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US-Langstreckenwaffen: Stationierung lange geplant
Schon 2021 hatten die USA vor, weitreichende Waffen in Deutschland zu platzieren. Bundestags-Experten: Parlamentsbeteiligung nicht zwingend
Die Mitteilung kam sehr beiläufig, fast ging sie in den vielen anderen Nachrichten über den Verlauf des Nato-Gipfels in Washington unter. Am 11. Juli meldeten die Agenturen in Deutschland, die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland hätten am Rande des Gipfels eine »gemeinsame Erklärung« zur »Stationierung weitreichender Waffensysteme in Deutschland« unterzeichnet. Eine Pressemitteilung auf der Webseite der Bundesregierung gibt es dazu bis heute nicht, aber mit einigem Suchen findet man sie unter dem Themenmenü-Punkt »Sicherheit und Verteidigung«. Ohne Kommentar.
Die Erklärung selbst besteht aus vier dürren Sätzen. Beginnend 2026 werden die USA demnach »als Teil der Planung zu deren künftiger dauerhafter Stationierung, zeitweilig weitreichende Waffensysteme ihrer Multi-Domain Task Force in Deutschland stationieren«. Und weiter: »Diese konventionellen Einheiten werden bei voller Entwicklung SM-6, Tomahawks und derzeit in Entwicklung befindliche hypersonische Waffen umfassen.« Marschflugkörper vom Typ Tomahawk haben eine Reichweite von bis zu 2500 Kilometern und können auch nuklear bestückt werden. Bei den SM-6 handelt es sich um Luftabwehrraketen und bei den »hypersensorischen« Waffen um Überschallraketen mit extrem hoher Geschwindigkeit.
Klar ist mittlerweile: Die Stationierungsentscheidung fiel in den USA, Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) haben lediglich »gern und bereitwillig« (Pistorius) zugestimmt. Die Nato war nicht eingebunden. Dennoch sei die bilaterale Vereinbarung »eingebettet in die gesamte Sicherheitsstrategie und Planung der Nato«, betonte ein Regierungssprecher.
Eine politische Diskussion im Bundestag oder gar in der Gesellschaft gab es zuvor nicht. Zumindest aus der SPD heraus gibt es dazu sehr deutlichen Widerspruch. Nach Fraktionschef Rolf Mützenich meldeten sich der frühere SPD-Vizechef Ralf Stegner und der Ex-Bundesvorsitzende der Partei, Norbert Walter-Borjans zu Wort und forderten eine Debatte zum Thema im Bundestag wie auch in ihrer Partei zum Thema ein.
Sie warnen, dass die Raketenstationierung für die deutsche Bevölkerung eine Gefahr wäre und die Sicherheit des Landes eher schwäche als verbessere. Denn die Bundesrepublik könnte mit dem gewaltigen, nach Russland ausgerichteten Waffenarsenal ins Visier des Kreml geraten und drohe selbst Kriegsschauplatz zu werden.
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Pistorius reagierte denkbar arrogant: Reden könne man über alles, die Entscheidung werde aber nicht zurückgenommen, eine Einbeziehung von Parlament und anderen Gremien sei nicht »zwingend«. Diese Sicht bestätigten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in einer am Freitag veröffentlichten Kurzinformation. Die fraktionslose Bundestagsabgeordnete Joana Cotar hatte das Expertengremium um eine rechtliche Einschätzung zur Frage einer Befassung des Bundestages gebeten.
Die Dienste begründen ihre Einschätzung mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 1984 zu Klagen gegen die Zustimmung der damaligen Bundesregierung 1979 zum Nato-Doppelbeschluss einer Stationierung nuklearer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik. Unter Verweis auf die nach der Stationierung extrem gestiegene Gefahr eines heißen Krieges in Europa warnen Kritiker vor der erneuten Bestückung von US-Basen hierzulande mit Marschflugkörpern. Dass auf die Trägersysteme im Einsatzfall offiziell »nur« konventionelle Sprengköpfe gesetzt werden sollen, ändere daran nichts.
Laut Mitteilung der Juristen im Parlamentsdienst dürfte sich die geplante neue Stationierung »im Rahmen des Nato-Bündnissystems abspielen«. Dies hätten seinerzeit auch die Karlsruher Richter so gesehen. Sie hatten die Frage verneint, ob die Bundesregierung durch ihre Zustimmung zum Nato-Beschluss die Rechte des Parlaments gefährdet oder verletzt habe. Die Rechtsgrundlagen, auf deren Basis die Regierung der Vereinbarung mit den USA zustimmen konnte, seien hauptsächlich der Nato-Vertrag von 1949 und der Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in Deutschland von 1954.
Der Kanzler, der Verteidigungsminister und Außenamtschefin Annalena Baerbock (Grüne) stellen die Zustimmung zur Stationierung als Reaktion auf die gewachsene Bedrohung durch Russland dar und verweisen insbesondere auf die Stationierung nuklearfähiger Iskander-Raketen und Kampfjets mit Hyperschall-Raketen vom Typ Kinschal in der zwischen Polen und Litauen gelegenen russischen Exklave Kaliningrad. Pistorius verwies zudem auf eine angeblich eklatante »Fähigkeitslücke« in den europäischen und deutschen Luftabwehrsystemen.
Zumindest die erste Begründung ist eine Lüge. Denn die nun offiziell vereinbarte Stationierung wird seit vielen Jahren vorbereitet. So schrieb der Brigadegeneral a. D. und frühere stellvertretende Leiter der Stabsabteilung Militärpolitik im Verteidigungsministerium, Helmut W. Ganser, am 16. Juli in der »Taz«, Washington habe diese »seit Jahren geplant und 2021 eine Taskforce für Führung und Einsatz dieser Systeme in Wiesbaden aktiviert«. Dies bestätigt auch ein Informationspapier des Recherchedienstes des US-Kongresses vom 10. Juli. Darin heißt es, bereits am 13. April 2021 habe die US-Administration beschlossen, in Wiesbaden Raketen zu stationieren. Also lange vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine.
Baerbock verwies zur Begründung der neuen Stationierung auch darauf, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den INF-Vertrag aufgekündigt habe. Das ist jenes Abkommen, das der damalige US-Präsident Ronald Reagan und der damalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, am 8. Dezember 1987 unterzeichneten. Es leitete den Abbau der nuklearen Potenziale von Nato und Sowjetunion beziehungsweise ihren Rechtsnachfolgern ein. Was Baerbock zu erwähnen vergaß: Die USA unter ihrem damaligen Präsidenten Donald Trump hatten den INF-Vertrag 2019 zuerst aufgekündigt.
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