- Politik
- Solidarität mit Jesid*innen
Ausreise von Şengal-Delegation am Flughafen München gestoppt
Verfügung mit »außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland« begründet
Fünf nach eigenen Angaben »junge« Mitglieder einer Delegation auf dem Weg nach Şengal im Nordirak wurden am Dienstag am Flughafen München von der Bundespolizei aufgehalten. Das berichtete zuerst das Solidaritätsnetzwerk Defend Kurdistan in einer Pressemitteilung. Die Delegation aus vier deutschen Staatsangehörigen und einer Person mit irakischem Reisepass habe einer Einladung des Demokratischen Rates der Êzîd*innen (kurdische Schreibweise von »Jesid*innen«) folgen wollen. In der Region Şengal wollte die Gruppe an Gedenkveranstaltungen zum zehnten Jahrestag des Genozids und Femizids teilnehmen, bestätigt eine der verhinderten Reisenden dem »nd«. Diese Verbrechen hatte der »Islamische Staat« am 3. August 2014 begonnen.
Trotz der Bedeutung ihrer Reise und einer Einladung zur Gedenkveranstaltung sei die Gruppe kurz vor ihrem Abflug zunächst für sieben Stunden festgehalten worden. Anschließend habe die Bundespolizei eine 30-tägige Ausreisesperre gegen die Aktivist*innen verhängt. Begründet wurde dies mit »außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland«.
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In einer der dem »nd« vorliegenden Ausreiseverfügungen moniert die Bundespolizei, die betroffene Person habe »lediglich einen Rucksack als Handgepäckstück« mitgeführt. Darin habe sich eine Einladung für den Autonomierat in Sinjar sowie ein Bild zum Gedenken an Thomas S. befunden. Der deutsche Staatsangehörige war Berichten zufolge vor einem Jahr an der Grenze zum nördlichen Teil Kurdistans von türkischen Truppen getötet worden.
Als verdächtig wertet die Bundespolizei in München außerdem, dass die jungen Reisenden »mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten« seien. Erwähnt werden »Demonstrationen, Besetzungen, Veranstaltungen, die dem linken Spektrum und den verbotenen Orgaisationen wie der PKK zuzurechnen sind«. Es sei daher »zu vermuten«, dass der Aufenthalt im Nordirak dazu diene, »die verbotenen Organisationen im Nordirak zu unterstützen und sich weiter zu vernetzen«.
Außerdem macht sich die Bundespolizei Sorgen um die Gesinnung der Aktivist*innen. »Die innere Sicherheit und erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland sind dadurch gefährdet, dass Sie nach ihrer Rückkehr ins Bundesgebiet in Ihrer Ideologie noch gefestigter sind«, heißt es an anderer Stelle der Verfügung.
»Die heutige Entscheidung der Bundespolizei, die Teilnahme der fünf Studenten an den Gedenkveranstaltungen der Êzîd*innen zu verhindern, wirft Fragen zur Doppelmoral der deutschen Außenpolitik auf«, schreibt Defend Kurdistan. Die Bundesrepublik Deutschland behindere auf diese Weise das Gedenken an einen anerkannten Völkermord und die Unterstützung der betroffenen Gemeinschaften.
Defend Kurdistan wurde 2021 nach einer Delegationsreise in den südlichen Teil von Kurdistan gegründet, seit 2022 existiert es als Netzwerk von Kurdistan-Solidaritätsbewegungen.
Der Genozid an den Êzîd*innen kostete bis zu 10 000 Menschen das Leben, über 7000 Frauen und Mädchen wurden Opfer von sexueller Gewalt und Sklaverei. Mehr als 400 000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Unter Êzîden wird der von ihnen gezählte 74. Völkermord in ihrer Geschichte als »Ferman« bezeichnet. Bis heute sollen sich rund 2700 der Entführten in der Gewalt des IS befinden, die meisten davon Frauen und Kinder.
Auch im Nordirak wurden Internationalist*innen aus Deutschland sowie aus der Schweiz und Italien an der Fahrt zu der Gedenkveranstaltung in Şengal gehindert. Darüber berichtete die kurdische Nachrichtenagentur ANF News am Dienstag. Die Gruppe sei an einem Checkpoint in Telafer im Nordwesten des Landes gestoppt und nach Mossul zurückgeschickt worden. Telafer liegt in der Grenzregion zu Syrien.
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