»Letzte Generation erklärt sich nicht gut genug«

Soziologin Lena Herbers über mangelhafte Kommunikation und überzogene Strafen

Das Problem der Letzten Generation: Eher symbolhafte Aktionen wie hier gegen das LNG Terminal auf Rügen sorgen zwar für weniger Aufregung – aber auch für weniger Aufmerksamkeit.
Das Problem der Letzten Generation: Eher symbolhafte Aktionen wie hier gegen das LNG Terminal auf Rügen sorgen zwar für weniger Aufregung – aber auch für weniger Aufmerksamkeit.

Ende Januar kündigte die Klimaaktivistengruppe Letzte Generation einen Strategiewechsel an: Man setze nun auf Störaktionen bei »ungehorsamen Versammlungen« und protestiere verstärkt an »Orten der fossilen Zerstörung«. Das Kapitel des Klebens und der Straßenblockaden ende damit, hieß es. Jetzt kleben sie doch wieder. Ist das eine Abkehr von der Abkehr?

Die Letzte Generation begründete ihren Strategiewechsel damit, nicht mehr zu wachsen und anschlussfähiger werden zu wollen. Vielleicht entstammt der Zusammenschluss mit anderen Gruppen zur Kampagne Oil Kills auch diesem Wunsch nach Anschluss. Zwar finden die ungehorsamen Versammlungen nach wie vor statt, doch die Flughafenbesetzungen erzeugen viel mehr Aufmerksamkeit. Ob es sich dabei um einen erneuten Strategiewechsel handelt, kann ich noch nicht beurteilen.

Macht sich die Letzte Generation nicht unglaubwürdig, wenn sie ihr Wort nicht hält?

Die Flughafenblockaden passen insofern in die neue Strategie, weil die Orte besser gewählt sind. Die fossile Realität von »Wir fliegen einmal im Jahr in den Urlaub« hat angesichts des verbleibenden CO2-Budgets keine Zukunft mehr. Ich glaube, das ist auch einem Großteil der Menschen bewusst, die das nach wie vor tun. Die Aktionen der Letzten Generation betrachte ich als Versuch, an diese Debatte anzuknüpfen.

Interview
verfassungsblog.de

Lena Herbers hat Rechtswissenschaft und Soziologie studiert. Derzeit promoviert sie am Institut für Soziologie der Universität Freiburg zu Aushandlungsprozessen von Legitimierbarkeit von zivilem Ungehorsam aus juristischer und aktivistischer Perspektive. 

Eine Befragung aus Deutschland zeigt aber auch, dass sich die Akzeptanz von Klimaaktivismus seit den Aktionen der Letzten Generation halbiert hat. Ist das nicht Grund genug, auf solche Aktionen zu verzichten?

Es ist nicht belegt, dass das eine das andere auch verursacht hat, dazu gibt es meines Wissens noch keine Forschung. Ziemlich sicher sind auch andere Faktoren für die Verschiebung des gesellschaftlichen Fokus verantwortlich: der russische Angriffskrieg oder die Inflation.

Übrigens zeigt eine Studie aus Großbritannien, dass Menschen ihre Einstellung zum Grund des Protests – in unserem Fall also die Klimakrise – auch dann positiv verändern können, wenn sie nicht mit der Form des Protests einverstanden sind. So könnte die Letzte Generation, auch ohne anschlussfähiger zu werden, ein größeres Bewusstsein für die Klimakrise schaffen.

Zumindest sprechen wir nun wieder über die Letzte Generation. Allerdings unterhalten auch wir uns gerade über die Protestform und nicht über die inhaltlichen Forderungen. Wie könnte die Letzte Generation Aufmerksamkeit erzeugen und gleichzeitig inhaltliche Diskussionen anfachen?

Das ist wirklich schwierig. Protest funktioniert, indem er stört und normale Abläufe unterbricht. Wichtig ist dabei, dass Protest und sein Zweck gut miteinander verknüpft sind. Das ist bei den Flughafenblockaden, die ein Ende der Förderung fossiler Energien fordern, eher gegeben als bei den anfänglichen Straßenblockaden gegen Lebensmittelverschwendung. Trotzdem tut sich die Letzte Generation schwer damit, ihren Protest zu erklären. Das ist ihr größtes Problem.

Die Aktivist*innen bemühen sich aber sehr darum, deutlich zu machen, dass sich ihr Protest nicht gegen persönliches Verhalten richtet, sondern gegen das Versagen der Regierung.

Wenn man behauptet: »Es geht gar nicht um dich« – und die Leute dann trotzdem im Stau stehen oder am Flughafen warten, dann ist das schwer zu vermitteln. Da hat die Letzte Generation mit ihrer Aktionsform größere Probleme als etwa Waldbesetzungen, die sich für den Erhalt des konkreten Waldes einsetzen. Das lässt sich gut erklären und ist deshalb anschlussfähiger. So etwas Ähnliches fehlt der Letzten Generation bisher. Ich glaube aber, die Gruppe ist auf der Suche danach und probiert sich immer wieder neu aus. Also die Farbanschläge auf Hotels oder Privatjets, das betrachte ich als Versuche, den Protest anschlussfähiger zu machen.

Was allerdings nicht sonderlich gut zu funktionieren scheint.

Vieles hat die Letzte Generation auch nicht selbst in der Hand. Die Klimabewegung ist nur ein verhältnismäßig kleiner Akteur in unserer demokratischen Gesellschaft. Solange sich nicht wirkmächtigere Akteur*innen zumindest den Forderungen anschließen, hat sie Schwierigkeiten Gehör zu finden.

In der Forschung und Theorie zu sozialen Bewegungen spielen zudem sogenannte Möglichkeitsfenster eine wichtige Rolle. Das sind unvorhersehbare Momente, die die gesellschaftliche Stimmung verändern. Deshalb brauchen soziale Bewegungen oft einen sehr langen Atem. Ein gutes Beispiel dafür ist die Nuklearkatastrophe von Fukushima, die ja letztlich zum Atomausstieg geführt hat. Etwas Vergleichbares gibt es für die Klimabewegung bislang nicht, auch die Flutkatastrophen haben das nicht erreicht.

Im Gegenteil: Klimaprotest wird immer härter bestraft. Nun soll sogar das sogenannte Luftsicherheitsgesetz verschärft werden. Das unberechtigte Eindringen auf ein Rollfeld soll dann keine Ordnungswidrigkeit mehr sein, sondern eine Straftat. Was halten Sie davon?

Es ist mit Sicherheit eine wichtige gesellschaftliche Frage, was als Ordnungswidrigkeit gewertet wird und was als Straftat mit schärferen Konsequenzen belegt wird. In diesem Fall würde ich aber sagen, dass es sich um eine Abwehrreaktion handelt: Statt über die Forderungen zu reden, wird nun diskutiert, wie die Leute bestraft werden sollen. Das delegitimiert friedlichen Protest, weil es ihn in die Nähe von Straftaten rückt. Und natürlich beeinflusst das auch die gesellschaftliche Stimmung gegenüber solchen Aktionen.

Als Begründung für die Gesetzesverschärfung wird nicht nur die Letzte Generation genannt, sondern auch eine Geiselnahme am Hamburger Flughafen im vergangenen Jahr. Spielen nicht auch berechtigte Sicherheitsbedenken eine Rolle?

Die Diskussion zeigt sehr gut, wie die Kriminalisierung von friedlichem Protest funktioniert. Wir haben hier zwei komplett verschiedene Situationen: Einmal die Geiselnahme einer Person, die den gesamten Flughafen lahmgelegt hat, und dann die Blockaden der Letzten Generation, die auf die mangelhafte Klimapolitik aufmerksam machen wollen. Diese beiden Bilder werden durch diese Diskussion zusammengebracht, obwohl es keine vergleichbaren Situationen sind und deshalb natürlich auch unterschiedlich debattiert werden sollten.

Was für einen rechtlichen Umgang mit solchen Aktionen halten Sie für angebracht?

Das Besondere an zivilem Ungehorsam ist ja, dass die Aktivist*innen dazu bereit sind, das Recht zu brechen und sogar Straftaten in Kauf nehmen, um für ihre Ziele einzustehen. Genau diese Bereitschaft war es, die schon so viele wichtige Veränderungen bewirkt hat. Denken wir etwa an die amerikanische Bürgerrechtsbewegung oder das Frauenwahlrecht. Und auch wenn wir heute soziale Bewegungen und friedlichen Protest beurteilen, sollten wir das mit einbeziehen. Es handelt es sich ja eigentlich um ein Angebot an die Gesellschaft, nach dem Motto: »Hier ist ein Missstand, lasst uns den gemeinsam anpacken.« Es geht der Letzten Generation ja nicht darum, sich die Gesellschaft zum Feind zu machen.

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