Waffen bringen Glück

Der bhutanische Regisseur Pawo Choyning Dorji fragt mit seinem neuen Kinofilm: »Was will der Lama mit dem Gewehr?«

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Seltsame Zeiten: Ohne Schusswaffen geht nichts mehr in der glücklosen Gegenwart.
Seltsame Zeiten: Ohne Schusswaffen geht nichts mehr in der glücklosen Gegenwart.

Als 1729 die Regierung Bhutans ihren Rechtskodex entwarf, proklamierte der erste Artikel: »der Zweck einer Regierung ist, das Glück ihrer Bürger zu sichern, und wenn eine Regierung nicht für Glück sorgen kann, hat sie keinen Grund zu existieren«. Lange schottete sich das Land aus diesem Grund gegen Kolonialisierung und Globalisierung ab. Die Autorität blieb beim König und man lebte glücklich nach den 2500 Jahre alten Lehren Buddhas. Internet, Handys und Kabelfernsehen wurden nicht eingeführt.

In diesem Land mit dem einzigartigen Index des Bruttonationalglücks spielt Pawo Choyning Dorjis Film »Was will der Lama mit dem Gewehr?«. Für seinen ersten Spielfilm »Lunana – Das Glück liegt im Himalaya« wurde der 41-jährige Regisseur 2022 bereits für einen Oscar in der Kategorie Bester internationaler Film nominiert.

Seine neueste, hochvergnügliche Mischung aus Dramödie, Politsatire und Roadmovie spielt im Jahr 2006. Der König hatte entschieden, sich den Errungenschaften der Moderne zu öffnen, dankte ab und verordnete seinem Volk die ersten demokratischen Wahlen, um sein Land für den Fortschritt zu einer parlamentarischen Monarchie zu transformieren.

Als der Lama des Dorfes Ura, der von dem derzeitigen echten Lama gespielt wird, davon hört, beauftragt er seinen Meisterschüler Tashi (Tandin Wangchuk) – im wahren Leben Leadsänger der alternativen Rockband Misty Terrace –, ihm bis zum nächsten Vollmond zwei Gewehre zu besorgen. So möchte er die Dinge »wieder in Ordnung bringen«. Selbstverständlich hinterfragt Tashi nicht die Absichten seines verehrten Meisters, sondern zieht gleich los, um herauszufinden, ob es in Bhutan überhaupt Gewehre gibt. Die bereits im deutschen Titel deutlich werdende Prämisse bewirkt, dass man den Film bis zur Auflösung mit Spannung verfolgt.

Von Beginn an versetzen die Aufnahmen von Jigme Tenzing den Zuschauer in Verzückung: Gerne verweilt man in den Aufnahmen des Dorfes und seiner friedliebenden Einwohner*innen sowie der unberührten Landschaft im Himalaja-Gebirge. Umweltschutz ist in Bhutan in der Verfassung verankert.

In einer Parallelhandlung sucht jedoch bereits der zwielichtige Waffenhändler, der US-amerikanische Ronald Coleman (Harry Einhorn), im Land nach historischen Waffen. Sein Verhalten steht für die gefährliche Waffenvernarrtheit der Amerikaner. Unterstützt wird er von Benji aus der Stadt.

In einem weiteren Handlungsstrang macht sich die ehrgeizige Regierungsangestellte Yangden (Pema Zangmo Sherpa) auf den Weg, um ihren friedliebenden Mitbürger*innen das Wahlprinzip nahezubringen. Sie wird übrigens von einer Sängerin verkörpert, die ansonsten ein Schuhgeschäft führt. Yangden soll in Ura eine Testwahl durchführen.

Doch bereits im Vorfeld verursachen die bevorstehenden Veränderungen einiges an Unruhe unter den Dorfbewohner*innen. Die Tochter von Tshomo und Choephel wird in der Schule gemobbt, da ihr Vater sich für die Fortschrittspartei einsetzt und nicht wie alle anderen die Konservativen wählen will. Auch die Schwiegermutter spricht seitdem nicht mehr mit ihm. Zur Auswahl steht auch noch eine Partei, die für Fortschritt und Gleichheit steht. Das große Postengeschacher hat bereits begonnen.

Als Tashi später einmal gefragt wird, ob er von der Wahl gehört habe, fragt er unschuldig, ob das die neue Schweineseuche sei. Als den Dörflern beigebracht wird, wie man sich bei einer Kundgebung gegenseitig anschreit, erkundigt sich eine alte Frau bei der Wahlleiterin, was das soll. »So sind wir nicht«, sagt sie entsetzt. Unterdessen sind Ron und Benji bei einem hoch verschuldeten Bauern fündig geworden. In seinem Familienbesitz befindet sich ein Gewehr aus dem amerikanischen Bürgerkrieg.

Bloße Habgier leuchtet in Ronalds Augen auf, als er die wertvolle Antiquität erblickt. Doch wie erstaunt ist er, als der Besitzer die ihm angebotene Summe ablehnt. Sie sei zu hoch. Schließlich werden sie sich doch noch auf einen niedrigeren Preis einig und Benji und der Waffenhändler machen sich auf den Weg zur Bank. Sehr amüsant, wie Dorji immer wieder die Denkweise der Menschen, denen der Kapitalismus in die DNA eingeschrieben ist, persifliert. Aber auch seine Landsleute werden liebevoll ironisch betrachtet. Großartig eine Szene, in der Tashi in einen Laden einkehrt, um sich »schwarzes Wasser« (Coca Cola) zu bestellen. Im Fernseher dort läuft der Bond-Film »Ein Quantum Trost«, bei dem mit einer AK-47 rumgeballert wird. Die Kalaschnikow wird für den eigensinnigen Mönch zum Inbegriff einer Waffe, was noch zu weiteren amüsanten Verwicklungen führt.

Doch zunächst kreuzt Tashi bei dem Bauern auf. Dieser schenkt ihm als Bote des ehrwürdigen Lama das Gewehr, das er eigentlich Ron versprochen hat. An der Stupa des Dorfes, einem kleinen Bauwerk, das Harmonie und Liebe symbolisiert, laufen schließlich alle Handlungsstränge gekonnt zusammen. Ron fragt Benji einmal irritiert, ob der Lama plane, jemanden umzubringen. Er sei doch schließlich ein Mönch! Benji antwortet wie eine Figur aus einem Tarantino-Film: »Ich weiß nicht, Mann. Das sind seltsame Zeiten.«

»Was will der Lama mit dem Gewehr?«: Bhutan/USA/Frankreich/Taiwan 2023. Regie/Drehbuch: Pawo Choyning Dorji. Mit: Tandin Wangchuk, Kelsang Choejay, Deki Lhamo, Pema Zangmo Sherpa, Tandin Sonam, Harry Einhorn. 107 Minuten. Start: 1.8.

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