Teures Contracting: Gefangen im Heizvertrag

Im Neuen Kreuzberger Zentrum wird die Heizung per »Contracting« betrieben – zulasten der Mieter

Augen auf beim Heizungskauf: Fassade des Neuen Kreuzberger Zentrums
Augen auf beim Heizungskauf: Fassade des Neuen Kreuzberger Zentrums

Bei sommerlichen Temperaturen ist die Heizung wahrscheinlich das Letzte, an das man denkt. Manche Berliner*innen haben aber keine Wahl: Sie müssen sich noch immer mit den Heizkostennachzahlungen für 2022 beschäftigen. So auch im Neuen Kreuzberger Zentrum, dem bekannten gelb-grünen Bau am Kottbusser Tor, in dem nicht nur das bekannte »Café Kotti« seine Räume hat, sondern auch unter großem Getöse im Februar 2023 eine neue Polizeiwache eingerichtet wurde.

Nach Angaben des Mieterrats des NKZ sollen im Schnitt 1110 Euro pro Mieteinheit für Heizkosten nachgezahlt werden. Das liegt aber nicht daran, dass die Mieter*innen zu viel geheizt hätten. Sondern daran, dass sich die Heizkosten mehr als verdoppelten: Pro Quadratmeter stiegen sie nach Angaben der Gewobag von 1,17 Euro 2021 auf 2,54 Euro im Jahr 2022. Wer im NKZ heizt, zahlt mehr als doppelt so viel wie Mieter*innen in anderen Gebäuden landeseigener Wohnungsunternehmen.

Grund für diese enorme Preissteigerung ist das Heizkonzept des NKZ. Üblicherweise wird die Heizungsanlage vom Vermieter betrieben, Wartungs- und Instandhaltungskosten auf die Miete umgelegt und Mieter*innen zahlen dann für den Energieträger, also beispielsweise Gas, Öl oder Strom. Anders beim sogenannten »Contracting«. Hier wird der Betrieb der Heizungsanlage ausgelagert. Die Betreiberfirma verkauft dann Wärme, der Betrieb wird eingepreist. Was die Mieter*innen am Ende zahlen, wird durch eine komplizierte Formel bestimmt, in der der Börsenpreis für Gas der bestimmende Faktor ist – mit teilweise teuren Folgen. Auch im NKZ wird so verfahren: Das Blockheizkraftwerk, welches das Gebäude heizt, wird von der Gasag Solution Plus GmbH betrieben, einer Tochtergesellschaft des privaten Berliner Energierunternehmens Gasag.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Normalerweise wird dieses Konzept vor allem von Privatunternehmen genutzt. Der Wohnungsriese Vonovia etwa lässt viele seiner Heizungsanlagen von der »G+D« betreiben, die gleichzeitig zu 49 Prozent Vonovia gehört. Das Unternehmen profitiert also direkt von den hohen Heizkosten. Im NKZ ist der Eigentümer aber keine Privatfirma, sondern das landeseigene Wohnungsunternehmen Gewobag, das in diesem Fall, außer weniger Verwaltungsaufwand, keinen Profit aus dem Contracting zieht. Kein Einzelfall: Wie die Gewobag »nd« mitteilt, wird auch in anderen Immobilien des Unternehmens die Heizungsanlage nach diesem Modell betrieben.

In der Kreuzberger Immobilie wurde das Konstrukt vom Voreigentümer übernommen. Der im Zuge der »Kahlschlagsanierung« der 1960er Jahre hochgezogene Komplex wurde 2017 von der Gewobag für 56,5 Millionen Euro erworben. Das war auch im Interesse der Landesregierung, schließlich konnte so verhindert werden, dass das Gebäude an einen privaten Investor geht. Der Erwerb der Heizungsanlage wurde damals als nicht wirtschaftlich erachtet und die Heizung wird wie seit 2009 betrieben.

»Dass der auslaufende Vertrag nicht ausgeschrieben wurde, ist ein Skandal.«

Dirk Cieslak
Mieterrat NKZ

Auf nd-Anfrage teilt die Gewobag mit, dass der Vertrag zuletzt 2019 bis 2025 verlängert wurde. »Zum damaligen Zeitpunkt war die drastische Steigerung der Energiepreise nicht absehbar, insoweit bestand keine Veranlassung, diesen Vertrag nicht zu verlängern.« Die Gewobag selbst schreibt auf ihrer Homepage, sie sei ein öffentlicher Auftraggeber. Nach Ansicht von Dirk Cieslak vom Mieterrat hätte die Gewobag dementsprechend den 2018 auslaufenden Vertrag ausschreiben müssen. »Dass der auslaufende Vertrag nicht ausgeschrieben wurde, ist ein Skandal«, so Cieslak.

Der Mieterrat des NKZ hat sich deswegen sowohl an die Landeskartellbehörde als auch an die Bundeskartellbehörde gewandt. Wie Cieslak dem »nd« sagt, hätten ihm beide Behörden mitgeteilt, sie seien nicht zuständig. Vielmehr sei die Aufsichtsbehörde, also der Finanzsenat und der Bausenat zuständig für die Kontrolle der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Im Falle der Heizung im NKZ ist das nicht passiert. Die Gewobag schreibt auf nd-Anfrage, man prüfe in jedem Fall, ob bestehende Vertragskonditionen zugunsten der Mieter*innen optimiert werden könnten. Die Gasag wiederum teilt »nd« mit, dass der Vertrag immer wieder den aktuellen Marktbedingungen angepasst worden sei und und in diesem Zusammenhang verschiedene Anpassungen besprochen worden seien, zuletzt im März 2024. Auch der Preis sei wettbewerbsfähig.

In einem Schreiben an den Mieterrat verweist die Gewobag außerdem darauf, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Mieter*innen durch das Contracting einen sehr geringen durchschnittlichen Wärmepreis bezahlt hätten, auch im berlinweiten Vergleich. Außerdem haben nach Angaben des Vermieters die Mieter*innen seit Abschluss des Vertrages mit der Gasag Solution Plus eine Mietreduzierung der Kostenmiete von 0,29 Euro pro Monat erhalten. Die Gewobag schreibt, dass, wenn sie aus dem Contracting-Vertrag ausgestiegen wäre und eine eigene Heizung eingebaut hätte, für alle Mieter zusätzliche Mietkosten in dieser Höhe entstanden wären, zusätzlich zu höheren Betriebskosten. »Die Mieterschaft des NKZ hat durch diesen Vertrag mehr profitiert als Nachteile erhalten«, teilt die Gewobag mit.

Dirk Cieslak sieht das anders. Nach Berechnungen, die er angestellt hat, wäre eine vom Vermieter betriebene Heizungsanlage auch langfristig günstiger. Schließlich würden schon jetzt die Mieter*innen für einen Teil Betriebskosten zahlen. Die Pumpen, die die Wärme im Haus verteilen, würden nicht von der Gasag betrieben, die Kosten dafür auf die Mieter*innen umgelegt. Seine Lösung für die Heizungsmisere: »Schluss mit Contracting! Die Gewobag soll die Anlage selber betreiben, die Kosten auf uns umlegen und fertig.« Da der Vetrag in jedem Fall noch bis 2025 läuft, werden sich die Mieter*innen noch weiter mit dem Problem beschäftigen müssen. Zur Frage, ob die Gewobag plant, die Heizungsanlage zu übernehmen, wollte das Unternehmen keine Auskunft geben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal