Massentourismus: Was ist so schön daran?

Beobachtungen zum Massentourismus

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 4 Min.
Demonstration gegen den Massentourismus auf Mallorca im Juli 2024; aufgerufen hatte zu der Kundgebung in der Altstadt von Palma die Organisation »Weniger Tourismus, mehr Leben«.
Demonstration gegen den Massentourismus auf Mallorca im Juli 2024; aufgerufen hatte zu der Kundgebung in der Altstadt von Palma die Organisation »Weniger Tourismus, mehr Leben«.

Manche hatten geglaubt, mit der Pandemie käme Besinnung über die Menschen, sie würden und könnten sich begnügen und beschränken, der Umwelt zuliebe, folgenden Generationen zuliebe, einer eigenen inneren Gelassenheit zuliebe – Fehlanzeige! Das Gegenteil ist eingetreten! Es geht wilder und hemmungsloser und chaotischer zu denn je im Massentourismus, ausufernd und schrankenlos.

Die Politik hat kein Einsehen und sorgt bloß in Ansätzen für Regulierung und Beschränkung. Ein entfesselter Massentourismus ist an der Tagesordnung, von vielen Verantwortlichen bisher gewünscht. In Griechenland beispielsweise spricht die Politik von der »Schwerindustrie« des Landes, sie solle blühen und gedeihen. Traditionen und Landschaften aber gehen zugrunde.

Und was sehen die weitgereisten Massen? Schwitzende, puterrot glänzende Menschen. Am Strand, vor Tavernen, in Supermärkten. Überfüllte Flugzeuge! Überfüllte Flughäfen! Überfüllte Fähren! Überfüllte Häfen! Auch die Hotels überfüllt. Und überall schwitzende Leiber.

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Warum folgen Massen diesem Reisetrieb in Scharen? Was ist daran so erstrebenswert? Und die einheimische Bevölkerung? Sie kann die Menschenmassen kaum bändigen, versorgt sie mühsam mit Kost und Logis. In diesem Massenbetrieb geht es allein um Abfertigung. Gastfreundschaft oder persönliche Betreuung und Begegnungen, Anteilnahme oder gar herzlicher Austausch sind unmöglich und auch nicht vorgesehen.

Was soll so schön daran sein, was erholsam? Warum nehmen Menschen diese Strapazen auf sich? Die Süchtigen werden befeuert von sogenannten sozialen Medien. Instagram ist ein perfektes Portal hierfür. Wirkt wie eine Droge. Schafft Gefolgschaft und Abhängigkeit. Instagrammer durchpflügen die Regionen, röhren vorrangig auf Pick-ups, vierrädrigen Motorrädern, herum, knattern an Orte, die ihnen nichts sagen, aber zig Vorgänger ihnen angezeigt haben. Dort machen sie im Rudel hurtig ihre Fotos: »Ich war auch hier.« Um dann sogleich zum nächsten Treff Gleichgesinnter zu rasen. Instagram-Blasen. Keine Entdeckungslust mehr, nur Reproduktion. Keine Neugier auf die Rätsel dieser Welt, nur Imponiergehabe. Keine Abenteuerlust, sondern Abhaken vorgefertigter Listen.

Doch es regt sich Widerstand. Aus Mallorca, der Immer-noch-Lieblingsinsel der Deutschen, hören wir von Protesten der einheimischen Bevölkerung. Wohnungsnot, Müllberge, Wasserknappheit, miserable Löhne, steigende Preise, verstopfte Straßen – Begleiterscheinungen des Massentourismus. »Tourist, go home!«, steht an vielen Hausfassaden. Und unlängst haben 300 Aktivisten einen ehemals idyllischen Badestrand im Südosten von Mallorca besetzt, der mittlerweile vor wimmelnden Fremden kaum noch zu betreten ist. Warum? Weil diese Bucht auf Instagram zur Bucht aller Buchten hochgejubelt worden ist und die Massen der »Empfehlung« folgen, um diese wiederum mit ihren Smartphones weiter zu befeuern.

Als unbeschwertes, erholsames oder gar bildendes Reisen kann man den Massentourismus nicht bezeichnen.

Ähnliches hört man von griechischen Inseln wie Santorin, Naxos, Mykonos, mittlerweile auch Milos. Menschenmassen wollen um jeden Preis genau jene Fotomotive abhaken, die sie im Netz vorfinden. Lange Schlangen vor Restaurants, Souvenirgeschäften, Kiosken. Unendliche Wartezeiten in glühender Hitze, Gerangel und Geschiebe, um exakt jenes Motiv nachzuknipsen, das zigfach im Internet zu finden ist. Ein Reflex?

Instagram ist die Kontaktbörse für Ahnungslose. Eine Tauschbörse für Angeber und Narzissten. Ein perfektes Instrument zur Selbstbespiegelung. Egozentrismus wird gefördert, Entsolidarisierung belohnt. Instagram ist ein dogmatisches, autokratisches System, das der Stabilisierung und Entstabilisierung der Verhältnisse zugleich dient. So etwas wie eine Boykottschranke gegen jede gesellschaftliche Veränderung, gegen Fortschritt, gegen Nachhaltigkeit, wider die Vernunft. Instagram verwüstet die Welt.

Instagrammer reisen nicht, sondern sie flippern, sie klicken, sie vergeuden ihr Leben in fremd bestimmten Kanälen und ausgewalzten Spuren. Der Ort spielt keine Rolle. Was zählt, ist das Erscheinungsbild, das Ambiente des Hotels, Strand, Saufen, Sex.

Als unbeschwertes, erholsames oder gar bildendes Reisen kann man diesen Massentourismus nicht bezeichnen. Alles nur Show. Antike Stätten und idyllische Dörfer als Kulisse, die Einheimischen als Statisten. Die Entfremdung ist perfekt.

Ein Kolumnist der Wochenzeitung »Die Zeit« empfahl seinen Lesern bereits Anfang Mai: »Einfach wegbleiben.« Leichter gesagt als getan? Ohne diese irrwitzige Reiserei könnten wir arbeitsfreie Tage entspannt und zufrieden genießen, hernach erholt und ausgeglichen sein. Der herkömmliche Tourismus stoße an seine Grenzen, schrieb der Kolumnist, »er muss weniger werden, nachhaltiger, achtsamer, höflicher, teurer. Auch ganz ohne Klima. Gute Reise!« Ein frommer Wunsch.

                                     

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