Unsportlich bleiben

Leo Fischer erkennt in den Olympioniken die ästhetisch-biopolitische Spitze ihrer Gesellschaften

Auch das Faultier macht es sich lieber gemütlich.
Auch das Faultier macht es sich lieber gemütlich.

Gibt es noch Leute, die keinen Sport machen? Stolz unsportlich sind? Wenn ja, sind sie praktisch unsichtbar. Die Milliardeninvestitionen der Schönheitsindustrie in Sozialen Medien haben einen neuen Standard geschaffen: Durchtrainierte, maximal ästhetisierte Körper, früher Leistungssportler*innen vorbehalten, sind durch Instagram völlig normalisiert. Es ist ein ästhetisches Wettrüsten, das Normalsterbliche trotz aller Versprechungen nicht gewinnen können – was sie nicht hindern soll, sich bei dem Versuch zu ruinieren, körperlich und finanziell.

Kampagnen gegen Fatshaming sind das übliche »Corporate Responsibility«-Gewäsch: Der durch teure Nährmittel, Gamsund Kosmetik optimierte Leib ist die erwünschte, konsumtreibende Norm. Sport ist die Metapher für das Leben im digitalen Kapitalismus: Jede Arbeit, jede Alltagstätigkeit wird »gameifiziert«, durch Apps messbar gemacht, zum Anlass für Konkurrenz, Normierung, Paranoia und die Sanktion von Abweichung.

Dementsprechend haben Großereignisse wie Olympia einen anderen Charakter als im Zeitalter vor den sozialen Medien. Berufssportler*innen stehen nicht mehr der Bevölkerung gegenüber, sondern stellen die ästhetisch-biopolitische Spitze einer durch Sport pyramidal organisierten Gesellschaft dar. Die Athletinnen sind damit nicht nur Repräsentantinnen von Nationen, sondern eines Lebensstils – und der Verhandlung von Normalität: Die völlig verzweckten Körper der Spitzensportler*innen sind bizarrerweise diejenigen, die uns als normal eingeredet werden.

Leo Fischer
Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Der konservative Aufschrei gegen eine queere Performance zur Eröffnungsfeier in Paris dreht sich nur oberflächlich um religiöse Gefühle, die angebliche verletzt worden seien. Es geht darum, was für Körper normal sind. Die dicken, queeren, uneindeutigen, amorphen sind es nicht; dass sie überhaupt Sendezeit bekommen, ist der Skandal.

Dass es sich dabei um ein Randereignis handelt, dass der Sport in seiner Breite immer noch eine brutale, heterosexuelle Normierungs- und Trennungsanstalt ist, zeigt der mediale Eklat um den Kampf der Boxerinnen Carini und Khelif. Khelif wurde im Rahmen einer rechten Medienkampagne als trans Frau bezeichnet, der vorzeitige Abbruch durch Carini als Betrug einer Trans-Mafia halluziniert: Ein »biologischer Mann« habe eine hilflose Frau verprügelt. Die Kampagne, von transfeindlichen Hetzer*innen wie J.K. Rowling und Elon Musk mit befeuert, sorgte dafür, dass auch seriöse Medien von Khelif als trans Frau fabulierten. Der Schaden ist angerichtet; trans Menschen werden den Fallout tragen müssen.

Die Absurdität der Geschlechtertrennung im Sport, eingeführt ursprünglich, um männliche Erfolge zu konsolidieren, bricht hier voll durch: Nicht der Sport steht im Vordergrund, sondern die soziale, geschlechtliche Norm, die sexistische Gesellschaftsordnung selbst – sie muss auf jeden Fall gewinnen. Am Ende müssen richtige Männer, richtige Frauen siegen – sonst niemand. Da bleibt man doch lieber unsportlich.

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