Quäl dich, du Sau!

C’est la vie: Der nd-Reporter versucht sich auf dem Rennrad

Watt machen: Am Stand von Evan können sich Paris-Besucher probieren.
Watt machen: Am Stand von Evan können sich Paris-Besucher probieren.

Wie leicht man sich doch überschätzen kann: 35 Grad herrschen an diesem sonnigen Nachmittag, der Schrittzähler meiner Uhr zeigt bereits 10 000 Schritte an, da laufe ich an einem Pop-up-Café im dritten Arrondissement vorbei: Neben Hipstern in Oatly-Liegestühlen ist ein Rennrad auf Rolle aufgebaut, dahinter ein sympathischer Typ, der den Schirm seiner Mütze nach Radfahrerart klassisch nach oben geklappt hat: »Na, Mann, willst du es ausprobieren?«

Auf einem Bildschirm neben dem Rennrad ist die virtuelle Fahrstrecke zu sehen, die es auf der Rolle zu bewältigen galt, dazu groß die Wattzahl, die aktuell gefahren wird. In Watt wird die Kraft gemessen, die ein Fahrer auf die Pedale bringt. Der Typ mit der Radmütze zeigt auf eine Tafel: 460! So viel Watt ist Filippo Ganna bei seinem Stundenweltrekord (56,792 km) durchschnittlich gefahren. »Wenn du dreißig Sekunden lang 460 Watt trittst, kriegst du so eine Mütze geschenkt!«, sagt er und tippt sich an den Kopf.

Jirka Grahl

nd-Sportchef Jirka Grahl berichtet zum vierten Mal von Olympischen Spielen.

Hm. Mein Ehrgeiz ist geweckt, ich steige auf. Warmfahren! Evan, so heißt der Mützenmann, erzählt derweil von sich: US-Amerikaner, Ex-Triathlet, bei den Spielen von Rio 2016 hat er als Mechaniker der Triathleten selbst an Olympia teilgenommen. Evan arbeitet in Paris im Café Le Peloton, von dem die schicke Mütze stammt. Für diese Werbeaktion hier ist er vom Hafermilchkonzern Oatly gebucht. »Bist du bereit? Die Zeit läuft – ab jetzt!«

Ich trete. Geht gut los, ich liege bei über 500. Gute zehn Sekunden geht das so. »Weiter!«, ruft Evan, »treten!« Doch schon kommt der Hammer. Ich breche ein. 350, 270, 390. Die Zahl wechselt. Aber viel zu niedrig. Evan scheucht mich: »Du bist in der Folterkammer, na los, treten!« Mir steigt Blut in den Kopf. Schweiß rinnt meinen Rücken runter. Wie lange können 30 Sekunden dauern? Ich hoffe, dass es endlich vorbei ist. »Aus!«, ruft Evan. Schnaufend steige ich ab.

»Tja, Mann, nächstes Mal wird’s besser!«, lacht Evan, während ich nach Luft schnappe. Was war das denn? Hastig krame ich die Wasserflasche aus dem Rucksack, gierig stürze ich den Inhalt hinunter. Beim olympischen Straßenrennen fahren die 90 Starter am Samstag 273 Kilometer. Ich fühle sie. Nach nur 30 Sekunden.

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