliche Umwandlung in Eigentumswohnungen. Zwar gibt es seit dem 1. Oktober 2023 in Berlin die sogenannte Kündigungsschutzklausel-Verordnung, die Eigenbedarfskündigungen für zehn Jahre nach Umwandlung untersagt. Allerdings läuft der schleichende Verlust von Sozialwohnungen schon länger, und für vor dem Stichtag umgewandelte Wohnungen gilt eine Frist von lediglich drei Jahren.

In Pankow hatte es angesichts ähnlicher Entwicklungen im März einen Krisengipfel gegeben, angestoßen vom Bündnis »Pankow gegen Verdrängung«. Im Ostbezirk waren von 2019 bis 2023 insgesamt 13 724 Sozialwohnungen weggefallen. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage von Niklas Schenker und der Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger hervor. Einschließlich 2024 werden in den nächsten fünf Jahren weitere 1507 folgen. Hier sind insbesondere Altbaumieter*innen bedroht. Pankower Altbauten waren in den 90ern und frühen 2000ern im Rahmen des Programms »Soziale Stadterneuerung« saniert worden, vor allem von Privateigentümer*innen. Hier ist die Gefahr von Eigenbedarfskündigungen besonders hoch.

»Wir brauchen ein Rettungsprogramm für den sozialen Wohnungsbau.«

Niklas Schenker (Linke)
Wohnungspolitischer Sprecher

Die auslaufenden Bindungen zeigen ein großes Problem der Wohnraumförderung in Deutschland: Sozialwohnungen sind immer an Bau- oder Sanierungsförderung gebunden. Die Sozialbindung ist zeitlich begrenzt, zwischen 20 und 30 Jahren. Eine Verlängerung von Mietpreis- und Belegungsbindungen oder die Schaffung neuer Bindungen bei Beständen sei ausschließlich aufgrund neuer Förderungen möglich, so der Senat in der Antwort auf die Anfrage. Der Bau oder die Ausweisung neuer Sozialwohnungen halten bei Weitem nicht mit dem stetigen Verlust mit. Von den knapp 150 000 Sozialwohnungen aus dem Jahr 2012 sind in ganz Berlin nur noch rund 90 000 übrig.

»Nicht nur in Pankow, auch in ganz Berlin ist die Zahl der auslaufenden Sozialbindungen erschreckend und erfordert endlich konsequentes politisches Handeln«, so Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen zu »nd«. Der Senat sei bei dem Thema ohne Strategie und Plan. »Das ist eine politische Bankrotterklärung, die sich Berlin nicht leisten kann«, so Schmidberger weiter. Es brauche kurzfristige Maßnahmen, wie einen Härtefallfonds für die Mieter*innen, die sich die Mieterhöhungen nicht leisten können. »Langfristig braucht es eine verbesserte gesetzliche Grundlage, auf der Bindungen verlängert werden können oder mit deutlich längeren Laufzeiten abgeschlossen werden«, so die Grünen-Sprecherin.

Linke-Politiker Schenker wirft dem Senat Versagen beim Schaffen und Schutz von Sozialwohnungen vor. »Wir brauchen ein Rettungsprogramm für den sozialen Wohnungsbau«, so Schenker. Die Linke wolle einerseits ein kommunales Wohnungsbauprogramm für dauerhafte Sozialwohnungen. Aber auch Mieter*innen in bestehenden Sozialwohnungen sollen geschützt werden: »Mit Ankauf und Vergesellschaftung müssen wir die Mieter*innen in Wohnungen mit auslaufenden Bindungen schützen«, sagt Schenker.

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