Mit dem Fahrstuhl ins All

In Japan träumt man nicht nur, sondern hat sich daran gemacht, Science-Fiction Realität werden zu lassen

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.
Das wäre ein Supergaudi: Einfach mal so von der Erde zum Mond oder zum Mars gondeln.
Das wäre ein Supergaudi: Einfach mal so von der Erde zum Mond oder zum Mars gondeln.

Man kennt solche Szenen aus Romanen, Filmen oder Videospielen: Im Erdgeschoss tritt jemand in einen Aufzug, die Türen schließen, der Aufzug beschleunigt. Und erst wenn er im Weltraum angekommen ist, öffnen die Türen, der Passagier steigt aus. Wie selbstverständlich sind Welt und All nicht per Rakete verbunden, sondern über einen Fahrstuhl. Zwischen Planeten wird gependelt.

So ein Weltraumlift gehört zu den großen Träumen der Science-Fiction. Immerhin haben Wissenschaftler schon in den 60er Jahren postuliert, dass ein entsprechendes Konstrukt theoretisch möglich wäre. Dazu bräuchte man einen Anker auf der Erde, ein Gegengewicht im All und ein Zugsystem, an dem entlanggefahren werden kann. Und seit einem guten Jahrzehnt gibt es nicht mehr nur visionäre Forschende, die von einem Weltraumfahrstuhl träumen, sondern auch Unternehmen, die das Ganze in die Tat umsetzen wollen.

Der japanische Baukonzern Obayashi arbeitet derzeit daran, dass bis 2050 unsere Erde und das Weltall durch einen Fahrstuhl verbunden sind. Für die Raumfahrt wäre es eine Revolution. Denn wäre so ein Zugsystem erst intakt, würde jede Reise fort von diesem Planeten deutlich günstiger werden als bisher. Raketen, die Unmengen an Treibstoff schlucken, wären nicht mehr notwendig. Stattdessen, so die Vorstellung bisher, soll eine Gondel über Solarpanels mit Sonnenkraft angetrieben werden.

Das federführende Unternehmen ist in Japan auch jenseits dieses Vorhabens, das für viele unrealistisch klingen mag, ein prominenter Name. Obayashi hat unter anderem den Tokyo Skytree gebaut, den mit 634 Metern höchsten frei stehenden Fernsehturm der Welt. Und für das Vorhaben eines Lifts ins All ist es in der japanischen Weltraumliftgesellschaft organisiert, der schon rund 130 Institutionen angehören, einschließlich Behörden, Forschungsinstitute und Betriebe. Viele Organisationen, die hinter dem Vorhaben stehen, sind also seriös.

Statt das Vorhaben als Träumerei abzutun, lässt sich auch dies sagen: Wenn so ein Projekt irgendwo gelingen kann, dann wohl in Japan. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg schrieben die siegreichen USA dem Land eine Verfassung, die die Kriegsführung und ein Militär formal verbietet. Seither zählt es zu einer Art kompensierendem Nationalstolz, in die Raumfahrt zu investieren. Neben den USA, der EU, China und Russland zählt der ostasiatische Industriestaat zu den wichtigsten Raumfahrtnationen.

Anfang dieses Jahres ist Japan zur fünften Nation der Welt avanciert, die ein Raumschiff auf dem Mond landen konnte. Und mit der Mission, die 2023 die Erdoberfläche verließ, sind auch Unternehmen auf dem Mond vertreten. Durch ein Kooperationsprogramm mit der Wirtschaft fördert die japanische Weltraumbehörde Jaxa die Beteiligung von Betrieben aus allen möglichen Sektoren, um ihre Expertise im All einzubringen. Ein Spielzeughersteller hat etwa einen besonders durablen Lander entwickelt. Mehr als 1000 Betriebe haben sich um Förderung beworben.

Das Interesse am Weltall ist also groß in Japan. Und die Möglichkeiten, die sich durch einen Weltraumlift ergäben, wären enorm. Durch die großen Kosteneinsparungen, indem kein Treibstoff und keine Raketen mehr verwendet werden müssten, wäre Weltraummassentourismus denkbar. Außerdem geht man davon aus, dass viele Asteroiden über auf der Erde wertvolle Rohstoffe verfügen, sodass seit einiger Zeit auch mit der Idee des Bergbaus im All geliebäugelt wird. Je günstiger man ins All kommt, desto realistischer würde auch dies.

Allerdings scheint sich das Vorhaben mit der Gondel zu verzögern. Als Obayashi im Jahr 2012 sein Projekt kommunizierte, war vom Baubeginn im Jahr 2025 die Rede. Vor Kurzem fragte das Wirtschaftsportal Business Insider beim Unternehmen nach, ob es bei diesem Zeitplan bleibe. Yoji Ishikawa, der das Projekt verantwortet, bemerkte demnach, dass die Bauarbeiten im kommenden Jahr noch nicht starten werden. Man sei mit »Forschung und Entwicklung, grobem Design, der Schaffung von Partnerschaften und Bewerbung des Vorhabens« beschäftigt.

Die größte Herausforderung ist nicht nur das nötige Geld – mit Kosten von 100 Milliarden US-Dollar wird gerechnet. Unklar sind vor allem die für den Seilzug zu verwendenden Materialien. Für die Installation eines Lifts wird ein insgesamt rund 100 000 Kilometer langes Kabel nötig sein, das leicht und gleichzeitig elastisch genug ist, um bei den auftretenden Zugkräften durch all die atmosphärischen Veränderungen hindurch schwere Lasten zu tragen.

Große Hoffnungen ruhen seit einigen Jahren auf Graphen, einem in bienenwabenförmigen Mustern angeordneten Kohlenstoff. Aufgerollt entstehen aus Graphen Kohlenstoffnanoröhren, die als besonders stabil gelten. Ob der Stoff aber stabil genug ist, wird unter Wissenschaftlern noch diskutiert. Und selbst wenn er es wäre: Bisher konnten im Labor nur Kohlenstoffnanoröhren von einigen Zentimetern Länge hergestellt werden. Ins All ist es also noch ein weiter Weg – weiter, als man vor einem guten Jahrzehnt dachte.

Dabei gibt es eine Aussicht, die den Traum vom Fahrstuhl in den Weltraum ein Stück realistischer machen könnte. Nicht zuletzt wegen der Möglichkeit des Rohstoffabbaus im All haben sich auch schon einige andere Staaten für einen Lift dorthin interessiert. So kündigte China vor einigen Jahren an, fünf Jahre früher als Japan einen eigenen Lift fertigstellen zu wollen. Auch Kanada hat ein eigenes Projekt begonnen, und die USA haben Arbeiten zur Machbarkeit der Idee angestoßen. Das Ganze könnte irgendwann Fahrt aufnehmen.

Forschungspapiere zum Thema werden ohnehin immer wieder veröffentlicht. Eines davon, erschienen 2021 im akademischen Journal »Acta Astronautica«, hat eine besonders interessante Schätzung vorgelegt. Matthew Peet, Professor für Raumfahrttechnik an der US-amerikanischen Arizona State University, hat darin errechnet, dass bestimmte Liftsysteme eine Reise zum Mars binnen 40 Tagen ermöglichen könnten. Bis es allerdings so weit ist, wird wohl noch mehr als ein Vierteljahrhundert vergehen. Bis zu einer solchen Reise zum Mars aller Voraussicht nach deutlich mehr.

Erde und Weltall durch einen Fahrstuhl verbunden. Für die Raumfahrt wäre es eine Revolution.

-
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -