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Linke-Ministerin Heike Werner: Expertin für Teamwork
Konfliktscheu oder ergebnisorientiert? Die Linke-Politikerin Heike Werner ist seit neun Jahren Chefin des Thüringer Sozialressorts
Eine Sache will Heike Werner unbedingt klarstellen. Es sei völlig falsch, ihr auch nur indirekt zu unterstellen, sie habe keine Lust mehr auf ihr Amt als Erfurter Sozialministerin oder auf Thüringen oder auf Landespolitik. »Ich bin nicht amtsmüde«, beteuert die Linke-Politikerin. Auch wenn sie sich in den vergangenen Jahren ein bisschen verändert habe. »Ich bin vielleicht dünnhäutiger als vor acht oder neun Jahren.«
So lange ist die Chefin des Superministeriums schlechthin im Freistaat im Amt. Kurz vor der Bildung der ersten rot-rot-grünen Landesregierung unter Vorsitz ihres Genossen Bodo Ramelow war die heute 55-Jährige aus Sachsen gekommen und direkt Ministerin geworden. Sehr zum Unmut zumindest einiger Thüringer Genossinnen, die sich nach dem Ende der CDU-Herrschaft im Freistaat schon in das große, aber nüchterne Chefinnen-Büro des Sozialministeriums in Erfurt einziehen sahen, in dem Werner seit dem 5. Dezember 2014 arbeitet.
Als Ramelow 2019 zum zweiten Mal als Ministerpräsident in die Erfurter Staatskanzlei einzog, vertraute er Werner, die vor ihrem Wechsel nach Thüringen Vorsitzende des Sozialausschusses im sächsischen Landtag gewesen war, das Ministerium erneut an. Es ist jenes Haus, das innerhalb der rot-rot-grünen Logik ein Schlüsselministerium ist und infolge der Corona-Pandemie noch mehr wurde, weil es auch für den Gesundheitsbereich und damit die medizinische Versorgung im Land verantwortlich ist.
Spekulationen, Werner könne amtsmüde sein, wurden dadurch genährt, dass sie sich beim jüngsten Listenparteitag der Thüringer Linken für die Landtagswahl am 1. September, anders als mehrere ihrer Kabinettskollegen, nicht als Kandidatin nominieren ließ. Was bedeutet: Dem nächsten Landtag wird Werner also nicht angehören.
Sollten die Linken also nicht wieder Teil der Landesregierung werden und damit keinen Zugriff auf Ministerposten bekommen, wäre die politische Karriere Werners in Thüringen also zu Ende. Dass dieses Szenario eintritt, ist angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse alles andere als unwahrscheinlich.
Werner selbst sagt, sie habe sich nicht um einen Platz auf der Landesliste beworben, weil sie einer jungen Genossin die Chance habe geben wollen, ins Parlament einzuziehen. Dass sie gern weiter Ministerin wäre, daran lässt sie keinen Zweifel. Schon nach der Landtagswahl 2019 hatte sie ihr damals errungenes Abgeordnetenmandat niedergelegt und war wieder Chefin jenes Ressorts geworden, das offiziell den Titel »Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie« trägt. Weil jeder dieser Themenbereiche in den politischen Programmen von Linke, SPD und Grünen einen hohen Stellenwert einnimmt, macht der lange Name sofort sichtbar, dass Werner ein Schlüsselministerium führt.
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Darüber, was die gebürtige Berlinerin, die in Zwickau aufgewachsen ist und ein Studium der Soziologie und Erziehungswissenschaft in Leipzig absolviert, aber nicht beendet hat, als Ministerin in den vergangenen Jahren geschafft hat, gibt es ganz unterschiedliche Meinungen.
Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Thadäus König, lässt kaum ein gutes Haar an ihrem Wirken. »Ernüchternd« sei ihre Bilanz, »vor allem gemessen an den selbstgesteckten Zielen der Landesregierung«, sagt der 42-Jährige. »Gerade im sozialen Bereich war das Wirken der Landesregierung vielfach nicht wahrnehmbar und im Gesundheitsbereich stolperte die Ministerin den Entwicklungen hinterher«, findet König. So seien unter Werners Ägide innovative Ansätze in der Telemedizin kaum unterstützt worden. Für den CDU-Mann ein »Armutszeugnis«. Dafür sei »immer massiv Geld vorhanden« gewesen, das »am Ende verfällt«.
Über Werner als Person äußert sich König positiv: »Frau Werner ist im persönlichen Umgang ausgleichend und freundlich.« Doch das Lob ist vergiftet. Denn der Politiker setzt hinzu, die Ministerin scheue Konflikte, wodurch wichtige Entscheidungen immer wieder verzögert oder gar nicht getroffen würden. So habe sie ihren eigenen Handlungsspielraum beschnitten.
Werners eigener Blick auf ihr bisheriges Handelns fällt freilich ganz anders aus. In vielen Bereichen habe sie gemeinsam mit ihrem Team Dinge in die richtige Richtung bewegen können, sagt sie. Dabei ist es typisch für sie, dass sie immer von »wir« spricht. Sie weiß und will zeigen, dass sie – wie alle Regierungsmitglieder – ohne ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gar nichts verändern könnte.
Die Ausweitung des alten Blindengeldes zu einem Sinnesbehindertengeld sei ein Beispiel dafür, wie durch rot-rot-grüne Sozialpolitik Menschen heute stärker unterstützt würden als früher, erklärt Werner. Vor ihrer Amtszeit gab es die Leistung in Thüringen nur für Sehbehinderte. Seit 2016 wird sie auch an Taubblinde und seit 2017 auch an Gehörlose gezahlt. Etwa 16,2 Millionen Euro stehen dafür im laufenden Jahr zur Verfügung.
Auch die Familienförderung in Thüringen sei unter Rot-Rot-Grün massiv ausgebaut worden, organisiert durch die Einführung des Landesprogramms »Solidarisches Zusammenleben der Generationen«, berichtet die Linke-Politikerin. So stünden im laufenden Jahr 17,6 Millionen Euro für die Förderung von Familien zur Verfügung: für Bürgerbusse, einen Pflegestützpunkt, für ein Pflegeinformationszentrum, für die Unterstützung von 67 Personen, die sich in Dörfern ganz praktisch um Sorgen und Probleme ihrer Mitbürger kümmern, und vieles mehr. 2017 habe es dafür im Landeshaushalt erst 4,3 Millionen Euro gegeben.
Um all das zu finanzieren, seien Mittel nicht einfach nur umgeschichtet worden. »Das ist wirklich frisches, neues Geld«, betont Werner. Das ist eine Aussage, die die Frage umso drängender werden lässt, warum das und anderes mehr nicht zu einer deutlich größeren Zustimmung für ihre und die Arbeit der rot-rot-grünen Regierungspolitik führt.
Wer sich bei Menschen umhört, die etwa bei Krankenkassen, in Kliniken, in Frauenhäusern, in Suchtberatungsstellen oder in Mehrgenerationenhäusern arbeiten, bekommt sehr unterschiedliche Einschätzungen zum Wirken von Werner und zur Bilanz rot-rot-grüner Sozialpolitik.
Fast überall wird Werners persönliches Auftreten gelobt, allerdings bisweilen verbunden mit dem Nachsatz, die Ministerin setze zu oft auf lange Workshops, Diskussionen und Prozesse und entscheide nicht schnell genug. Dabei, sagt jemand aus dem Gesundheitswesen, brauche es solche Entscheidungen gerade jetzt, auch wenn damit manchmal Menschen oder gar Manager großer Unternehmen vor den Kopf gestoßen würden.
Nahezu alle aber erkennen an, dass es heute mehr Geld für soziale Projekte in Thüringen gibt als früher, dass die Hilfsangebote besser finanziert sind. Viele dieser Menschen fühlen sich zudem heute mehr wertgeschätzt als in den 90er, 2000er und 2010er Jahren. Fast alle beklagen aber auch, es gebe nach wie vor zu wenig langfristige Planungssicherheit für sie und ihre Beratungsstellen, Seniorentreffs, Kliniken.
Werner kennt diese Klagen und spricht offen darüber. Das fällt ihr freilich umso leichter, weil das Land nicht allein für die Finanzierung der sozialen Infrastruktur verantwortlich ist. Denn auch der Bund und die Kommunen sind hier in der Pflicht. Und so kann niemand allein Werners Ministerium die Schuld dafür zuweisen, dass etliche soziale Projekte auch unter Rot-Rot-Grün mit der permanenten Angst leben, im nächsten Jahr mit noch weniger Geld auskommen zu müssen.
Diese Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern ist aus Sicht von Werner auch ein wesentlicher Grund dafür, dass sich das, was Linke, SPD und Grüne in der Thüringer Sozialpolitik in den vergangenen zwei Legislaturperioden umgesetzt haben, nicht in höheren Zustimmungswerten für die drei Parteien niederschlägt. Mehr noch: dass Rot-Rot-Grün bei der Landtagswahl in weniger als zwei Monaten wahrscheinlich abgewählt wird.
In vielen sozialpolitischen Breichen, so Werner, könnten die Bundesländer eigentlich »nur« Infrastruktur schaffen oder dabei helfen, dass andere das tun. Also: mehr Frauenhäuser, mehr Suchtberatungsstellen, mehr Jugendclubs. Sozialleistungen wie das Kindergeld erhöhen oder eine Kindergrundsicherung einführen, das könne dagegen nur der Bund.
Letzteres würde sofort zu mehr Geld in den Haushaltskassen von vielen Menschen führen. Der Ausbau von sozialer Infrastruktur im Freistaat dagegen spürten Menschen nicht sofort in ihrem Portmonee. »Das ist vielleicht ein Problem.« Einerseits. Aber Werner räumt auch ein, dass sie das Kommunizieren politischer Meriten vielleicht etwas vernachlässigt hat: »Ja, das stimmt. Man hätte die Erfolge vor Ort vielleicht auch mehr feiern können.« Ein großes Problem sei es auch, »dass es uns nicht gelingt, eine positive Erzählung zu schaffen«, meint die Ministerin.
Andererseits ist die Bedeutung einer guten sozialen Infrastruktur für den sozialen Frieden kaum zu überschätzen. Und zwar auch für Menschen, die schon ein hohes Einkommen haben. »Auch Familien mit viel Geld oder Rentner, die mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld auskommen, können einsam sein«, sagt Werner.
Ausgerechnet das, was Werner immer wieder vorgeworfen wird – die aufwändigen Diskussions- und Beteiligungsprozesse, ihr Zurückschrecken vor Basta-Entscheidungen –, sieht sie unterdessen als Errungenschaft. Es werde ihr politisches Erbe auch dann sichern, wenn sie es infolge der Ergebnisse der Landtagswahl nicht wieder in den Chefinnensessel des Sozialministeriums schafft. Die sozialpolitischen Entscheidungen der letzten Jahre seien von denen, die sie betreffen, so breit getragen, dass man sie nicht einfach rückabwickeln könne, ist die Politikerin überzeugt. »Das ist mir erst in den letzten Monaten bewusst geworden«, erzählt sie.
Amtsmüde ist Werner also offenbar wirklich nicht. Aber vorbereitet auf das, was nach der Landtagswahl kommen mag.
Die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern in der Sozialpolitik sei ein wesentlicher Grund dafür, dass sich Leistungen der Erfurter Koalition nicht in höheren Zustimmungswerten niederschlagen, meint Werner.
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